Alle setzen aufs Segel

Zum ersten Mal fährt ein deutsches Team beim America’s Cup mit. Sponsoren und Fernsehsender sind überzeugt: Das wird eine Riesenwelle machen.

Da steht es aufgebockt mitten auf der Straße zwischen Kieler Yachtclub und dem Meer, jenes Boot, das den Cup für Deutschland holen soll. Einige hundert Menschen sind gekommen, um es zu sehen, denn zum ersten Mal nimmt Deutschland am America’s Cup teil, segelt also mit um die älteste und bedeutendste Trophäe des Sports – und dieses Boot soll irgendwie mithalten.

Es ist 26 Meter lang, vier Meter breit, der Rumpf wirkt majestätisch und strahlt weiß überall dort, wo kein Werbelogo klebt. Gerade ist es getauft worden, aus den aufgestellten Lautsprechern ertönt Cocktailjazz, und Ralph Dommermuth, Internet-Milliardär und Hauptsponsor, jener Mann, der das hier alles zahlt, steht auf der Terrasse des Yachtclubs, er gibt Interviews. Und als er zum Festessen aufbrechen will, kommt ein sehr alter Mann auf ihn zu, schüttelt ihm die Hand und stellt sich vor, Hans-Otto Schümann sein Name. Schümann ist bald 90 Jahre, er gilt als Vater der deutschen Hochseeregattaszene; seine Yachten hießen stets Rubin, dreimal gewann er den Admiral’s Cup, eine ebenfalls bedeutende Trophäe. Der Handschlag sieht aus wie ein Zeichen, eine Wachablösung, denn für diesen kurzen Moment stehen sich Zukunft und Vergangenheit des Segelns gegenüber: der Internet-Milliardär Dommermuth und Schümann, der sein Vermögen mit dem Gegenteil von Hightech verdient hat, mit Vaseline.

Dass Segeln sich in diesen Tagen zum neuen Sport der Stunde entwickelt – gar das neue Tennis, Golf oder die neue Formel 1 wird – lässt sich ziemlich zuverlässig daran ablesen, wer mittlerweile in den Sport investiert: BMW unterhält mit dem amerikanischen Software-Riesen Oracle ein America’s-Cup-Team, Prada leistet sich ebenso eins, die Fluggesellschaft Emirates steckt Geld ins neuseeländische Boot, die Bank UBS wirbt beim Schweizer Titelverteidiger Alinghi, die Telekom-Tochter T-Systems ist sogar bei der südafrikanischen Cup-Kampagne eingestiegen und betreibt ihre Außendarstellung zunehmend übers Segeln. Rund hundert Millionen Euro investieren die Top-Teams Alinghi und BMW/Oracle für eine America’s-Cup-Kampagne.

Meistgelesen diese Woche:

Hans-Otto Schümann steht für die Zeit, in der erfolgreiche Unternehmer, meist Mittelständler, sich ihrem Hobby mit einigem Geld und großer Zuneigung widmeten. Von Schümann gibt es die schöne Geschichte, wie er beim Admiral’s Cup – der oft mit dem America’s Cup verwechselt wird – nach einer siegreichen Wettfahrt auf dem Weg zurück in den Hafen selbst das Steuer übernahm. Leider übersah er eine Treppe im Hafen und setzte das Boot darauf. Der entstandene Schaden am Kiel wurde über Nacht repariert, selbstverständlich auf seine Kosten. Und selbstverständlich gibt es solche Geschichten im Profisegeln nicht mehr. Das Steuer eines der Boote dürfen nur Auserwählte in die Hand nehmen. Russell Coutts ist so ein Auserwählter, er ist sogar der Beste, im Grunde: der Auserwählte. Weil er auf dem Wasser fast überirdische Fähigkeiten hat, ist er dafür verantwortlich, dass der America’s Cup ein interessantes Investment geworden ist. Und ohne Russell Coutts wären die Deutschen nun wohl nicht beim America’s Cup dabei, denn Coutts hat dafür gesorgt, dass der Cup erstmals nach Europa kommt – zum ersten Mal in seiner mehr als hundertfünfzigjährigen Geschichte.

Seit seiner Erstauflage 1851 war der America’s Cup eine ziemlich elitäre Angelegenheit. Sehr reiche Männer ließen Boote bauen, die gegeneinander segelten, und mit einer Ausnahme gewann immer die USA. Bis 1995 Russell Coutts kam, der Mann aus Neuseeland. Die Neuseeländer gelten im Segeln als das, was die Brasilianer im Fußball sind. Dennoch hatten sie den Cup nie gewinnen können gegen das Geld aus den USA. Mit Coutts gewannen sie 1995 und mit ihm verteidigten sie die Trophäe im Jahr 2000. Coutts ist so etwas wie der Ronaldinho des Segelns, der Spielfreude mit einer außerordentlichen Physis in Einklang bringt. Coutts ist studierter Ingenieur. Er hat nicht nur den Cup verändert, er hat dafür gesorgt, dass Segeln plötzlich von einer stetig größer werdenden Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Die Ergebnisse seines Schaffens, grob zusammengefasst: 2003 gewann er mit einem Schweizer Boot, der Alinghi, den America’s Cup. Das bedeutet, dass die nächste Auflage 2007 in Europa ausgesegelt wird, weil der Titelverteidiger immer Heimrecht hat. Da die Schweiz nicht am Meer liegt, hat sich das Team für Valencia als Austragungsort entschieden. Und plötzlich interessiert man sich in Europa für diesen Sport. ARD und ZDF kauften die Fernsehrechte. Einer der zuständigen Redakteure glaubt: »Die Programmmacher haben noch gar nicht überblickt, wie viel sie da zur besten Nachmittagszeit senden müssen.« Dabei ist das recht einfach zu überblicken: Laut TV-Vertrag sind imposante 60 Stunden Live-Berichte vorgesehen.

