Florin Patrachioiu ist sechzig Jahre alt, groß, schlank, Rentner und an den Schläfen grau. Patrachioiu hat einen freundlichen Gesichtsausdruck und geht so staksig wie einst im deutschen Fernsehen der Monaco Franze. Er lebt bis heute in Pielesti, einem Dorf im Südwesten Rumäniens, nicht weit von der Grenze zu Serbien. Es gibt noch Pferdefuhrwerke hier, und wenn im Frühjahr die Pflaumenbäume blühen, liegt das Dorf unter einem fein gesponnenen weißen Netz. Sie haben ein Kriegerdenkmal, ein paar Läden, eine Kirche und eine Disko, aber die ist geschlossen. Ach ja, einen Bahnhof haben sie auch. Etwas außerhalb.
Dort hält kaum mal ein Zug, tiefste Provinz, doch vor 17 Jahren hielt die Weltgeschichte auf diesen Gleisen. Es war die Zeit des Kosovo-Krieges, Serbien wurde von der NATO bombardiert. Rumänien war insofern involviert, als die Regierung in ihrem Bestreben, baldmöglichst NATO-Mitglied zu werden, dem Militärbündnis Land- und Luftwege geöffnet hatte. Nun wurde ein solcher Landweg, eine Bahnlinie, erstmals genutzt. Großes Gerät traf am Bahnhöfchen Pielesti ein, eine Radarstation der NATO, zunächst von Idaho aus mit drei Flugzeugen zum US-Luftwaffenstützpunkt im deutschen Ramstein geflogen, von dort auf einen Zug umgeladen für die Weiter-reise nach Rumänien, zu einer Luftwaffenbasis in Craiova. Die Radarstation sollte an der serbischen Grenze den Luftraum beobachten und Alarm schlagen, falls Serbien in der Endphase des Krieges versuchen würde, den Kampf auf rumänisches Gebiet auszuweiten.
Der Zug war spät dran, die Verspätung summierte sich auf drei Tage, und als man gegen Mittag des 3. Juni in Pielesti eintraf, hatte man es eilig. Sehr eilig.Nur noch die Lokomotive war umzukoppeln ans andere Ende des Zuges, keine große Sache, in ein paar Minuten würde alles erledigt sein. Dann waren es noch fünf Kilometer bis zum Ziel, man würde ausladen, die Radarstation aufbauen und sie am selben Tag in Betrieb nehmen.
Der Bahnhofvorsteher Florin Patrachioiu schickte seine Lagerverwalterin Ecaterina Parvu los, die Papiere zu kontrollieren.16 Güterwagen, beladen mit Containern, manche sogar mit riesigen Lastwagen. Hinter der Lokomotive zwei Personenwagen, einer mit Angehörigen der US-Luftwaffe, ein zweiter mit rumänischen Soldaten, die ausstiegen und entlang des Zuges Aufstellung bezogen. Ecaterina Parvu fühlte sich unwohl. Sie war jung und hübsch, sie sah viele Augenpaare auf sich gerichtet, und ein bisschen schämte sie sich. Sie sah, dass die Amerikaner Laptops und Mobiltelefone hatten, und sie dachte, wie müssen die sich vorkommen in unserem schäbigen Bahnhof.
Aber sie tat, was zu tun war, und als sie das fünfseitige Dokument studierte, sah sie es: kein Zollstempel. Im Bahnhof wimmelte es jetzt vor Reportern, es roch nach einer Story, vielleicht sogar nach einem Skandal.
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Foto: Myrzik & Jarisch