Wenigstens das Meer gehört ihnen noch. Jeden Morgen um Viertel vor sechs startet der Fischer José Luis Martinez den Dieselmotor seines blau-weißen Kutters, lässt die Matrosen die Leinen lösen und fährt hinaus in den Golf von Valencia. Sobald das Meer tief genug ist, lassen sie das Netz über das Heck des Schiffes ins Wasser rutschen. Ketten und Metallplatten poltern, Schlepp-leinen surren hinterher. Dann ist nur noch der Motor zu hören, der das Schiff leicht vibrieren lässt. »Hier draußen«, sagt José, »haben wir Ruhe vor denen.«
Zum ersten Mal seit 1851 wird die wichtigste Segelregatta der Welt in Europa ausgetragen und Valencia ist der Gastgeber. Für den America’s Cup hat die Stadt ihren verkommenen Hafen renoviert und ein ganzes Stadtviertel in eine Kulisse verwandelt. Mehr als eine Milliarde Euro haben die Stadt, das Land und die Mannschaften für das Kräftemessen der segelverrückten Milliardäre und ihrer zwölf Teams ausgegeben. Dafür gibt es nun einen neuen Verbindungskanal vom Hafen zum Meer und von Star-Architekten wie Renzo Piano entworfene Unterkünfte für die Mannschaften. Außerdem ein neues Club-Gebäude namens »Veles e Vents« (Segel und Winde), gebaut von David Chipperfield, das schnell zum Wahrzeichen des Hafens geworden ist. Jeden Tag werden von dort Zuschauer aus der ganzen Welt hinaus aufs Meer chauffiert. Manchmal kippt dabei eine Welle die Champagnergläser vom Tisch, sonst ist alles perfekt organisiert. »Wir müssen hier sein wie St-Tropez: Für die Elite Platz auf dem Wasser und für die Leute Platz auf dem Land, zum Zuschauen«, sagt Michel Bonnefous. Er ist Chef des America’s Cup Management, das die Regatta in Valencia organisiert. Bonnefous trägt ein türkisfarbenes Poloshirt mit weit geöffnetem Kragen und hat den Blick eines Mannes, der schon wichtigere Aufgaben erledigt hat, als über das Lebensgefühl einer Stadt zu sinnieren. Sein Büro liegt wenige Meter neben dem Hafenbecken, durch große Fenster sieht er direkt auf das Wasser. Draußen knallt es. Valencianer lieben Feuerwerk; Bonnefous hebt eine Augenbraue. »Natürlich wollen wir die Leute von hier einladen«, sagt er, »mehr können wir nicht tun.«
Vor seinem Fenster ist die weiße Motoryacht des Milliardärs Ernesto Bertarelli vertäut. Bonnefous und Bertarelli sind alte Freunde und schreiben gerade gemeinsam Cup-Geschichte: Dem Schweizer Bertarelli gelang im Jahr 2003 mit seinem Team Alinghi im ersten Anlauf, woran Europas Seefahrernationen vorher unzählige Male gescheitert waren: den America’s Cup zu gewinnen und ihn nach 150 Jahren in den USA, Australien und Neuseeland zurück nach Europa zu holen. Seitdem verkaufen sie ihn.
Weil der Verteidiger bestimmt, wo und unter welchen Bedingungen er sich den Herausforderern stellt, konnte Bertarelli Neuerungen durchsetzen, die den einstigen Nischensport massenkompatibel machen sollen. Zum ersten Mal wurden Vorregatten und Flottenrennen durchgeführt, zum ersten Mal wurden Bordkameras auf den Booten installiert, zum ersten Mal gibt es das America’s Cup Management, das Großsponsoren angeworben und von den Fernsehanstalten Millionen für die Senderechte kassiert hat. Segeln soll nicht mehr nur ein Sport der Reichen, sondern auch ein Sport des Volkes sein, soll ein Lebensgefühl transportieren, Sehnsüchte wecken – und Geld bringen.
