Der Schumi der Meere

Tony Kolb umsegelte die Welt, kämpfte mit einem toten Hai und hatte sein schlimmstes Erlebnis - auf dem Ammersee.

Im nächsten Sommer geht für mich ein großer Traum in Erfüllung: Ich werde beim America’s Cup mitsegeln, der wichtigsten Regatta der Welt. Seit ich als Kind das erste Mal auf einem Segelboot stand, habe ich mir ausgemalt, wie es wohl wäre, bei einem solchen Wettkampf dabei zu sein. Jetzt ist es bald so weit, am 23. Juni 2007 starten wir, das BMW Oracle Team, vor der Küste Valencias. Ende März haben wir unser neues Boot auf den Namen USA 87 getauft. Wir haben nun ein Jahr lang Zeit, es zu testen, es immer weiter zu verbessern – und für unser Training, Tag für Tag. Natürlich kann man auch mit dickem Bauch und Bierflasche in der Hand übers Wasser tuckern, aber Wettkampfsegeln heißt: extreme Anforderungen, auch an die Techniker, die nicht auf dem Boot sind. Wir Segler müssen ständig in Topform sein, Segeln ist unser Beruf. Wenn ich am Wochenende zwei Bierchen zu viel trinke, würde das beim Fitnesstest sofort auffallen. Meine Tage sind streng durchgeplant. Morgens ab neun stehen Kraft- und Kardiotraining auf dem Programm, danach Frühstück, anschließend Teammeeting. Um elf kommen die Boote ins Wasser, wir segeln bis zum Abend. Beim America’s Cup, wo eine Etappe nur ein paar Stunden dauert, geht es um eine Zeitersparnis von zehn Sekunden pro Meile, um Zehntelknoten. Das sind Differenzen in der Geschwindigkeit, so minimal, dass wir sie auf dem Boot nicht mehr wahrnehmen. Auch bei den verschiedenen Segeln, die wir ausprobieren, sind die Unterschiede sehr gering, man könnte sie mit bloßem Auge nicht erkennen. Ein, zwei Zentimeter. Neulich war ich auf einer Formel-1-Rennstrecke und habe Nick Heidfeld einen Tag lang beim Autotesten zugesehen. Immer wieder musste er Runden gegen die Stoppuhr fahren, ständig wurden winzige Details an seinem Auto verstellt, während der Wagen Daten an die Ingenieure am Streckenrand funkte. Da ging es um Bruchteile von Sekunden. Beeindruckend. Aber das ist beim Segeln mittlerweile ähnlich und oft sehr technisch. Auch werden keine Kommandos mehr gebrüllt – wie man sich das vielleicht vorstellt. Jeder weiß, was er bei welchem Manöver zu tun hat. Beim America’s Cup tragen wir sogar Ohrknöpfe, mit denen wir hören können, welches Manöver der Steuermann und der Navigator vorhaben. So ist es oft ziemlich ruhig auf dem Wasser, vor allem bei schönem Wetter. Wenn ich dann abends nach Hause komme, sage ich zu meiner Frau, es war »just another day at the office«. An manchen Tagen ist Segeln eben nur ein ganz normaler Job, mit dem ich meine Familie ernähre. Meinen anderen Traum – einmal um die Welt zu segeln – habe ich mir schon vor vier Jahren erfüllt, mit meiner Teilnahme am Volvo Ocean Race, das einmal quer um den Globus führt. Wenn der America’s Cup die Formel 1 auf dem Wasser ist, dann ist das Ocean Race die Rallye Paris–Dakar, viel extremer und gefährlicher. Statt zwei Stunden dauert eine Etappe mehrere Wochen, das ganze Rennen ein knappes Jahr. Weil die Boote extrem schnell sind – teilweise über 60 Stundenkilometer –, muss man vor allem im Südpolarmeer höllisch aufpassen, um nachts keine Eisberge, Wale oder von Schiffen gefallene Container zu rammen. Beim Ocean Race gehen die Teams wirklich bis an ihre Grenzen: Zum Beispiel teilen sich je zwei Mann einen Schlafsack und einen Blechnapf, aus dem sie die aufgekochten, gefriergetrockneten Mahlzeiten löffeln. Alles nur, um Gewicht zu sparen. Und wenn eine halbe Tagesetappe weiter Windstärke zehn herrscht, wird trotzdem losgesegelt – früher oder später gerät man ohnehin in einen Sturm, das lässt sich bei so einem extremen Rennen gar nicht vermeiden. Die körperliche Belastung geht so weit, dass bei den Crewmitgliedern Bart- und Haarwuchs nicht mehr normal funktionieren. Man kommt selten zum Schlafen, die Stürme sind eisig, die Wellen riesig und dann sitzt man ständig fest auf den paar Quadratmetern Bootsfläche.

