Europa, so nah

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: während Europa über Flüchtlinge diskutiert, haben Jan-Christoph Hartung und Miguel Hahn sie besucht – und Menschen kennengelernt, die ihre Freunde sein könnten.

Name: Miguel Hahn
Geboren: 22.06.1982
Ausbildung: Diplom in Kommunikationsdesign, Hochschule Darmstadt
Webseite: www.miguelhahn.com

Name: Jan-Christoph Hartung
Geboren: 04.02.1984
Ausbildung: Diplom in Kommunikationsdesign, Hochschule Darmstadt
Homepage:
www.jchartung.com
Im Interview: Jan-Christoph Hartung

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SZ-Magazin: Melilla kennt in Deutschland kaum jemand. Was ist dort eigentlich los?
Melilla ist eine spanische Exklave, also spanisches Territorium mitten in Marokko. Dorthin kommen viele Flüchtlinge aus Afrika und Asien, die nach Europa wollen. Die Stadt ist umgeben von sechs Meter hohen Zäunen aus Stacheldraht, bestückt mit automatischen Pfeffersprays. Überall ist die Guardia Civil, also die Polizei. Zusammen mit meinem Kommilitonen Miguel Hahn habe ich in unserer Fotostrecke »Almost Europe« dokumentiert, wie die Flüchtlinge leben.

Waren die Menschen dort nicht sehr misstrauisch?
Anfangs schon. Aber der einzige Sozialarbeiter, den es in Melilla gibt, hat uns begleitet, das hat funktioniert. Eigentlich haben wir neunzig Prozent unserer Zeit den Menschen dort nur zugehört. Wir konnten nicht sofort mit der Kamera draufhalten. In den Medien sind Flüchtlinge nur Zahlen. Aber die meisten waren so alt wie ich, die könnten meine Freunde sein. Jungs, mit denen ich was trinken gehe.

Was hat euch am meisten beeindruckt an ihren Geschichten?
Die meisten von ihnen sind unglaublich lang unterwegs, manche jahrelang. Sie kommen durch die Wüste, werden ausgeraubt. Lassen sich für viel Geld von Schlepperbanden and die Stadtgrenze bringen. Über den Zaun zu klettern ist beinahe unmöglich, also schwimmen sie in den Hafen oder verstecken sich in LKWs. Wenn sie das schaffen, glauben sich die meisten erst mal am Ziel ihrer Träume.

Und was passiert dann?
Melilla desillusioniert sie. Es gibt keine Möglichkeit, legal zu arbeiten. Asylanträge werden nur langsam bearbeitet und enden oft in Abschiebung. Es gibt Männer, die den ganzen Tag Autos putzen und die paar Euro an ihre Familien schicken. Andere werden depressiv, fangen an zu trinken, billigen Whiskey-Fusel, den es dort für zwei Euro gibt. Manche gründen Familien, weil sie glauben, so schneller ihre Anträge bewilligt zu bekommen.

Auf einem Foto sieht man einen jubelnden Mann in einem leeren Stadion. Was hat es damit auf sich?
Das war ein Fußballfan, der die Mannschaft des einzigen Flüchtlingsheims angefeuert hat. Die Mannschaft spielt hin und wieder gegen die Guardia Civil, also gegen die Polizei. Er war grade in Melilla angekommen und voll Zuversicht. Das sagt dieses Foto.

Wie seid ihr als Künstler an das Projekt »Almost Europe« herangegangen?
Erst dachten wir, in Melilla spielt sich das ganze Leben an diesem Zaun ab. Aber es ist  total ruhig da, nichts passiert, alle warten. Wir wollten diese Ruhe festhalten. Einer hat fotografiert, während sich der andere mit den Menschen unerhalten hat.

Wisst ihr, was aus den Menschen geworden ist, denen ihr begegnet seid?
Mit einigen bin ich bei Facebook befreundet, mit manchen telefoniere ich, was aber schwer ist, weil die schlecht Englisch sprechen. Einer hat es tatsächlich nach Valencia geschafft. Vielleicht besucht er mich mal in Deutschland.

Eine weitere, thematisch passende Arbeit Jan-Christoph Hartungs und Miguel Hahns: Gesichter, Namen und Ankunftsdatum der Flüchtlinge in "Trapped in Melilla".

Fotos: Jan-Christoph Hartung und Miguel Hahn