Eine Liebeserklärung an den Sonnenhut

Zum Sommer gehört der Sonnenhut, aber den perfekten zu finden, ist verdammt schwierig. Nach jahrelanger Suche ist es unserer Autorin nun endlich gelungen.

Sonnenhut auf, und zack: Schon ist das Sommergefühl da, Strand, Wellen, Möwen, ­alles unter einem Dach.

Foto: Karol Małecki

Natürlich gibt es derzeit Wichtigeres, als sich über Sonnenhüte Gedanken zu machen. Vielleicht aber verschafft ­allein schon das Nachdenken über Sonnenhüte ein ähnliches Gefühl, das man bekommt, wenn man sich einen Sonnenhut aufsetzt: das unbedingte Gefühl von Leichtigkeit, Sommer, Sonne, Beschwingtheit, Zerstreuung, Ablenkung von allem, ein kurzes Vergessen der Wirklichkeit, ein Ausstieg auf Zeit. Sonnenhut auf, Augen schließen, Meeres­brise atmen, Möwengeschrei im Hintergrund, die Härchen am Arm salzverkrustet, der Klang von Eiswürfeln am Rand eines Glases. Nichts auf der Welt erinnert so bedingungslos an den Sommer wie ein Sonnenhut, noch nicht mal das Meer selbst.

Jedes Jahr etwa um diese Zeit suche ich nach Sonnenhüten. Ein schöner Sonnenhut baut dem Nacken eine Bühne, verschafft den goldenen Sommerhärchen am Hals einen Auftritt, rahmt das Gesicht und die vom Sommerwind zerzausten Haare. Ein Sonnenhut sieht einfach gut aus. Man verändert seine Haltung, blickt aufrechter, würdevoller. Man kann so schöne Dinge tun wie zur Begrüßung an die Krempe seines Huts zu tippen, vor jemanden den Hut zu ziehen oder den Hut tief ins Gesicht zu schieben, wenn man in Ruhe an seinem Drink nippen möchte. Zudem müsste man sich schon verstecken, würde man nichts von Haut­alterung und Krebsvorsorge wissen wollen. »Man kann kaum so viel cremen, wie ein Sonnenhut schützt«, sagt die Hautärztin Dr. Tatiana von Bayern, Spezialistin für Lasertherapie und operative Dermatologie. »Ich würde Sonnenhüte am liebs­ten verschreiben.«

An Strandbuden hängen Sonnenhüte in allen möglichen Qualitäts- und Scherzartikelvarianten, Billigware aus China, die oft zu klein, zu keck und zu schief auf dem Kopf sitzen und in der Strandtasche zerbröseln, sobald sie mit der halbleeren Wasserflasche und dem nassen Handtuch kollidieren. Ein guter Hut dagegen ist teuer. Deswegen muss man ihn aufwendig verpacken. Dann ist er oft das eine Stück Handgepäck zu viel, das nervt. Trotzdem lohnt sich die Investition, finde ich.

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Der Klassiker unter den Sonnenhüten ist der Panama-Hut, der eigentlich aus Ecuador stammt, aber überall so heißt, seit 1906 ein Foto um die Welt ging: Es zeigt den damaligen US-Präsidenten ­Theodore Roosevelt beim Besuch der Bauarbeiten zum Panamakanal. Der Hut wird aus Stroh von Hand geflochten und getrocknet, ist leicht und luftdurchlässig, meist weiß mit dunkler Banderole.

Früher gab es unzählige Hutformen, war der Hut doch so was wie das Ausrufezeichen unter den Kleidungs­stücken, das über Lebensstil, Stand, politische Gesinnung Auskunft gab

