Ein Autor, dessen Namen ich hier nicht preisgeben will, dafür ist er zu namhaft, hat mir mal folgende peinliche Geschichte erzählt. Als sein Buch erschien, ist er in die Buchhandlung gegangen und hat es so hin drapiert, dass es den potenziellen Käufern sofort ins Auge springen musste. Das hat er mehrmals getan. Einige Tage hintereinander. Und dabei hat er – hier kommt jetzt ein Pfeifgeräusch – so getan, als würde er sich auch für die anderen Bücher interessieren. Eines Tages fand er sein Buch nicht mehr. Und ging – Pfeifgeräusch – zur Buchhändlerin und fragte nach dem Buch von diesem Dingsda, mit dem Titel So-und-So. Und da schaut ihn die Buchhändlerin an und sagt: »Aber der Autor sind doch Sie!«
Seit gestern ist mein Buch raus. Vor zwei, drei Wochen teilte mir der Mann an meiner Seite, auch er ein Buchschreiber, mit: Bei Amazon stünde mein Buch jetzt schon auf Platz zweitausendirgendwas. »Aha«, habe ich gesagt, und gedacht: Mannmannmann, die Männer! Immer müssen sie sich messen. Typisch, dass er jetzt schon vor mir schaut, wo ich stehe. Im Vergleich zu den anderen circa 47.423 Neuerscheinungen in diesem Frühjahr.
Und dann ist bei mir, in der Nacht von Sonntag auf Montag, dem Erscheinungstag, der Epiphanie, dem Anpfiff, eine Sicherung durchgebrannt. Im Bett, bevor ich das Licht ausmache, denke ich: Guckst du halt auch mal, wo dein Buch steht und – woasch! – ich muss die Lesebrille aufsetzen, das kann doch gar nicht sein: Platz 66 – unter den 100 gerade meist gekauften Büchern auf Amazon. Und die haben da Millionen im Sortiment!
Am nächsten Morgen, ich habe die Augen noch nicht geöffnet, denke ich: Das war ein Bug. Meine Brille. Ein Traum. Doch dann – bin ich immer noch unter 100! Vor meinem Hero Harald Welzer direkt hinter den grünen Smoothies! Ich stehe auf und denke: Wär ja gelacht, die hängst du heute auch noch ab.
Ich laufe so durch den Tag. Und klicke mich etwa alle 30 Minuten auf meine Seite. Gegen Mittag habe ich – äh, mein Buch – einen Wimpel: Nummer 1! Und zwar in der wahnsinnig abgefahrenen Kategorie »Erinnerungen – Wirtschaft«. Ich bin stolz wie Bolle. Ich sage es meinem großen Sohn. Der steht auf Zahlen und Geld. Er klopft mir auf die Schulter. Ich gehe einkaufen. Auf dem Weg zum Laden denke ich über den »außengeleiteten Charakter« nach. Den hat der Soziologe Heinz Bude analysiert, und den habe ich auch in meinem Buch zitiert: Der Mensch, der sich nur noch durch die Bewertungen der Anderen identifiziert. So wie in dem erschreckend guten Buch Der Circle von Dave Eggers (das bei uns in Deutschland auch wahnsinnig weit oben auf der Topseller-Liste steht – aber, ich schau mal eben: nach mir!, der kleinen Nataly!!!). In der Schlange vor der Kasse zücke ich mein Smartphone. Als ich den Rang erblicke – er trudelt so langsam aus den Topsellern raus – denke ich plötzlich: Ohgott! Wenn dich jetzt hier einer sieht, beim auktorialen Ego-Surfen! Das wäre um keinen Deut weniger peinlich als wenn du rüber in die Buchhandlung gingest, um nachzuschauen, ob die gute Romy dein Buch sichtbar auf den Ladentisch gestapelt hat. (Was ich aber nicht tue, nein, seit Tagen mache ich einen großen Bogen um ihren Laden, damit sie bloß nicht denkt, mich würde das interessieren!) Ich lasse das Handy rasch in der Jackentasche verschwinden. Pfeifgeräusch. Und gucke den Rest des Tages nicht mehr drauf. Wär ja auch gelacht. Beim Amazon, dem bösen Online-Händler, den ich schon so heftig kritisiert habe. Nur einmal, beim Abendessen bei Freunden, muss ich mal eben aufs Klo.
Heute morgen sage ich beim Frühstück: »Bin ganz schön abgerauscht über Nacht.« Erwidert der Mann an meiner Seite prompt: »Ja, Rang 185.« Das war’s, denke ich, ein kurzes All-time-High, ein wirrer Traum, und jetzt wieder ab in die Versenkung, da wo du hingehörst. Aber egal. Ich mach mir ja nichts aus Zahlen. Meine Familie schweigt und grinst. Und dann sagt mein Großer: »Aber du bist immer noch auf Platz 1 – in der Kategorie ›am häufigsten gewünschte Bücher‹.« Ich streichle ihm über den Kopf. Sage: »Was du alles für Unterkategorien kennst! Guter Sohn, danke!« Und denke: Wie schaffe ich es jetzt bloß rüber in die Kategorie von den Wünschen zu den Umsätzen? Und das am Tag nach Günter Grass’ Tod, Gott hab ihn selig. Es ist ein schönes Buch, echt.
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Foto: Caro / Felix Vogel