»Manche Dörfer sind schon heute fast verschwunden«

Der indonesische Fotograf Garry Lotulung erlebt, wie Teile seiner Heimat mehr und mehr im Meer untergehen. Er dokumentiert, wie die Menschen versuchen, ihr Hab und Gut mit Sandsäcken und Schlammwällen zu schützen – dabei aber kaum Unterstützung erhalten.

Name: Garry Lotulung
Wohnort: Jakarta, Indonesien
Ausbildung: Bachelor of Arts in Grafikdesign an der Multimedia Nusantara University in Jakart
Projekt: The Drowning Land in Indonesia 
Website:  www.garrylotulung.com
Instagram: @garrylotulung

SZ-Magazin: Sie dokumentieren den ansteigenden Meeresspiegel in Ihrem Heimatland Indonesien. Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?
Garry Lotulung: Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Indonesien und besonders auf Java massiv und eine große Herausforderung für meine Generation. Nachdem wir jahrelang daran gearbeitet haben, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Klimawandel ein riesiges Problem ist, müssen wir damit beginnen, Bewusstsein und Handeln miteinander zu verbinden. Mit meinen Fotos will ich einen Teil dazu beitragen.

Wo sehen Sie mögliche Lösungen?
Ich erwarte, dass sich die Regierung um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung kümmert. Dazu gehören der Bau neuer Häuser und Schutzdämme und Transportmittel wie Boote, die für den Zugang von Dorf zu Dorf sehr wichtig sind. Aber auch Informationen in Form von Beratungen über den Anstieg des Meeresspiegels müssen bereitgestellt werden, damit die Küstengemeinden die aktuelle Situation besser verstehen können.

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Was genau zeigen Ihre Fotos?
Durch den steigenden Meeresspiegel zerstören große Wellen die küstennahen Straßen. Das ist auch im Dorf Cemarajaya in der Nähe von Jakarta passiert, das ich vor wenigen Wochen besuchte. Neben der Abbruchkante wurden Sandsäcke zum Schutz vor dem Wasser aufgestellt. Auf diesen Sandsäcken sieht man Kinder sitzen und spielen. Gleichzeitig weiß man, dass diese Kinder möglicherweise irgendwann in der Zukunft auch ihre Häuser verlieren werden.

Was unternehmen die Dorfbewohner noch, um sich zu schützen?
Im Dorf Pantai Bahagia in der Nähe von Jakarta habe ich beobachtet, wie die Bewohner mit bloßen Händen und kleinen Werkzeugen Schlamm vom umliegenden Meeresboden ausgraben, um damit Dämme zu bauen. Das Land versinkt in diesem Dorf so schnell, dass es bei starken Regenfällen in kurzer Zeit zu Überschwemmungen kommt.

Ist das Anhäufen von Meeresschlamm denn eine effektive Maßnahme?
Den Schlamm verwenden die Menschen nur vorübergehend, bis sie bessere Materialien bekommen, zum Beispiel Steine, Bambus oder Sandsäcke. Aber Sie müssen bedenken: Sie haben keine Bagger oder andere Unterstützung von staatlicher Seite zur Verfügung. Sie tun, was sie können.

Warum sinken diese Orte immer weiter ab?
Es gibt zwei Hauptfaktoren: Die übermäßige Nutzung des Grundwassers, weil sie dazu führt, dass der Boden absinkt. Viele Orte liegen bereits jetzt unterhalb des Meeresspiegels. Und dann die globale Erwärmung, die bekanntermaßen für ein Abschmelzen des Polareises sorgt, sodass der Meeresspiegel überall ansteigt.

Früher oder später werden diese Dörfer also im Meer versinken?
Ja, manche Dörfer sind schon heute fast verschwunden. In Cemarajaya habe ich gesehen, dass inzwischen fast der ganze Ort überflutet ist. Sogar der Friedhof, sodass die Bewohner ihre Toten nicht mehr besuchen oder begraben können. Nur noch ein paar Dutzend Familien leben dort und versuchen, mit der Situation fertig zu werden. Aber die Küstenlinie rückt immer näher an ihre Wohngebiete heran. Einer der Bewohner sagte, dass das Dorf inzwischen 800 Meter Land von der ursprünglichen Küstenlinie verloren habe.

Wie belastend empfinden Sie es, wenn Sie Menschen in solchen Situationen fotografisch begleiten?
Schon sehr. Als zwischen 2020 und 2021 in Indonesien die zweite Welle der Corona-Pandemie ausbrach, dokumentierte ich die Situation in der Notaufnahme für Covid19-Patienten eines staatlichen Krankenhauses. Die Betten auf der Intensivstation waren voll, die meisten Patienten brauchten ein Beatmungsgerät, und das medizinische Personal war erschöpft. Auch an einem Friedhof für an Covid19 verstorbene Patienten habe ich mehrmals Fotos gemacht. So viele Menschen haben ihre Familie verloren und waren voller Trauer. Viele schwerkranke Menschen waren zu Hause in Isolation, weil die Krankenhäuser überfüllt waren. Ich wurde Zeuge, wie Menschen in ihren Betten starben, wie die Freiwilligen die Leichname zudeckten und in Särge legten. Dann beteten sie und fuhren zum Friedhof, um die Verstorbenen zu bestatten. Das war der Alltag, den ich während der Pandemie erlebte.

Sie waren einer der Finalisten von Pictures of the Year Asia 2022. Das Thema war: »Show truth with a camera«, also »Zeige die Wahrheit mit einer Kamera«. Könnte das auch Ihre Arbeit insgesamt beschreiben?
Die Wahrheit zu zeigen, ist auf jeden Fall ein wichtiges Credo. Der Blick durch die Kamera ist unglaublich wichtig, er bietet uns einen kleinen Raum, in dem man das Unwichtige loswerden und sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Dieser Prozess des Entdeckens lässt im besten Fall das Herz höher schlagen.