»Die Kamera ist meine Verbindung zu anderen Frauen«

Maryam Majd war die erste iranische Sportfotografin. Auch bei der Frauenfußball-WM in Australien und Neuseeland ist sie dabei, ihre Nationalmannschaft jedoch nicht. Ein Interview über leere Funktionärs-Versprechen – und 33 Tage Gefängnis.

Name: Maryam Majd
Geburtsjahr:
1986
Wohnort: Teheran
Ausbildung: Studium der Fotografie an der University of Art in Teheran
Website: www.maryammajd.com
Instagram: @mariam_majdd

SZ-Magazin: Frau Majd, Sie sind derzeit in Australien, um die Hauptrunde der Frauen-Fußballweltmeisterschaft zu fotografieren. Im Jahr 2011 fand die Frauen-WM in Deutschland statt. Sie hatten damals bereits Flugtickets und waren akkreditiert, sind aber nie in Deutschland gelandet. Was war passiert?
Maryam Majd: Ich wurde in der Nacht vor meinem geplanten Abflug von der iranischen Polizei verhaftet. Ich war 33 Tage im Gefängnis und wurde erst freigelassen, als das Turnier vorüber war

Warum?
Um ehrlich zu sein: Ich weiß immer noch nicht genau, warum, aber vielleicht versteht man es besser, wenn ich erzähle, was ich vor der Verhaftung gemacht habe. Soll ich?

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Ja, bitte.
Ich war 23 Jahre alt, als ich verhaftet wurde. Begonnen zu fotografieren habe ich aber schon viel früher, mit 18. Es war mein Traum, Fotojournalistin zu werden. Als Frau, im Iran, zu dieser Zeit.

Und Sie haben schon damals hauptsächlich Frauen, vor allem Sportlerinnen fotografiert. Wie kam das?
Ich war als Jugendliche selbst Sportlerin. Ich habe Volleyball und Tennis gespielt und sogar Medaillen und Pokale gewonnen. Die besitze ich immer noch, aber ich habe keine Fotos von mir beim Sport. Kein einziges! In meinem Fotoalbum sieht es aus, als hätte ich nie Sport gemacht. Mein Traum begann also aus einem persönlichen Mangel. So kann ich jetzt anderen Frauen das geben, was ich am meisten vermisse: ein Andenken, das ich nie haben werde.

Maryam Majd (links) in ihrer Heimatstadt Teheran.

Foto: Ebrahim Saeedinejhad

Nochmal zurück ins Jahr 2011: Sie waren die erste iranische Sportfotografin, die zu einer Frauen-WM zugelassen wurde.
Ja, und ich glaube, das war der Grund, warum die Regierung so sensibel darauf reagiert hat. Viele sagen, ich sei die erste Fotografin im Iran gewesen, die Frauensport überhaupt sichtbar gemacht hat.

Was haben die Polizisten zu Ihnen gesagt, als Sie verhaftet wurden?
Am Anfang haben sie behauptet, ich sei ein Spion. Vor Gericht wurde mir dann Propaganda gegen das Regime vorgeworfen, weil ich Frauen beim Sport fotografiert hatte. Ich habe gefragt: »Warum ist das ein Verbrechen? Ich habe keine Fotos von Frauen ohne Hidschab gemacht. Sie sind alle bedeckt, wie es die Vorschrift der Regierung vorsieht.« Darauf sind sie nicht eingegangen.

Hatten Sie früher schon einmal Probleme mit der Justiz?
Nein, nie. Ich war nie politisch aktiv. Was ich mache, ist nicht kriminell. Ich dokumentiere nur Frauen beim Sport.

Und nach Ihrer Verhaftung noch mal?
Ständig, ich muss seit 2011 immer wieder Fragen zu meinen Fotos beantworten. Und seitdem habe ich auch ständig das Gefühl, dass mich jemand verfolgt und überwacht.

Trotzdem fotografieren Sie weiter.
Weil die Kamera für mich so viel mehr als nur meine Ausrüstung ist. Sie ist meine Verbindung zu anderen Frauen. Sie sichtbar zu machen und ihre Geschichte zu erzählen, ist meine Aufgabe.

Gibt es mittlerweile mehr Sportfotografinnen im Iran?
Als ich anfing, war ich allein, aber wenn ich jetzt auf einem Trainingsplatz oder bei einem Spiel bin und fotografiere, sind da oft drei oder vier andere Fotografinnen. Das ist so wichtig für mich, denn es ist immer noch eine große Herausforderung, als Frau im Iran zu fotografieren. Aber jetzt können wir zumindest gemeinsam kämpfen.

Verstehen Sie sich als Vorbild?
Wenn einige sehr junge Fotografinnen mich bei einem Wettbewerb sehen, kommen sie zu mir, fragen mich einige technische Dinge. Und manche sagen, ich sei wie eine Heldin für sie. Dann schäme ich mich und sage: »Nein, ich bin keine Heldin.« Trotzdem macht es mich sehr stolz. Ich versuche alles, um sie zu unterstützen.