Wie das geht, weiß man aus der Formel 1. Da hat es auch geklappt. Allein acht Millionen Deutsche interessieren sich Analysen zufolge für Segeln, doppelt so viele wie für Golf. Sie sollen nun mit ansehen, wie die elf Herausforderer des Cup-Verteidigers Alinghi zunächst im K.o.-System den Gewinner des Louis Vuitton Cup ermitteln, der dann zwischen dem 23. Juni und dem 7. Juli der Alinghi und damit Bertarelli den America’s Cup streitig machen darf. Um den Ort für das Spektakel zu wählen, veranstaltete das America’s Cup Management sogar eine Ausschreibung. Fast zwanzig Städte bewarben sich, Valencia, Marseille und zwei weitere kamen in die engere Auswahl. »Wir hatten verschiedene Kriterien: die Infrastruktur, politische Unterstützung, die sportlichen Bedingungen, natürlich die Windverhältnisse«, sagt Bonnefous. Und Geld: Neunzig Millionen Euro hat Valencia schließlich gezahlt, um den Cup zu bekommen.
»Der Cup ist eine große Chance für die Stadt, das Beispiel Barcelona hat es gezeigt«, sagt Bürgermeisterin Rita Barberá Nolla. Selbst Oppositionsführer Rafael Rubio will nicht meckern, wenigstens nicht grundsätzlich: »Es ist nur schade, dass die Stadt die Möglichkeit nicht genutzt hat, um die gleiche Euphorie zu erzeugen, wie es sie bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona gab.« Denn an sonnigen Samstagen kommen zwar Tausende von Menschen in den Hafen, aber die Zuschauerränge am Meer bleiben oft leer. Die Begeisterung schwappt nicht auf die Stadt und ihre Bewohner über.
Barcelona ist das Stichwort, das jeder in Valencia nennt, wenn das Gespräch auf den Cup kommt: Die nördlich gelegene Hafenstadt war lange die kleine Schwester der Handelsmetropole Valencia, bis der Diktator Franco Valencia Investitionen verweigerte und die Stadt dem Verfall preisgab. Es war Francos Rache dafür, dass die letzte republikanische Regierung Spaniens hier Zuflucht gefunden hatte, sagen die Valencianer.
Nun hat die Stadt Nachholbedarf und will in der Welt bekannt werden. Will wieder etwas zählen im eigenen Land, mit dem sie bis Mitte der Neunzigerjahre noch nicht mal durch eine Autobahn verbunden war. Sie schreit nach Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch spektakuläre neue Gebäude: Eine fischförmige Oper und ein gigantisches Wissenschaftszentrum mit wabenförmiger Glas- und Betonkuppel sind entstanden, beide hat der valencianische Architekt Santiago Calatrava entworfen. Das Problem ist nur: Viele Valencianer fühlen sich überrumpelt. Und manche glauben, dass sich die Stadt komplett in die falsche Richtung entwickelt.
Toni Cassola sitzt in der Frühsommersonne an der Calle Alta in der Altstadt von Valencia, hinter ihm sanierte Bürgerhäuser, um ihn herum junge Menschen, die sich über Zeitungen beugen und Milchkaffee trinken. Toni leitet eine Anwohnerinitiative, die der Altstadt den Lärm und den Schmutz austreiben will. Er hat sich Zeit genommen und bestellt ein Bier. »Eine Dummheit«, sagt Toni, »den Cup nach Valencia zu holen war eine teure Dummheit. Und alles nur, um unsere Stadt auf der Karte der Luxustouristen eintragen zu können.«
Auf dem Tisch hat er die Tageszeitung Levante EMV ausgebreitet: »Bürgermeisterin Barberá und Regierung in Madrid streiten um Ruhm für die Neugestaltung des alten Hafengeländes« titelt das Blatt. »Diese Prestigeprojekte der Politiker, die teure Renovierung des Hafens: nett, aber darum geht es doch nicht«, schimpft Toni. Er kämpft für Valencias historisches Zentrum, besorgt seit Jahren EU-Fördergeld für die Renovierung der Altstadthäuser. Er schlägt ein Treffen vor: Wenige Straßen vom Café entfernt hat ein Bekannter in einem Haus gewohnt, das vor zehn Wochen eingestürzt ist.