Bei meiner Suche bin ich über die Jahre zu so etwas wie einer Spezialistin geworden. Denn fast alle Hutformen, wie den Fedora, den Trilby oder den Pork Pie gibt es auch als Sonnenhut, aus Stroh, Baumwolle, Papier – damit er nicht aussieht wie die Wintervarianten und schön leicht ist. Früher gab es unzählige Hutformen, war der Hut doch so was wie das Ausrufezeichen unter den Kleidungs­stücken, das über Lebensstil, Stand, politische Gesinnung Auskunft gab. Den Fedora-Hut mit breiter Krempe und Knick auf der Hut­krone machte Sarah Bernhardt bekannt, die ihn 1883 im gleich­namigen Theaterstück trug. Danach wollten ihn alle modern ein­gestellten Frauen, er wurde zum Accessoire der frühen Frauen­­be­wegung und erst später Markenzeichen von Gangstern und Privat­detektiven. Mit schmalerer Krempe heißt er Trilby, früher getragen von Sean Connery als James Bond, heute von Popstars mit Vor­namen Justin. Der Pork Pie – runde Form, oben flach, die Krempe gebogen – ist benannt nach einer englischen Pastete, berühmt wegen der Jazz- und Blues-Szene der 1920er-Jahre und heute nicht mehr vom Coachella-Festival wegzudenken.

Je flacher die Autos wurden, desto mehr verschwand der Hut. Nicht nur der Sonnenhut, überhaupt alle Hüte. »Heute ist die Handtasche das Statussymbol mit modischer Aussage, zumindest bei Frauen. Das war früher der Hut«, sagt Diana Weis, Professorin für Modejournalismus an der BSP Business & Law School. Handtaschen hatten es erst an den Arm der Frauen geschafft, »als die Mode schmaler wurde und Frauen ihr Hab und Gut nicht mehr in den breiten Rocktaschen versenken konnten«. Aber erst im Windschatten des Hut-Niedergangs begann die Erfolgsgeschichte der Handtasche.

Zumindest als Sonnenhut erlebt der Hut nun wieder eine kleine Renaissance. Die Hutmacherin Fiona Bennett verleiht ihm Berliner Hippness. Der Südtiroler Hutmacher Reinhard Plank schafft Kunstwerke zum Beispiel aus Stroh, Viskose, Papier. Der amerikanische Hutdesigner Nick Fouquet steckt seinen Hüten als Erkennungsmerkmal ein Streichholz in die Banderole, eine zündende Idee – leider auch zweimal so teuer wie eine Woche Charterurlaub. So ähnlich wie die der französischen Luxus-Hut-Hersteller Maison ­Michel oder Lastelier, an Eleganz kaum zu übertreffen, beim Preis auch nicht. Borsalino, Stetson, Mayser, Christys’, Lierys, alle großen Hutmarken bieten Sonnenhüte in allen Varianten an, sogar rollbare, um das Hand­gepäckproblem zu lösen.

Meine Suche nach dem perfekten Sonnenhut endete allerdings – überraschend und abrupt – letzten November. Ich war auf Hochzeitsreise in einem Hotel, bei dem alles von Menschen kuratiert war, die sich mit Stil auskennen. Sogar im Hotelshop war jedes Strandkleid, jede Basttasche, ja sogar jede Badeschlappe von so betörender Schönheit und Nachhaltigkeit, dass ich staunte und dastand wie in einem Museum für Strandkunst. Lange hätten sie nach dem perfekten Sommerhut gesucht, erzählte der junge Mann, der die Mode in diesem Geschäft mitkuratiert hatte und selbst unglaublich schön war. Der Panama-Hut, den sie aus­gewählt hatten, stamme aus Singapur von der Marke »Hat of Cain«, er war rosa mit schwarzer Banderole, und man bekommt einen Brief dazu mit der Unterschrift des Menschen, der den Hut gefertigt hat – meiner ist von Bill. Nach dem Kauf waren wir ausschließlich gemeinsam unterwegs, mein Mann, unser Sohn, ich und Bill, dessen Werk ich auf jedem Foto auf dem Kopf trage.

Ich setze ihn mir nun auch nach dem Urlaub gern auf, auf meinem Balkon oder auf der Wiese eines Brandenburger Strandbads an der Havel, tippe zur Begrüßung an den Rand des Huts und genieße seine schöne Wirkung: dieses unbedingte Gefühl von Leichtigkeit, Sommer, Sonne, Beschwingtheit, Zerstreuung, Ablenkung von allem, ein kurzes Vergessen der Wirklichkeit, ein Ausstieg auf Zeit.