Segeln im Fernsehen war bisher nicht als Quotenrenner bekannt, aber 2007 ist im Sport nicht so viel los, keine Olympischen Spiele, kein großes Fußballturnier, also setzen die Sender auf den Cup. Und wo das Fernsehen ist, fließt das Sponsorengeld, was es wiederum erstmals für ein deutsches Team ermöglicht, mitzusegeln. Jetzt schon ist die Aufmerksamkeit, die dem Segeln in Deutschland zukommt, beträchtlich und 2007 wird sie größer sein denn je. Das Werber-Magazin w&v hat ermittelt, dass Segel-Übertragungen weltweit mittlerweile höhere Fernseh-Reichweiten haben als andere so genannte Edel-Sportarten wie Golf, Reiten oder Tennis. Große Golf-Turniere wie die British Open oder das Masters in Augusta schafften rund 500 Millionen Kontakte weltweit. Schon der letzte Cup, 2003 ausgesegelt vor Neuseeland, habe es auf 610 Millionen gebracht.

Auf diesen Zahlen basiert nun der Plan von Ralph Dommermuth, dem Internet-Milliardär und Sponsor des deutschen Teams. Dommermuth ist ein 42 Jahre alter Mann, dessen Unternehmen United Internet in diesem Jahr den Aktienkurs aus der Zeit des Internet-Booms an der Börse übertroffen hat. Sein Aktienpaket ist etwas über eine Milliarde Euro wert. Er hatte bisher immer ein Gespür für das, was kommt und was wichtig wird, jetzt glaubt er, dass das Segeln kommt und wichtig wird und liegt sicherlich wieder nicht falsch. Seine Konzernzentrale unterhält er in Montabaur, einem beschaulichen Ort in der Mitte von Deutschland, in der Eifel, denkbar weit vom Wasser entfernt. Hier sieht alles sehr funktional aus; ein ellipsenförmiges Gebäude, erster Stock: Bürotür an Bürotür, zweiter Stock: Bürotür an Bürotür, und ganz am Ende des zweiten Stocks, links in der Ecke, ist Dommermuths Bürotür. Er hat fünfzig Millionen Euro in das deutsche Team investiert. Allein das in Kiel getaufte Boot kostet zehn Millionen Euro. Warum macht er das?

»Sicher nicht aus Segelleidenschaft«, sagt Dommermuth. Es geht ihm nicht um eine Investition aus persönlicher Vorliebe. »Wir steigen immer mehr in den Massenmarkt ein. Deshalb wollen wir eine höhere Bekanntheit erlangen. Das erste deutsche Boot zu sein erschien uns als gutes Attribut für die Marke.« Das ist Marketingsprache, doch so klingt es, wenn Segeln zum Sponsorengeschäft wird.Dommermuth erzählt, wie er im Herbst 2004 eine E-Mail von einem Mitarbeiter bekam, der fragte, ob es nicht eine gute Idee wäre, beim America’s Cup als Sponsor einzusteigen. Er hörte sich um und entschied, nur in ein deutsches Boot investieren zu wollen. Es gab zwar schon eine deutsche Kampagne, die »Fresh 17« hieß, weil an Bord eines Cuppers 17 Mann segeln, aber die erschien dem Unternehmer Dommermuth zu unstrukturiert, zu undurchsichtig. Er versuchte mit dem mittelständischen Unternehmer Michael Illbruck etwas auf die Beine zu stellen. Illbruck ist einer jener Mittelständler, die mit dem Segeln eine Leidenschaft verbindet; sein Vater Willi Illbruck war Partner und Konkurrent von Hans-Otto Schümann im Admiral’s Cup. Michael Illbruck und Dommermuth waren sich im Grunde einig, obschon Illbruck Bedenken hatte.

Ausgerechnet in dieser Phase, sagt Dommermuth, rief ihn Uwe Sasse an, einer der Initiatoren von Fresh 17. Dommermuth stieg ein, er sagte kurzerhand Illbruck ab, und im April letzten Jahres stand zwei Tage vor Meldeschluss die deutsche Kampagne. Doch sofort bekam Dommermuth Ärger mit Sasse, der sich auch als Ausrüster und Vermarkter der Kampagne verstand. Es folgte eine Auseinandersetzung, »härter als alles, was ich bisher aus dem Wirtschaftsleben kannte«, sagt Dommermuth. Er zahlte Sasse Ende 2005 aus, setzte seine eigenen Leute ein, mit denen er seit vielen Jahren zusammenarbeitet, die seinen Aufstieg in der Eifel begleitet haben. Chef des deutschen Teams ist nun ein Mann namens Michael Scheeren, der vom Segeln vorher wenig Ahnung hatte, der aber aus Dommermuths Unternehmen kommt und als guter Kaufmann gilt.