Vor drei Jahren waren Sie Teil von etwas Historischem: Durch eine Regeländerung des Fußball-Weltverbands Fifa sah sich der iranische Fußballverband dazu gezwungen, eine Frauen-Fußballnationalmannschaft aufzustellen. Das Team qualifizierte sich einige Monate später für den Asien-Cup 2022. Sie waren die einzige Fotografin, die die Mannschaft während den Qualifikationsspielen begleitet hat.
Es war unfassbar: Zwei Jahre war die Mannschaft zuvor nicht aktiv gewesen. Ich erinnere mich noch an den ersten Tag, an dem die Spielerinnen mit dem neuen Trainer zusammenkamen. Es war bewölkt, aber man merkte, wie euphorisch alle waren. An diesem Tag habe ich ein Foto der Frauen gemacht, wie sie Seite an Seite, Arm in Arm stehen. In dem Moment habe ich beschlossen, mit der Mannschaft nach Usbekistan zur Qualifikation zu reisen.

Dort hat die Mannschaft zuerst 5:0 gegen Bangladesch gewonnen und anschließend Jordanien im Elfmeterschießen geschlagen. Wie haben Sie diese Spiele erlebt?
Ich habe hinter meiner Kamera geweint. Eigentlich versuche ich meine Gefühle zurückzuhalten, während ich arbeite. Aber da ging es nicht anders. Ich erinnere mich daran, dass mein Kamerasucher wegen meiner Tränen so verschwommen war, dass ich nichts mehr gesehen habe.

»Die Frauen-Nationalmannschaft ist wie eine Vitrine«

Während des Asien Cups haben Sie die Mannschaft dann nicht mehr begleitet. Was war der Grund dafür?
Ich möchte nicht über die Details sprechen. Vielleicht so viel: Nachdem wir aus Usbekistan zurückgekommen waren, klingelte mein Telefon. Und nach diesem Anruf habe ich für mich beschlossen, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit die iranische Frauen-Nationalmannschaft nicht mehr fotografieren werde.

Für die Weltmeisterschaft hat sich die iranische Frauen-Nationalmannschaft nicht qualifiziert und seit dem Asien-Cup kaum noch Spiele ausgetragen. Warum?
Leider hat sie keinen festen Spielplan. Das Team hat keine Freundschaftsspiele, manchmal nicht einmal einen Trainer oder einen Trainingsplatz. Die Frauen-Nationalmannschaft ist wie eine Vitrine. Es gibt sie eigentlich nur aus einem Grund: damit die Regierung der Fifa sagen kann, dass es eine Frauenmannschaft gibt.

Vor einigen Wochen hat der Chef des iranischen Fußballverbandes, Medhi Taj, verkündet, dass es Frauen künftig erlaubt ist, Fußballstadien zu besuchen. Sind Sie darüber glücklich?
Als ich von dieser Nachricht gelesen habe, musste ich lachen. Das ist wie ein Scherz. Die wollen nur Schlagzeilen!

Sie glauben nicht, dass er Wort halten wird?
Ich kann es nicht glauben. Wenn sie so etwas in der Vergangenheit angekündigt haben, war das nie mehr als ein Schaufenster. Es lief dann so: Die Regierung wählt die Frauen aus, die das Stadion betreten dürfen, frei entscheiden durfte niemand. Wenn der iranische Fußballverband den iranischen Frauen erlauben würde, wie die Männer einfach online Tickets zu kaufen – das würde mich glücklich machen.

Ist es für die Frauen im Iran möglich, einfach so auf einen öffentlichen Platz zu gehen und Fußball zu spielen, ohne dass sie Konsequenzen fürchten müssen?
Ja, das hat sich geändert. Die sozialen Medien haben das plötzlich sichtbar gemacht, deswegen wird es auch auf den Straßen immer mehr akzeptiert. In den Parks in Teheran sieht man heutzutage Mädchen und Jungen zusammen Fußball spielen. Das ist zwar nicht alltäglich, aber es kommt vor.

Wann haben Sie zuletzt Fußball gespielt?
Meine Freunde und ich haben einen Platz mitten in der Stadt, ein kleines Spielfeld. Da spielen wir manchmal. Aber wir müssen besondere Kleidung tragen, lange Kleidung, die uns verhüllt.

Konnten Sie als Kind einfach so spielen?
Ich habe immer mit meinem Bruder auf der Straße vor unserem Haus gespielt. Zu dieser Zeit, vor 30 Jahren, also nach der islamischen Revolution 1979, war das nicht wirklich üblich. Traditionelle Familien hätten das nicht erlaubt, aber meine war offen.

Sie haben 2019 in Afghanistan fotografiert. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
Es war so wichtig für mich, weil ich gesehen habe, was möglich ist. Frauen durften in Kabul in die Fußballstadien. Ich habe mit Frauen, Mädchen und Müttern gesprochen. Die Atmosphäre war so gelöst.

Seit 2021 sind die Taliban wieder an der Macht. Waren Sie seitdem nochmal da?
Nein, alles ist komplett gestoppt. Frauen dürfen nicht mehr ins Stadion gehen. Viele der Sportlerinnen sind in andere Länder ausgewandert. Das tut mir weh, und auch dagegen möchte ich mich mit meiner Arbeit wehren.