»Mein Haus«, sagt Mira Bernabeu. Er und seine Frau sind mit dem Leben davongekommen, weil die Nachbarin sie mit einem Aufschrei im Treppenhaus vom Frühstück aufgeschreckt hatte: »Raus hier!« Im Erdgeschoss schien schon die Sonne durch einen Riss von mehr als einem Meter Breite in der Küchenwand. Minuten später stieg hinter der Fassade eine Staubwolke auf. »Man sieht, wie das eigene Leben vor einem zusammensackt«, sagt Bernabeu. Die Zahl der Brachflächen in der Altstadt ist seit 1992 von 60 auf 160 gestiegen. Überall in der Stadt sind verlassene Gebäude verrammelt. »Darum geht es hier«, sagt Toni, »wir müssen die Stadt retten. Ich habe nichts gegen den Hafen, aber wir sind fünf Kilometer davon weg. Der Hafen ist nicht Valencia.«
Der Hafen ist jetzt die Heimat der internationalen Seglergemeinde. An Bord der USA 87 rollt der Neuseeländer Haydon Goodrick die Schultern und beugt sich nach vorn. Beide Hände liegen auf den Kurbeln, die mittig auf dem Boot stehen. Das schwarz-weiße Rennboot, mit dem das Team BMW Oracle alle frühen Rennen in diesem Jahr bestritten hat, könnte gleich in Führung gehen – oder seinen Angriff auf den Gegner abbrechen müssen, weil ein paar Sekunden fehlen und der Gegner Vorfahrt hat. Genau sieht man das erst auf den letzten Metern, und dann muss alles ganz schnell gehen. Es passt nicht: Der Steuermann legt das Ruder um, das Boot neigt sich von einer Seite zur anderen, die Tampen, die das vordere Segel gehalten haben, werden gelöst und geben dröhnend dem Druck nach. Goodrick kurbelt, andere packen mit an, nach wenigen Sekunden ist das Segel von einer Seite des Bootes auf die andere gezogen. Die USA 87 ist auf ihrem neuen Kurs. Es sind Sekunden, in denen nichts schiefgehen darf. Davor fürchtet sich jeder der 17 Segler an Deck am meisten: Jahrelang gekämpft zu haben und dann, im entscheidenden Moment, einen Fehler zu machen, der die Mannschaft den Sieg kostet. »Deshalb fahren wir jeden Tag raus und trainieren. Damit wir wissen, dass wir alles probiert haben«, sagt Goodrick.
Er ist mit 23 Jahren der Jüngste im Team von BMW Oracle und ein Beispiel für die Globalisierung des Segelsports, der längst von Neuseeland nach Amerika, Europa oder Dubai weitergezogen ist. Den Sponsoren kommt das entgegen, weil in Neuseeland nur zwei Millionen Menschen leben und Fernsehübertragungen wegen des gewaltigen Zeitunterschieds so unattraktiv waren. Goodrick ist nicht mehr Repräsentant seines Landes, er ist Söldner eines Segel-Syndikats. »Wir haben hier beinahe mehr Neuseeländer auf dem amerikanischen Boot als die Neuseeländer auf ihrem«, sagt er.
Die Schweizer Cup-Verteidiger, die Neuseeländer, die Amerikaner; wer es dorthin geschafft hat, ist oben. Noch auf der Ziellinie in Neuseeland hatte der amerikanische Oracle-Gründer und Milliardär Larry Ellison seinen Bezwinger Bertarelli wieder herausgefordert und ist deshalb bis heute der Wort- und Anführer der elf Angreifer. Auf bis zu 200 Millionen Euro wird das Budget seines BMW-Oracle-Teams geschätzt. Dafür haben sie auf der Suche nach dem perfekten Boot jahrelang Hightech-Teile getestet, deren Vorteile nicht mehr die Segler, sondern nur noch Sensoren registrieren konnten. Nun kostet jedes Segel so viel wie eine Luxus-limousine und die beiden Kohlefaser-Steuerräder wiegen zusammen so wenig wie die Wasserflasche eines Crew-Mitglieds. Genaue Zahlen sind geheim und bleiben streng verschlossen im nach allen Seiten hin kameraüberwachten anthrazitfarbenen Kubus des BMW-Oracle-Teams. Im Hafen sagen sie nur »Black Box« dazu.
