In Ägypten hat sich die Lage beruhigt, zumindest scheint es so, seit der ehemalige Präsident Hosni Mubarak am 11. Februar das Feld geräumt hat. Die Menschen warten nun auf die ersten fairen Wahlen in der ägyptischen Geschichte, bis dahin regiert ein Militärrat. Doch wird die Armee ihre Macht tatsächlich wieder abgeben? Schaffen es die Ägypter, in nur sechs Monaten von einer Diktatur in eine Demokratie zu wechseln? Können sie die neuen Freiheiten nutzen? Viele ungeklärte Fragen.
Beim ersten Anruf nimmt ein Mann ab.
Hallo, wir rufen aus Deutschland an und würden Sie gern fragen, welche persönlichen Erfahrungen Sie mit der Revolution gemacht haben.
Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität in Kairo, und ich glaube, jetzt werden endlich die politischen Hindernisse beseitigt, die unsere Forschung bisher aufgehalten haben. Wir können nun richtig loslegen.
Wie machen sich die Veränderungen im täglichen Leben bemerkbar?
Die Menschen finden jetzt zu ihrer Identität als Ägypter zurück! Viele Kriminelle haben zum Beispiel aufgehört zu klauen oder zu schlagen, die Menschen helfen einander jetzt.
Gibt es etwas, was Sie uns in Deutschland mitteilen wollen?
Ich will Ihnen sagen, dass es den Ägyptern gut geht. Ägypten wird sehr bald ein fortschrittliches Land sein, Inschallah (So Gott will). Aber noch etwas, etwas sehr Wichtiges …
Ja, bitte?
Ich hoffe, dass sich kein anderes Land in unsere Situation einmischt. Wir schaffen das allein, Inschallah. Sagt das euren Leuten!
Rauschen, eine schlechte Verbindung.
Was? Was?
Guten Tag, wir rufen aus Deutschland an und …
Was?
Aus Deutschland. Wir wollen …
Ich habe keinen Ausweis, keine Geburtsurkunde und weiß über nichts in der Welt Bescheid!
Was halten Sie von der Revolution?
Deine Zeit ist abgelaufen!
Wie bitte?
(legt auf)
Ein Mann geht an sein Handy.
Wo sind Sie gerade?
Ich bin in Scharm El-Scheich. Aber ich war in der letzten Zeit eher in einer Wassermelone (arabischer Ausdruck für: Es hat mich alles nicht interessiert). Ich hätte nicht gedacht, dass die Revolution so erfolgreich wird.
Hat sich für Sie persönlich etwas verändert?
Ja! Ab jetzt werde ich nicht mehr passiv sein. Ich mache alles, was ich kann, um meinem Land zu helfen. Ich werde zur nächsten Wahl gehen. Und darf ich Ihnen noch was sagen?
Gern.
Als mein Bruder demonstrieren war, habe ich ihm gesagt: »Hör auf, du kannst das Land nicht ändern.« Er aber meinte: »Wenn jeder so denkt, werden wir wirklich nichts ändern.« Das hat mich schließlich überzeugt. Sie müssen ihn mal anrufen, er ist jetzt in der Bewegung für Veränderung aktiv, die von El Baradei gegründet wurde. Ich gebe Ihnen mal seine Nummer.
Den Bruder erreichen wir in Mansoura, 120 Kilometer nördlich von Kairo. Er ist bester Laune.
Jetzt ändert sich alles: das Schulsystem, die medizinische Versorgung! Sogar wenn ich mein Brot kaufe, ist alles anders! Die Menschen sind freundlicher als vorher. Sie haben die Moral der Revolution gelernt. Selbst die Beamten sind freundlicher. Früher hat man immer gesagt: Dieses Land ist deren Land – also das Land von Mubarak und seinen Anhängern. Jetzt ist dieses Land unser Land!
Was war für Sie der wichtigste Moment der Revolution?
Als die Menschen sich am 28. Januar gegen die Polizei erhoben haben. Sie waren voller Mut und Zorn. Sie wussten, dass sie vielleicht sterben werden, aber sie wollten diesen Preis für ihr Ziel bezahlen. Die Beamten vom Geheimdienst haben uns verprügelt, aber es war uns egal, ob sie scharf schießen oder nicht. Sie haben uns an unsere Grenze gebracht.
Haben Sie eine Botschaft für den Westen?
Besuchen Sie Ägypten wieder! Wenn Sie jetzt kommen, lernen Sie ein völlig anderes Land kennen. Keine unangenehmen Polizeikontrollen mehr.
Was tun Sie selbst als Nächstes?
Ich betätige mich weiter politisch. Vor einem Jahr, als El Baradei nach Ägypten zurückkam, habe ich eine Facebook-Seite erstellt, auf der sich Menschen austauschen konnten, die unzufrieden mit dem Regime waren. Als wir uns dann das erste Mal persönlich getroffen haben, hatten wir alle große Angst vor der Polizei und dem Geheimdienst. Noch schlimmer wurde es, als wir mit der Unterschriftenaktion begonnen haben, wir wollten eine Million Unterschriften für El Baradei sammeln, und wir haben es wirklich geschafft, mit der Hilfe der Muslimbruderschaft.
Aber jetzt ist die Angst vorbei?
Ja, weitgehend. Früher hätte ich so ein Gespräch wie mit Ihnen gar nicht geführt. Ich hätte Angst gehabt, dass Sie von der Staatssicherheit sind.
Vertrauen Sie der Übergangsregierung?
Wir müssen ihr auf jeden Fall eine Chance geben. Dem Premierminister Schafiq habe ich vertraut. Dass er von Mubarak eingestellt worden ist, bedeutet nicht, dass er schlecht war. Das Problem sind nicht die Personen, sondern das System. Und entscheidend wird sein, dass das Volk die Regierung kontrolliert.
Vielen Dank für Ihre Zeit.
Nein, ich danke Ihnen!
Eine zufällige Handynummer. Ein Mann geht dran. Er sagt, er sei in Ismailia, einem Ort im Osten Ägyptens.
Wie finden Sie die gegenwärtige Situation in Ägypten?
Ich kann dazu nichts sagen, ich arbeite als Offizier bei den ägyptischen Streitkräften. Ich kann mich nicht in politische Sachen einmischen.
Aber ganz persönlich – sind Sie eher pessimistisch oder optimistisch?
Ich bin ziemlich optimistisch, alles wird besser.
Was können Sie uns noch sagen?
Ach, bringt mich nicht in Verlegenheit, ich kann nichts sagen, unsere Telefone werden kontrolliert. Aber ich bin sicher, dass Ägypten viel Gutes erwartet.
Außer in Ägypten haben wir noch in folgenden Ländern angerufen:
Libyen - "Niemand weiß, was morgen passieren wird"
Tunesien - "Wir können wieder Brot kaufen gehen"
Marokko - "Ich bekomme viele Morddrohungen"
Iran - "Die Grüne Bewegung lebt. Sie lebt!
Jemen - "Das ist alles aus dem Westen gesteuert"
Telefonate und Produktion: Ilhem Ajili, Christoph Cadenbach, Amr Elhadad, Max Fellmann, Ellhem Hysene, Solmaz Khorsand, Wolfgang Luef, Burhan Schawich, Anna Schmidhauser, Laura Selz, Hakan Tanriverdi, Zeidan Ali Zeidan
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