Die Hölle, schreibt Jean-Paul Sartre, das sind die anderen. Man entkommt ihnen nie, nicht mal im Jenseits. Die Hölle im Diesseits hingegen ist das, was sich hinter geschlossenen Türen abspielt, wenn alle anderen nicht mehr zuschauen können. Denn im Moment, da zu Hause die Tür ins Schloss fällt, lässt sich der Mensch gern mal gehen. Da entgleist nicht nur die anderen gegenüber aufrechterhaltene Fassade. Auch die Kleiderordnung des feindlichen »Draußen« wird zu Hause gern an der Garderobe abgegeben. Vor allem Paare sind extrem gefährdet.
Die Entsicherung zu Casual Friday für immer, zu der sie neigen, vor allem, wenn erst einmal Kinder im Haus sind, wird dabei erstaunlicherweise nicht als Gefahr für die gegenseitige Achtung und Attraktion angesehen – ein Trugschluss, der manchmal durch den Ehering oder einfach nur die erste gemeinsame Adresse entsteht. Natürlich ist es ein befreiender Moment, die steifen Lederschuhe am Abend gegen ein paar Turnschuhe auszutauschen. Und wer tagsüber Krawatte trägt, legt diese vielleicht noch vor dem Abendessen in den Schrank. Die Frage ist nur, wo die legitime Lockerheit des Privaten anfängt und wo der Schlendrian beginnt.
War es noch im letzten Jahrhundert kein Problem, unausgeschlafen mit zerbeulter Trainingshose ein zivilisiertes Gespräch am Telefon zu führen, kann man sich dergleichen beim Skypen kaum mehr erlauben. Und wer möchte schon gern sein Gesicht inmitten von Bergen ungespülten Geschirrs sehen. Es lohnt sich also, nicht nur sich selbst, sondern auch die Wohnung Skype-tauglich zu halten. Das schont die Nerven, erzieht Kinder früh zur Ordnung und ist Bedingung für ein aufgeräumtes Dasein.
Stilsicherheit, die auch hinter der heimischen Tür gelebt wird, beeindruckt nicht nur spontane Besucher, sondern schafft auch Momente stiller Freude im Leben. Warum nicht sich selbst (und der Putzfrau) eine Freude machen und das tipptopp gemachte Bett mit einer glatt gestrichenen Decke am Fußende dekorieren? Dann hat man am Abend das Gefühl, in ein Hotel zurückzukehren. Und ist es nicht einfach nur scheinheilig, das Downgrading der privaten Garderobe der Anwesenheit von Kindern zuzuschreiben? Kinderkleidung ist zwar manchmal dreckiger, muss aber nicht öfter gewaschen werden als die der Eltern auch – nämlich jeden Tag. In Amerika sagt ein geflügeltes Wort »Verlasse deine Wohnung so, dass Präsident Kennedy jederzeit vorbeischauen könnte«.
Geschmackserziehung beginnt zu Hause und vor dem Kleiderschrank. Das beste Beispiel hierfür ist der leider ausgestorbene Hausanzug bzw. -mantel, wie ihn noch Tennessee Williams oder Truman Capote trugen. Es gibt dabei, nicht nur für den richtigen Schuh (das Wort Hausschlappen sagt alles), ein paar goldene Regeln, die uns berühmte Paare vorgelebt haben.
Regel eins: Man kann nackt besser angezogen sein als alle Bekleideten (John & Yoko).
Regel zwei: Nehmen Sie sich ein Beispiel an berühmten Hotelexistenzen, die jederzeit mit Roomservice rechnen mussten (Vladimir & Vera Nabokov, Jarvis Cocker).
Regel drei: Wer sein Leben vor allem auf der Bühne eines Kaffeehauses inszeniert, lernt früh, dass man nicht bedient wird, wenn man nicht anständig angezogen ist (Sartre & die Beauvoir im »Café de Flore«).
Regel vier: Eine Uniform, selbst in der zivilsten Ausformung der traditionellen Tracht, macht jede Begegnung im Haus zu einem Ritual, das der japanischen Teezeremonie gleicht (Die Kimonos des Malers Balthus und seiner Frau Setsuko im Schweizer Chalet).
Regel fünf: Wer Fotografen (bzw. Webcams etc.) um sich herum hat, inszeniert jede Zigarette wie eine Hollywood-Produktion von Hitchcock (Arthur Miller & Marilyn Monroe).
Fazit: Wer sich jeden Tag füreinander schön macht, umgeht elegant die Macht der Gewohnheit. Stil ist, Respekt voreinander zu haben, der wie ein Echo funktioniert: Wer dem anderen diese Ehre erweist, bekommt sie doppelt zurück. Und das nicht erst im Himmel.
Illustration: Tina Berning