Name: Stephanie Harke
Geburtsjahr: 1985
Wohnort: Braunschweig
Ausbildung: Studium der Kunstwissenschaft an der HBK Braunschweig, Ausbildung zur Fotografin in Hannover
Website: www.stephanieharke.com
Instagram: @stephanie_harke
Für Ihr Projekt »Dementielle Veränderung sichtbar machen« haben Sie Bettschuhe fotografiert, die Ihre mittlerweile verstorbene Oma gehäkelt hat. Warum Bettschuhe?
Stephanie Harke: Die Bilder sind kaum zu verstehen, wenn man den Kontext nicht kennt. Das ist so gewollt, sie sollen erstmal irritieren. Diese Bettschuhe haben eine sehr persönliche Geschichte. Meine Oma häkelte sie schon vor ihrer Krankheit, verschenkte sie an alle möglichen Familienmitglieder und darüber hinaus. Die Handarbeit lernte sie in ihrer Jugend. Soweit ich weiß, hat man diese Pantoffeln damals im Bett angezogen, um die Füße zu wärmen. Wir haben sie als Hausschuhe verwendet. Als sie dann demenzkrank wurde, hat Oma fast den ganzen Tag gehäkelt. Irgendwann wussten wir nicht mehr, wohin mit den ganzen Bettschuhen.
Was erzählen die Schuhe über die Krankheit Ihrer Oma?
Im Laufe der Zeit wurden die kleinen Pantoffeln immer merkwürdiger. Man konnte sie nicht mehr anziehen, wusste nicht genau, für welche Körperteile sie gedacht waren. Einerseits erzählen die Bilder diese persönliche Anekdote. Andererseits kann man anhand dieser Formen auch erkennen, wie die Krankheit bei meiner Oma voranschritt.
Sie sind Mitglied bei der Jury des Global Peace Photo Award, wo es gerade oft um große, schwere Themen geht, ähnlich wie die Demenz. Warum ist der Blick auf kleine Details oft am besten, um große, komplexe Dinge verständlich zu machen?
Besonders bei sehr persönlichen Geschichten kann man sich mit solch kleinen Besonderheiten viel schneller identifizieren, und das wiederum ermöglicht einen speziellen Zugang zu Geschichten. Auch, wenn sie komplex sind. Genauso ist es mit harten Themen wie dem Krieg: Fotografinnen und Fotografen halten Alltägliches fest, um den Betrachter und die Welt draußen in die Situation hereinzuholen. So ist das auch bei meinen Bildern. Ich habe mit dieser Fotostrecke zum ersten Mal eine Arbeit veröffentlicht, auf der keine Personen zu sehen sind. Die kleinen Details können eine große neue Welt eröffnen.
Ihr erstes großes Projekt, auf dessen einzelnen Werken keine Menschen zu sehen sind, beschäftigt sich ausgerechnet mit Ihrer Oma, also einem Menschen, der Ihnen sehr nahestand.
Genau das war der Grund. Als meine Oma noch lebte, habe ich oft überlegt, sie zu fotografieren. Manchmal habe ich auch die Kamera gezückt. Es hätte mir aber zu weh getan, diesen ganzen Prozess zu dokumentieren. Ich brachte es nicht übers Herz, die Kamera zwischen meine Oma und mich zu halten. Deshalb habe ich diese Schuhe erst im Nachhinein fotografiert. Auch, um das Erlebte selbst verarbeiten zu können. Andere können solche Prozesse sehr schön mit der Kamera begleiten, ich war dazu nicht in der Lage. Da wähle ich lieber eine andere Bildsprache. Das habe ich in dieser Zeit über mich selbst und meine Kunst gelernt.
Im Frühjahr 2019 posteten Sie auf Instagram einige Fotos von Ihrer Oma. Einmal einen Kaktus, den sie selbst fotografiert hatte, oder Tiere, die sie sehr mochte, einen Elefanten etwa, oder einen Kanarienvogel. Auch ein paar Reisebilder: Oma in Arizona, Las Vegas, Istanbul. Was rufen diese Erinnerungen in Ihnen hervor?
Bei dieser Krankheit muss man nicht plötzlich Abschied nehmen, es ist ein schleichender Prozess über viele Jahre. Man sieht den Menschen vergehen und trauert. Gleichzeitig konnte ich mir noch einmal vor Augen führen, dass meine Oma ein erfülltes Leben hatte und vieles verwirklichen konnte, wovon sie geträumt hat. Das war auch für mich ein großer Trost. Als sie gestorben ist, hatte ich das Gefühl, ein gutes Stück auf diesem Weg der Trauer schon hinter mir zu haben. Mir schien, als wäre ich durch vieles während der vergangenen Jahre schon gegangen. Vielleicht ist das bei Fotografen einfach so, dass sie Schicksalsschläge mit Fotos zu bewältigen versuchen.
