SZ-Magazin: Herr Hübner, in München-Riem steht eine Schule, die vor gut zehn Jahren für 25 Millionen Euro gebaut worden ist und vom Bund der Architekten eine Auszeichnung erhielt. Anschließend wurde sie für ihre baulichen Mängel und ihr kinderfeindliches Konzept kritisiert: Flure ohne Fenster, hallende Klassenräume, schwere Türen. Wie kann so etwas passieren?
Peter Hübner: Es herrscht in der Architektur eine Tendenz zum Minimalismus: hart, rechtwinklig, geradeaus; und wenn man dem entspricht, bekommt man Preise. Trotzdem trifft die Architekten nur bedingt eine Schuld, da sie Programme erfüllen, die ihnen ihre Auftraggeber vorgeben. Die Gesellschaft hat eine bestimmte Vorstellung, dass Schule eine Aneinanderreihung von Klassenzimmern ist, und so sieht sie dann auch aus. Entscheidend ist also, dass sich die pädagogischen Konzepte ändern müssen, dann ändert sich auch die Architektur.
Ist denn eine Schule wie die in München-Riem noch zu retten?
Jede Schule ist zu retten! In Wolfsburg entwickeln wir gerade neue Ideen für zwei wirklich unwirtliche Gebäude aus den Siebzigerjahren. Wir werden natürliches Licht in alle Winkel bringen, alle Wände herausreißen und die Räume neu definieren. Es wird einen offenen Grundriss geben, Arbeitsplätze für kleine Gruppen, Lernateliers, Konferenzräume und andere Orte, die für Schüler und Lehrer gleichermaßen wichtig sind, um sich wohlzufühlen. Erst dann wird Schule ein Lebensraum sein statt eine Lern- und Lehranstalt.
Bildungsministerin Annette Schavan sagt, dass jede Schule mindestens so schön sein muss wie die schönste Sparkasse der Stadt.
Ich würde mir wünschen, dass keine einzige Schule so aussieht wie eine Sparkasse! Dass heute noch viel zu viele unwirtliche Schulen gebaut werden, hat auch mit den Baurichtlinien zu tun, die alles festlegen: Die Klassenräume sind möglichst rechteckig und alle gleich groß, die Fläche für den Flur beträgt 20 Prozent der Gesamtfläche und so weiter. Es geht aber auch anders, das zeigen die Schulbaurichtlinien von Südtirol: Dort wird lediglich die notwendige Fläche anhand der Schülerzahl festgelegt, aber die individuelle Gestaltung wird den Schulen selbst überlassen. Das muss dann der Architekt genau umsetzen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre eigene Schule?
Sie war ein großes, mächtiges Gebäude, laut und hallig. Es roch nach Linoleum und Bohnerwachs – noch heute mag ich diese Gerüche nicht.
Was macht eine gute Schule aus?
Schulen müssen maßgeschneidert sein für die Menschen, die darin arbeiten. Man braucht gerade dort eine möglichst hohe Übereinstimmung zwischen den Bedürfnissen der Schüler, also der Nutzer, und der gebauten Umwelt.
Wie kann man das erreichen?
Ich begreife Bauen als sozialen Prozess, zu dem zwingend die Menschen gehören, die später in dem Gebäude leben werden. Wenn ich ein Haus für Menschen entwerfe, sollte ich sie nicht nur fragen, sondern auch selbst mitplanen lassen.
Ist das überhaupt möglich? Um einen Auftrag zu bekommen, müssen Architekten in der Regel fertige Konzepte vorlegen.
Konzepte kann man auch wieder über den Haufen werfen, was wir oft tun. In Bremen hatten wir einen Kindergarten in Form von zwei Quadern geplant, am Ende ist es ein frei geformtes Gebäude geworden, das sich in die umliegenden Wiesen schmiegt. Bei der Einweihung habe ich unser neues Konzept übrigens auf Knien vorgestellt. Die Hälfte der Zuhörer hat sich daraufhin ebenfalls hingekniet und plötzlich ganz andere Dinge gesehen. Die Leute haben nach oben geschaut und aus der Kinderperspektive plötzlich einen ganz anderen Raum erlebt. Deshalb legen wir in Kindergärten Wert auf die Gestaltung der Decken- und Dachuntersichten.
In Gelsenkirchen haben Sie mit Schülern, Eltern und Lehrern eine Gesamtschule entworfen. Wie läuft so was ab?
Zunächst laden wir alle Beteiligten zu Workshops ein und sprechen über die wichtigen Fragen: Welche Wünsche habt ihr? Was macht ein Haus für euch persönlich aus? Dann halten wir unterschiedliche Ideen fest und bauen, zum Beispiel mit Lehm, ein erstes Modell.