Zweimal bin ich das Ocean Race schon mitgefahren. Beim ersten Mal haben wir mit der Illbruck sogar gewonnen. Aber beim zweiten Rennen, das noch bis Juni geht, bin ich nach der ersten Etappe von Galicien nach Kapstadt schon nach 21 Tagen von Bord gegangen. Seitdem ich zwei kleine Töchter habe, kann ich nicht mehr nur an mich denken, und ehrlich gesagt, irgendwie wurde mir die Sache zu riskant. Dass ich die beiden während dieser Monate nicht viel sehen würde, war mir klar, aber wenn auch noch unkalkulierbare Risikofaktoren dazukommen, wird es sogar mir zu gefährlich. Michael Schumacher fährt schließlich auch nicht mit kaputten Bremsen. Ich will und darf dazu nicht so viel sagen. Aber im Vergleich zu meinem ersten Rennen mit der Illbruck hat sich viel verändert: Damals waren die Boote solide gebaut und geeignet, um damit die Welt zu umsegeln. Mit der Illbruck haben wir zum Beispiel mal einen Hai gerammt, der dann in zwei Teilen am Ruderblatt hing. Das war zwar schade um den Hai und schlecht für uns, weil wir rückwärts segeln mussten, um das bremsende Tier wieder loszuwerden. Aber das Entscheidende: Das Boot hat gehalten. Dieses Mal kam zum ersten Mal ein schwenkbarer Kiel zum Einsatz, mit dem unser Boot vom Ericsson-Team von Anfang an Probleme hatte. Wenn man so was weiß, dann achtet man auf jedes kleinste Geräusch. Zwar ist es normal, dass es bei einem neuen Boot hin und wieder knackt, aber wenn das Knirschen nicht mehr aufhört, dann macht einen das auf dem offenen Meer schon nervös. Im schlimmsten Fall könnte der Kiel einfach abbrechen und das Boot zum Kentern bringen. Bei den Booten, mit denen wir beim America’s Cup segeln, knarrt und rumpelt es natürlich auch überall, aber man hat ja immer ein Schlauchboot nebenan, das einen im Notfall bergen kann. Beim Ocean Race ist der einzige Ausweg eine Rettungsinsel, aber da will wirklich niemand freiwillig reinsteigen: Zwölf Mann in einer Art rundem Gummiboot mit drei Meter Durchmesser, das wird eng. Zwar haben wir in einem Schwimmbad den Notfall durchgespielt und geübt, wie man in die Insel klettert, aber wie groß im Ernstfall die Überlebenschance ist, das weiß keiner. Ich will nicht sagen, dass ich aus dem Rennen ausgestiegen bin, weil ich Angst hatte, eher gesunden Respekt vor den Naturgewalten. Das ist auch angemessen bei meinem Job auf dem Boot: Ich bin für das Segelsetzen auf dem Vordeck zuständig, das mit voller Kraft durch die Wellen peitscht. Manchmal muss ich bei Sturm und Regen 30 Meter nach oben in den Mast. Klar durchlebt man da oft Scheiß-Situationen: zum Beispiel mit diesem riesigen bunten Vorsegel, dem Spinnaker. Wenn der oben ist und nicht mehr runterkommt, muss ich hochsteigen und ihn abschneiden – das ist richtig gefährlich. Hätte ich das damals auf der Illbruck nicht gemacht, der Mast oder der Spinnaker wären weg gewesen. Das hätte uns das Rennen gekostet. Es war riskant, aber ich habe es gewagt und am Ende hat es sich gelohnt: Der Zieleinlauf in Kiel war unbeschreiblich. Wir hatten die Welt umrundet, uns bis Kiel gekämpft und am Ende auch noch gewonnen. Der Trip auf den Mast der Illbruck war übrigens nicht die mulmigste Situation in meiner Seglerkarriere. Die ist lange her, trotzdem kann ich mich so gut an sie erinern, als wäre es gestern gewesen. Ich war 15 und auf dem Ammersee in meiner Jolle unterwegs. Bei einem Manöver habe ich mir so heftig den Kopf gestoßen, dass ich mit einer Platzwunde dalag und allein auf diesem endlos scheinenden See vor mich hin trieb. Damals hatte ich wirklich Angst.