Draußen verschwimmen Meer und Himmel in der Dunkelheit, im Führerhaus seines Kutters reflektiert José Luis Martinez’ Gesicht das grüne Licht der Monitore, die ihm den Weg weisen. »Ein Seemann muss sein wie das Meer«, sagt er, »beharrlich und zäh.« Mit 14 fuhr er das erste Mal im Ruderboot hinaus und legte seine Netze aus, obwohl seine Familie nichts mit der See zu tun hatte. Mit 18 kaufte er sich einen kleinen Kutter, da war mit der Fischerei schon kaum noch Geld zu verdienen. Seit drei Jahren zahlt er die Schulden für die Port de Castello ab, ein richtiges Schiff mit fünf Mann Besatzung. José Luis Martinez hat sich einen Traum erfüllt. Doch nun fühlt er sich, als rolle die Brandung gegen ihn an.
»Diese Yachten«, sagt er, »jede ist teurer als die ganze Fischereiflotte von Valencia. Da fühle ich mich schäbig, wenn ich nachmittags in den Hafen zurückkomme, der früher unserer war.« José hat Freunde, die nicht länger für ein paar Kilo Fisch pro Tag aufs Meer fahren wollten. Sie fahren jetzt große Motoryachten in den Hafen von Palma de Mallorca und die Kinder der Besitzer in den Kindergarten. »Die reichen Leute kaufen nicht deine Arbeitskraft, sondern deine Seele«, sagt er.
Darüber reden die Fischer in einer Kneipe in der hintersten Ecke des alten Hafengeländes. Die chinesischen Segler, beim Cup eher chancenlos, sitzen meist nur wenige Tische weiter und trinken Kaffee, weil ihre Basis an den Fischerhafen grenzt. Die Fischer ignorieren sie mit spanischem Stolz und hoffen, dass sie endlich ihre Sachen packen. Dass der America’s Cup und endlich auch die Leute mit den übergroßen Sonnenbrillen und die Sicherheitsschleusen an den Hafeneingängen verschwinden.
Dann erst nämlich gehört der Hafen wieder ihnen. Dann erst kommen auch die illegalen Einwanderer nachmittags wieder an den Kai und bringen den Fischern ein paar Euro zusätzlich für den Beifang, der sich nicht an die Restaurants verkaufen lässt. »Es ist falsch, dass ich mich schäme. Die sollten sich schämen«, sagt José, der längst weiß, dass Valencia nie mehr so sein wird, wie es vorher war. Denn in der Stadt wird überlegt, wie sich die Aufmerksamkeit nutzen lässt, die der Cup gebracht hat, wie sich die Hotels füllen lassen, die überall entstanden sind. Von einem Formel-1-Rennen wird deshalb geraunt, für das ein paar Tage lang eine Brücke über den Hafenkanal gelegt werden soll.
Der Architekt José María Tomás Llavador hat in europäischen Küstenstädten wie La Spezia, Vigo und Istanbul gearbeitet, doch in letzter Zeit hat er sich vor allem über seine Heimatstadt Gedanken gemacht. Er kennt das Sprichwort, Valencia lebe mit dem Rücken zum Meer, er kann aus dem Stegreif die Geschichte des Flusses Turia erzählen, der nach einer Überschwemmung 1957 vor die Stadt verlegt wurde. Das alte Flussbett ist nun ein Park, der die Altstadt nach Norden begrenzt. Nur die letzten zwei Kilometer bis zum Hafen sind Brachfläche. Llavador hat einen verwegenen Plan, für den er von der Stadt zusammen mit einem anderen Architekten einen Preis bekommen hat: »Valencia muss maritimer werden.« Das alte Flussbett soll deshalb eine durchgehende Verbindung werden, die die Altstadt an den Hafen anbindet.
Dort sollen die frisch restaurierten Jugendstil-Lagerhallen neu genutzt werden und die Gebäude einiger Segelteams, von denen Llavador das von Alinghi und das des deutschen Teams gebaut hat. »Dieser Raum hier soll eine große Bühne werden«, sagt Llavador und zeigt auf das riesige Hafenareal. »Hier wird es auch ohne den Cup weitergehen. Leider Gottes werden die wenigen Fischer dann nur noch eine Anekdote der Geschichte sein. Aber es wird etwas Neues entstehen.« Zurzeit ist von Wohnungen und Büros die Rede.