Torjubel und Tränen

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Martin Fuchs, der Menschen beim Weinen und Lachen abgebildet hat - in den Migrantenvierteln Wiens und in der Fanzone während der Fußball-EM 2008.

    Name: Martin Fuchs
    Jahrgang: 1979
    Ausbildung: keine (Schulabbrecher)
    Webseite: www.martinfuchs.com

    Herr Fuchs, Sie haben Fußball-Fans beim Jubeln fotografiert, wie kam es dazu?
    Das ist aus einer Auftragsproduktion entstanden. Ich habe während der Europameisterschaft 2008 in Wien bei fast jedem Spiel die öffentliche Fanzone am Rathausplatz besucht. Das heißt, fotografiert habe ich eigentlich nur während der ersten Halbzeit, weil mich eine bestimmte Lichtstimmung interessiert hat: Im Himmel sollte noch ein wenig Zeichnung zu erkennen sein. Außerdem habe ich jedes Foto geblitzt, damit die Stimmung der Bilder auch wirklich einheitlich wird. Wie haben Sie die Abgebildeten in der Masse an Fans ausgewählt?
    Die ersten zehn Minuten eines Spiels hab ich damit verbracht, mir die Fans anzusehen: Welche zeigen die meisten Emotionen? Ich habe mich dann einfach vor eine Gruppe von Fans auf den Boden gehockt. Glücklicherweise ist die Fanzone so konstruiert gewesen, dass ich von meiner Position aus stets eine kleine Leinwand im Hintergrund sehen konnte. Das heißt, ich konnte das Spiel auch aus meiner Position heraus ein bisschen mitverfolgen. So wusste ich, wann eine vielversprechende Situation entsteht. Sobald etwas passiert ist und die Leute anfingen zu jubeln, zu schreien oder traurig dreinzuschauen, bin ich aufgestanden und habe begonnen, sie zu fotografieren. Nachdem ich mitten in der Menge stand, haben die Fans nicht gleich bemerkt, was ich da eigentlich mache. So konnte ich Momentaufnahmen bekommen, die nicht gestellt waren.

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    Bitte warten, die Bildergalerie wird geladen... Für Ihre Serie „Vienna Calling“ haben Sie Menschen beim Telefonieren fotografiert. Wie ist die Idee entstanden?

    Martin Fuchs: Ich wollte für eine österreichische Zeitung ein Projekt zum Thema Migranten in Wien fotografieren. Es war mir wichtig, nicht in die gängigen Klischees abzufallen und ich versuchte, einen neuen, hoffentlich unerwarteten Blickwinkel zu finden. Dabei sind mir die unzähligen Callshops eingefallen, die es in bestimmten Wiener Bezirken gibt. Sie öffnen häufig in Geschäftslokalen, die lange leer standen. Ich habe mich schon lange gefragt, welche Leute diese Einrichtungen nutzen.

    Und Sie haben bemerkt, dass es vor allem Migranten sind?

    Ja. Ich habe Menschen aus Russland, Moldawien, Iran, Irak, der Türkei, Jordanien, Namibia und zahlreichen anderen Ländern getroffen. Viele nutzen Call Shops sehr häufig, weil das ihre einzige Möglichkeit ist, mit der Familie oder mit Freunden aus der Heimat in Kontakt zu bleiben.

    Worin liegt der Reiz, Menschen bei einer Tätigkeit zu fotografieren, die per se verbal ist, also ohne Bilder auskommt?

    Die Fotografie wird zwar mehr und mehr mit anderen Medien wie Audio oder Video kombiniert, aber sie bleibt natürlich ein Medium, das eine Geschichte nur über Bilder, ohne zusätzliche Sinneseindrücke erzählen kann. Nun sind die Telefonzellen in den unterschiedlichsten Callshops einander extrem ähnlich, die sehen im Grunde alle gleich aus. Das heißt, das einzige, was dieses Projekt interessant machen konnte, waren die Menschen, ihre Emotionen beim Telefonieren, die Geschichten, die dahinter stehen.

    Was waren die eindrücklichsten Erzählungen, die sie gehört haben?

    Ich war zwar von Anfang an zuversichtlich, dass das Projekt interessant wird, aber ich war trotzdem völlig überrascht von vielem, was ich gehört habe. Ein Iraker meinte, er könnte es sich durchaus leisten, jeden Tag seine Familie in Baghdad anzurufen, aber er tue es trotzdem nur zwei Mal im Monat – weil er jedes Mal große Angst hat, zu hören, dass wieder jemand aus seiner Familie getötet wurde. Oder die Geschichte einer Frau die mit ihrem Mann in Bulgarien telefoniert hat. Nachdem ihr Mann Krebs hat und an Diabetes leidet ist sie vor zwei Jahren ganz alleine nach Wien gekommen um Geld zu verdienen um ihren Mann und ihre Tochter in der Heimat zu unterstützen. Oder die Begegnung mit einem Mann der am Telefon in Tränen ausgebrochen ist als er erfahren hat das seine Schwester in Tehran gestorben ist.

    Sind Callshops nicht akut vom Aussterben bedroht?

    Viele davon sind heute gleichzeitig auch Internet-Cafes. Ich glaube, in Europa genießen sie auch deshalb immer noch eine hohe Popularität. Speziell ältere Menschen, die keinen eigenen Computer oder wenig Erfahrung mit dem Internet haben, nutzen sie. Ganz anders in den USA: Ich lebe mittlerweile in New York, hier findet man an fast jeder Ecke ein Internet-Cafe. Doch statt Callshops gibt es hier spezielle Telefonwertkarten, die man in jedem Lebensmittelgeschäft bekommt und mit denen man über eine Vorwahl sehr günstig in verschiedene Länder telefonieren kann.


    Was wird Ihr nächstes Projekt sein?

    Ich habe hier in New York ein Projekt begonnen, dass der Callshop-Serie sehr ähnlich ist. Eigentlich wollte ich es hier so fortsetzen, wie ich das in Wien begonnen habe. Da das Konzept der Callshops hier aber nicht vorhanden ist, versuche ich, das zu übersetzen. Jetzt geht es um Menschen, die in Internet-Cafes mit ihren Familien und Freunden in Kontakt bleiben. Damit kommt, zusätzlich zum verbalen Aspekt, den ich jetzt auch mit Tonaufnahmen festhalte, ein visueller Aspekt: nämlich die Webcams der Internet-Telefonie.