Der Sturm traf die Sarita mit voller Wucht. Eine erste gewaltige Böe erwischte die 15-Meter-Yacht längsseits, bevor der Skipper die Segel bergen und das Heck in den Wind drehen konnte. Lag es am gewaltigen Druck auf die Segel oder an einer ganz normalen Materialermüdung? Jedenfalls brach kurz nach dem halbstündigen Orkan der Mast, ein Crewmitglied konnte noch einen Notruf absetzen. Dann war Schluss mit jeglicher Kommunikation, die Mastspitze und damit auch die Antennen lagen im Wasser, inklusive jener für das Global Positioning System, kurz GPS.
Die Geschichte hätte böse enden können, denn Ashkelon, der israelische Zielhafen der Sarita, war 200 Seemeilen entfernt. Doch die Crew hatte Glück: Eine Yacht hörte die Notmeldung, drehte um und übergab der Sarita ein tragbares GPS-Gerät. Mit diesem und einer selbst gebastelten Notbesegelung erreichte das Schiff Ashkelon gut fünfzig Stunden später punkt-genau – als wäre nichts gewesen. Fluch und Segen der Computertechnik liegen beim Segeln inzwischen sehr nahe beisammen. Kaum ein Charterunternehmen wagt es, seinen Kunden Yachten ohne Log, Echolot, Windmessanlage, Autopilot, GPS, Kartenplotter, Radar und Navtex-Wetterbericht anzubieten – elektronische Hilfsmittel, die faszinierende Möglichkeiten bieten: Sind die entsprechenden Anlagen kompatibel und miteinander verbunden, kann der Autopilot in Kombination mit dem GPS das Schiff selbstständig lenken. Steuerrad und Ruderblatt bewegen sich dann von ganz allein. Vorausgesetzt, der Skipper weiß all diese Elektronik entsprechend zu programmieren, vorausgesetzt auch, es geht unterwegs nichts schief.
Kurt Ecker, erfahrener Skipper und Inhaber einer Charterfirma, findet es jedenfalls »bedauerlich, dass man an Bord mittlerweile mehr Elektronik-Freak sein muss denn ein gestandener Segler«. Ecker selbst kennt noch die Zeiten, als es sauberster Navigation bedurfte, um, von Port Camargue kommend, nach 200 Meilen bei Mistral der Stärke acht die Straße von Bonifacio zwischen Korsika und Sardinien zu treffen. »Solche Erlebnisse«, sagt Ecker, »gibt es heute nicht mehr.« Aber Eckers Kundschaft schippert ohnehin größtenteils im Mittelmeer herum, das der amerikanische Weltumsegler Paul Marshall mit einem kleinen See verglich: »You never can get lost in this little lake.«
Bobby Schenk, Deutschlands wohl populärster segelnder Weltenbummler, trifft ständig diese GPS-Freaks auf seinen Wegen rund um den Globus. Zum Beispiel jenen Atlantik-Bezwinger, der in trauter Runde fragte, wie lange denn, bitte schön, eine Seemeile sei. Das ist, als würde ein Autofahrer nach zwanzig Jahren Führerschein fragen, was, bitte schön, rechts vor links bedeute. Und spätestens jetzt sollte das eigenartige Wort »Seemannschaft« in die Diskussion kommen. Jedenfalls subsumieren sich unter diesem Begriff all jene Tugenden und Kenntnisse, die einen Menschen zum Seemann machen, im besten Falle zum Kapitän. Im Kleinen geht es um das Wissen, wann man welchen Knoten macht, und um das Gespür für Wetter. Vor allem aber gehört zur Seemannschaft die Navigation mit all ihren Finessen, von der Deviation (der durch Metallteile am Schiff bedingten Abweichung zum magnetischen Nordpol) bis zur Kreuzpeilung zweier Punkte zur Bestimmung des Schiffsortes.
Seit der Erfindung des Schiffschronometers im Jahre 1759 und des Sextanten kann man Länge und Breite auf See einigermaßen exakt bestimmen. Und seither nehmen Seeleute jede Verfeinerung des Systems dankbar an, denn kaum etwas ist schlimmer, als nicht zu wissen, wo man sich befindet.
Die meisten Segelprofis verteufeln deswegen auch nicht den Gebrauch der neuesten Erfindungen, Schenk empfiehlt sogar ein tragbares Zweit-GPS, aber er rät eben auch dringend das Erlernen guter seemannschaftlicher Navigation. Um des Menschen Unabhängigkeit von der Technik zu beweisen, ist Schenk vor ein paar Jahren von den Kanaren in die Karibik gesegelt ohne ein einziges Navigationsinstrument.
Mit einem während der Fahrt gebastelten hölzernen Rechteck hat er den Sonnenwinkel geschätzt und errechnet und traf die Karibikinsel exakt nach 3000 Meilen und 18 Tagen. »Früher war das Erlernen der Navigation eine Monate dauernde Angelegenheit«, sagt Schenk. »Heute kaufen sich die Leute ein GPS und meinen, dies sei Navigation.« Und er zitiert aus der Statistik: Der zufolge gibt es in den Langfahrtgebieten heute mehr Schiffbrüchige durch Strandungen als vor Erfindung des GPS. Die GPS-Segler von heute sind für ihn nur »Autofahrer auf hoher See«.
Foto: Peter Widmann