Tun Sie das, um den Schülern das Gefühl zu geben, dabei zu sein, oder weil Sie wirklich deren Vorstellungen umsetzen wollen?
Ich höre den Schülern einfach zu und nehme sie sehr ernst! Wir haben inzwischen mehr als 30 Kindergärten und Schulen gebaut, und das Feuerwerk an Ideen ist jedes Mal inspirierend. Da hält zum Beispiel ein Junge eine Latte gebogen über ein Modell, und am Ende wird daraus ein Tonnendach, und das Haus wird zum »Regenbogenhaus«. Ein anderes Mal haben wir in Köln eine Waldorfschule gebaut. Die Schüler wünschten sich, mit Licht zu bauen. Also haben wir die Klassen um einen Platz gruppiert und über eine große Glaskuppel im Dach die Sonne hereingelassen.
Im Grunde fordern Pädagogen für den Schulalltag Ähnliches: Die Schüler sollen als Individuen mit ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten wahrgenommen werden, und die Lerninhalte sollen relevant und lebensnah sein.
Das ergibt Sinn! Unsere Herangehensweise ist der beste Beweis dafür. Wenn ich nach Jahren mit Schülern spreche, mit denen zusammen ich gebaut habe, bin ich immer wieder erstaunt, was sie noch wissen. Sie haben alle Fachbegriffe parat! Das ist effektives Lernen.
Welche Funktion kommt dem Gebäude dabei zu?
Es geht nicht um den ästhetischen Ehrgeiz des Architekten. Das Haus soll eine Heimat sein, in der man sich sicher und wohlfühlt. Es ist eine Hülle, ein Gefäß für das sprudelnde Leben. Offen, lebendig, einladend!
Ihre viel gerühmte ökologische Gesamtschule in Gelsenkirchen ist inzwischen zehn Jahre in Betrieb, und die meisten der heutigen Schüler waren nicht mehr selbst am Bau beteiligt. Hat sich dadurch etwas verändert?
Erstaunlicherweise nicht. Die Folgegenerationen identifizieren sich genauso mit ihrer Schule. Offenbar hat das Haus selbst eine Aura, es strahlt aus, dass es ein besonderes Haus ist. Es gibt auch so gut wie keinen Vandalismus, obwohl die Schule in einer schwierigen Umgebung liegt. Ich erlebe das immer wieder: Das Schöne ist am sichersten gegen Zerstörung!
Die Schule ist aufgebaut wie eine kleine Stadt. Besucher sagen, man fühle sich dort wie in der Toskana oder in einer dänischen Feriensiedlung.
Es gab auch schon Leute, die über das ganze Gelände gegangen sind und am Ende gefragt haben: Wo ist denn die Schule?
Aber wollen denn Eltern, Pädagogen und Politiker wirklich so eine Schule? Nach wie vor gibt es die Meinung, dass Lernen mehr mit Mühe und Anstrengung verbunden sein muss als mit Spaß oder Wohlfühlen!
Wir haben tatsächlich einmal in Tübingen an einem Wettbewerb teilgenommen, bei dem es um den Bau eines Kindergartens ging, und sind mit den Worten abgelehnt worden, dass unser Haus zu schön und zu kindgerecht sei. Es könne die Kinder deshalb nicht auf die Realität des Alltags vorbereiten! Ist das nicht zynisch?
Die Ideen von Pädagoginnen wie Maria Montessori sind schon mehr als hundert Jahre alt und haben sich nicht flächendeckend durchgesetzt. Auch Rainer Maria Rilke hat sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts eine Schule gewünscht, »die nicht nach Staub, Tinte und Angst riecht, sondern nach Sonne, blondem Holz und Kindheit«. Warum gibt es so wenige von diesen Schulen?
Es werden ja immer mehr! Nehmen Sie die staatliche Montessorischule von Ulrike Kegler in Potsdam: Wenn man da durchgeht, wird man gar nicht wahrgenommen, so vertieft sind die Kinder in ihre Arbeit. Immer öfter schließen sich Leute zusammen und gründen selbst solche Schulen, die ihren Kindern Spaß machen und in denen sie sich besser entwickeln können!
Was raten Sie Eltern, die unzufrieden mit dem Schulgebäude ihrer Kinder sind?
Ich finde es allemal besser, selbst aktiv zu werden, als auf den Staat zu hoffen. Man kann ja schon mit ein bisschen Farbe etwas Positives erreichen.
Fotos: Noshe