Einmal häkelte Ihre Oma Bettschuhe, die in der Mitte zusammengebunden waren. Darauf angesprochen sei sie »aufgewacht« und habe kräftig gelacht, erzählten Sie einmal – diese wachen Momente seien die schönsten gewesen.
Das Fotoprojekt erinnert mich und meine Familie daran, dass selbst diese schweren Zeiten nicht nur schlimm waren. Es gab immer wieder Augenblicke, in denen wir gemeinsam lachen konnten. Gerade, wenn meine Oma so einen wachen Moment hatte. So etwas muss nicht nur traurig sein, man erlebt auch sehr viel Schönes miteinander. Trotz der Krankheit.
Wie genau hat die Demenz Ihre Oma verändert?
In meiner Familie hatten wir alle das Gefühl, dass die Krankheit ihre harte Schale geknackt hat. Oma ist früher sehr streng und reserviert gewesen. Ihre Kindheit in der Zwischenkriegszeit war hart, gegen Kriegsende musste sie als junge Frau aus Schlesien fliehen. Sie war immer eine sehr nüchterne, starke Person, konnte uns gegenüber kaum einmal Gefühle zeigen. Zur Begrüßung gab sie die Hand, Umarmungen gab es nie, nicht einmal innerhalb der Familie. Diese harte Schale hat während der Krankheit langsam Risse bekommen. Ich weiß nicht, ob das ein häufiges Symptom der Demenz ist. Sie hat uns dann die Hände gestreichelt und Küsschen gegeben, das war für uns alle sehr schön. Es fühlte sich so an, als hätte sich diese Zärtlichkeit über ihr ganzes Leben angestaut und könnte nun endlich raus. All diese körperliche Zuneigung, die sie sich selbst nie erlaubt hatte, bevor sie krank wurde.
Was bedeuteten das Häkeln und dessen künstlerische Darstellung für Sie?
Durch die Bilder habe ich die Handarbeiten meiner Oma mit meinem eigenen Handwerk, der Fotografie, verknüpft. So hatten wir noch ein gemeinsames Projekt, eine letzte gemeinsame Geschichte. Es war ein großes Glück, dass meine Oma noch so lange ihrem alten Hobby nachgehen konnte. Sie fand darin eine sinnvolle und erfüllende Beschäftigung. Viele andere Dinge, die höhere Konzentration erforderten, waren unmöglich geworden: Fernsehen oder Lesen, all das ging nicht mehr. Das Häkeln blieb ihr und sie liebte es.
Ihr Ziel sei nicht, sich über kranke Personen lustig zu machen, betonten Sie bei der Vorstellung Ihres Projekts. Gleichzeitig sprechen Sie vom gemeinsamen Lachen über die sich verändernden Bettschuhe. Wie lacht man liebevoll und wertschätzend mit Menschen, die plötzlich seltsame Dinge tun?
Das Wichtigste ist, mit den betroffenen Menschen zu lachen, niemals über sie. Ich hatte das Gefühl, dass meine Oma in diesen Momenten verstanden hat, worüber wir lachten. Sie hat sich mit uns amüsiert und freute sich darüber.
Ihre Oma ist irgendwann in eine Demenz-WG gezogen, da hatte sich ihr Zustand schon verschlechtert. Ihre Trauer sei zu diesem Zeitpunkt am schlimmsten gewesen. Wie geht man am besten mit solchen Situationen um?
Für meine Oma und uns war es ein großes Glück, die Demenz-WG zu finden. Zu wissen, dass sie gut untergebracht war, hat mich sehr erleichtert. Die Trauer bedrückt zwar. Trotzdem sollte man versuchen, weiter füreinander da zu sein, die gemeinsamen Geschichten auch in der Familie weiterleben zu lassen. Ich kann es aber auch verstehen, wenn man kranke Verwandte weniger häufig besucht, weil der Schmerz zu groß ist. Ich habe damals in Hamburg gewohnt und konnte nicht so häufig bei meiner Oma sein. Damals hatte ich permanent ein schlechtes Gewissen. Man sollte sich aber immer nur die Dosis zumuten, die man auch bewältigen kann. Man muss sich eingestehen, wenn man mal nicht mehr kann. Und sich selbst vergeben, wenn die Kraft nicht jeden Tag reicht.