Name: Steffi Drerup
Geburtsjahr: 1974
Wohnort: Berlin und Ostfriesland
Ausbildung: Bachelor in Design und Fotografie (London Guildhall University), Master in Fotografie (Ostkreuzschule für Fotografie, Berlin)
Website: www.steffidrerup.com
SZ-Magazin: Frau Drerup, Sie haben Frauen fotografiert, die lange stillen. Das älteste Kind in Ihrer Serie ist sechseinhalb Jahre alt. War das für Sie ein ungewohnter Anblick?
Steffi Drerup: Auf diesem Fotos ist Kim mit ihrer Tochter zu sehen, die in Kalifornien leben. Kim ist Doula, eine Art Hebamme, die Frauen während der Schwangerschaft, Geburt und darüber hinaus begleitet. Ich habe versucht neutral in die Situation reinzugehen. Trotzdem ist es für mich ein Unterschied, ob ich ein dreijähriges Kind an der Brust der Mutter sehe oder ein fast siebenjähriges Kind, wie Kim mit ihrer Tochter. Die WHO empfiehlt Kinder zwei Jahre zu stillen, in Deutschland wird durchschnittlich nach 6,9 Monaten abgestillt. Wie lange Mütter die Brust geben, muss jede für sich selbst entscheiden. Das ist der Standpunkt, den ich versucht habe beizubehalten bei der Arbeit.
Wie haben Sie die Frauen gefunden?
Ich habe in meinem Bekannten- und Freundeskreis gefragt, Hebammen kontaktiert und auf Instagram recherchiert. Die Mütter, die ich fotografiert habe, verstecken sich nicht – aber nicht alle zeigen sich so offen, wie beispielsweise Kim mit ihrer sechsjährigen Tochter aus Kalifornien. Eine Mutter lebt in Michigan, zwei in Australien, die meisten in Deutschland. Im Moment besteht die Serie aus sechzehn Frauen, ich würde sie gerne weiterführen. Doch es ist die Frage des Findens. Mir ist wichtig, dass ich den Frauen mit Respekt begegne und keine Art Freakshow ausstelle. Ich will sie nicht unbedingt als Heldinnen präsentieren, sondern als starke und selbstbewusste Persönlichkeiten. Deswegen schauen sie direkt in die Kamera, werfen den Blick zurück, damit sich der Betrachtende ertappt fühlt.
Was meinen Sie mit ertappt?
Stillen ist ein intimer Moment zwischen Mutter und Kind. Doch er steht ständig in der gesellschaftlichen Bewertung. Ob sich eine Frau entscheidet, sechs Monate oder sechs Jahre zu stillen, ist eine Angelegenheit, die zwischen den beiden ausgehandelt werden muss. Aktuell ist das sogenannte Langzeitstillen ein Tabuthema und kann auf Instagram Shitstorms verursachen, wie es die Mutter aus Kalifornien regelmäßig erlebt. In Deutschland werden stillende Frauen aus Cafés geworfen, wie ich es in Berlin mitbekommen habe. Das ist fürchterlich. Nicht nur Langzeitstillen polarisiert, auch das Nicht-Stillen. Es gibt Frauen, die können aus körperlichen oder psychischen Gründen nicht stillen, manche wollen nicht. Das ist ihre Entscheidung. Und Kinder lassen sich ebenfalls nicht an die Brust zwingen, wenn sie nicht mehr trinken wollen, machen sie es nicht.
Warum ist das Brustgeben so ein explosives Thema?
Dass Stillen zu einem explosiven Thema geworden ist, geht auf die Sexualisierung der weiblichen Brust in der westlichen Kultur zurück, die in den vergangen hundert Jahren stark zugenommen hat. Die Brust ist nicht privat, sondern zu klein, zu groß, das Dekolleté zu tief oder zu hochgeschlossen. Gleichzeitig wird sie beispielsweise von der Werbeindustrie verdinglicht und genutzt, um Produkte anzupreisen. Mich hat bei meiner Recherche überrascht, dass auch viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe, eine lange Stillzeit ablehnen. Mir ist oft die Meinung begegnet, dass schnell abgestillt werden soll, damit die Brust wieder frei ist – für den Mann. Daraus lässt sich die patriarchale Struktur unserer Gesellschaft ablesen. Die weibliche Brust wird mit Sex verbunden. Maria lactans, die stillende Gottesmutter ist ein beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte und in Kirchen und Museen allgegenwärtig. Frauen, die ihre Kinder an ihrer Brust trinken lassen, sind aber in unserem Alltag so gut wie gar nicht zu sehen. Sobald ein Kind von der Brust trinkt, hat das keine erotische Ebene, sondern es geht um die Nahrungsaufnahme. Ich finde es wichtig, dass die zwei Komponenten wahrgenommen und nicht vermischt werden.
Was ist die Motivation der Mütter ihre Kinder lange zu stillen?
Es sind unterschiedliche Gründe. Eine der Frauen wollte sich präventiv ihre Brust abnehmen, weil sie familiär mit Brustkrebs vorbelastet ist. Sie wusste, dass sie nach der Operation nicht mehr die Möglichkeit haben wird und wollte so lange stillen, wie ihr Sohn an ihrer Brust trinken wollte. Viele der Mütter hatten das lange Stillen nicht geplant, sie sagten, es habe sich so ergeben. Wenn sie ihr Kind ins Bett bringen als Einschlafhilfe, oder wenn es weint zur Beruhigung. Die Mütter genießen die Wärme, die sie dem Kind schenken und die Wärme, die sie zurückbekommen.
Sie sind selbst Mutter von fünf Kindern.
Meinen jüngsten Sohn habe ich gestillt, bis er zweieinhalb Jahre alt war. Bei meinen anderen Kindern war es kürzer. Meinen ältesten Sohn, heute 22, habe ich zehn Monate die Brust gegeben. Damals haben wir in London gelebt, nach sechs Monaten habe ich gemerkt, dass sich komische Blicke häuften und wir an die Grenzen der Akzeptanz kamen. Deshalb hörte ich auf.
Ist Ihnen da schon die Idee zu Ihrer Arbeit gekommen?
Nein, das war erst später. Vor vier Jahren hatte ich eine Serie gemacht, bei der ich mit meiner Kamera durch den Berliner Stadtteil Wedding zog, um Porträts von Frauen zu machen, denen ich auf der Straße begegnete. Ich hatte damals eine Frau fotografiert, die auf der Bank ihren dreijährigen Sohn stillte. Mich beeindruckte, wie selbstverständlich Maria sich porträtieren ließ. Das war der Ursprung. Seither beschäftigt mich das Thema als Künstlerin.