Es ist Dommermuth gelungen, eine Kampagne aus dem Boden zu stampfen, die den Cup zwar nicht gewinnen wird, aber bei den Ausscheidungsregatten 2007 einen Platz im Mittelfeld erreichen kann. Es segeln alle Teams in einer Punktrunde und schließlich im K.-o.-Verfahren so lange gegeneinander, immer Boot gegen Boot, bis eines übrig bleibt, das gegen den Titelverteidiger antreten darf. Ein halbes Dutzend Versuche, ein deutsches Team zumindest an den Start zu bringen, sind bereits gescheitert, darunter die ambitionierte Aerosail-Kampagne von Daimler-Benz. Was Dommermuth gelungen ist: Er hat die Struktur des damals noch unfertigen Fresh- 17-Teams, das er übernommen hat, vereinfacht. Es gehört seiner Firma und ihm, was heißt, dass er im Zweifel aus seinem Privatvermögen zahlen kann. Die Segelcrew, zusammengestellt und geführt vom dänischen Olympiasieger Jesper Bank, wurde mit ordentlichen Verträgen ausgestattet. Das neue Boot hat eine renommierte Kieler Werft gebaut. Nachdem Dommermuth den großen Streit am Anfang überstanden und mit Geld gelöst hat, sieht jetzt alles einfach aus. Das liegt in erster Linie daran, dass Dommermuth keine Angst um seine Investition hat, weil er sie für eine gute hält. Offen ist allein die Frage, wie erfolgreich das Team sein wird.

Diese nicht ganz unerhebliche Frage hat BMW bereits gelöst. Es handelt sich bei der Partnerschaft mit dem US-Konzern Oracle um eine international angelegte Kampagne, und dank des deshalb noch einmal weitaus höheren finanziellen Einsatzes und der Erfahrung vom letzten Cup – das Boot unterlag damals erst im letzten Ausscheidungsrennen gegen das von Russell Coutts gesteuerte Schweizer Boot – gilt BMW/Oracle als Favorit fürs Erreichen des Finales gegen Alinghi.

Jan-Christiaan Koenders, Leiter der Markenkommunikation bei BMW, erzählt am Mobiltelefon, dass er schon am Hafen von Valencia sitzt, wo der Cup in einem Jahr stattfinden wird. Es wachsen hier schon die Camps der Teams, allerdings erinnern manche eher an luxuriöse Anwesen. Ab Mai dieses Jahres wird hier wieder ge-segelt, da dem Cup mittlerweile viele, sportlich wenig relevante Vorregatten vorausgehen, um die teuren Teams im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Natürlich ist Koenders auf die Frage vorbereitet, warum ein Autobauer eine Segelkampagne unterhält. Er sagt: »Man muss überraschende Wege finden, die Kunden für eine Marke zu begeistern.« Segeln setze Themen für die Zukunft, da sehr viel Hightech eingesetzt werde, außerdem bewege man sich in einer »Premium-Umgebung«. BMW sponsert auch Golf, »90 000 Menschen spielen Golf mit uns«, sagt Koenders im Hafen von Valencia. Golf ist wichtig für die betuchte Klientel, das Engagement in der Formel 1 soll »Hightech-Kompetenz im Kerngeschäft« vermitteln, dem Auto. Segeln, sagt Koenders, soll dieses Bild abrunden. Neben dem Image gehe es darum, »den Kunden Erlebnisse zu bieten. Zum Beispiel einen Tag Driver-Training, einen Tag Golfen, oder eben einen Tag Segeln – und zwar mit der Persönlichkeit BMW.« So gesehen bekommt der Konzern für seine Investition ins Segeln etwas Unbezahlbares, nämlich menschliche Züge.

Damals, als sich der Schweizer Biotech-Milliardär Ernesto Bertarelli überlegte, dass er den Cup 2003 gern gewinnen würde, war klar, was er dazu neben rund 100 Millionen Euro brauchte. Er verpflichtete Russell Coutts, den Neuseeländer, und die wichtigsten Männer der neuseeländischen Crew; man braucht laut Reglement lediglich einen Wohnsitz in dem Land, für das man im Cup segelt, nicht aber dessen Staatsbürgerschaft. So lässt sich sagen, dass 2003 Neuseeland den Cup zum dritten Mal hintereinander gewonnen hat, dass aber diesmal auf Neuseeland Schweiz draufstand. Und so lässt sich außerdem sagen, dass Bertarelli mit der Verpflichtung von Coutts einen Segel-Boom in Europa ausgelöst hat. Coutts selbst profitiert davon nicht mehr. Er hat sich mit dem Team Alinghi überworfen.

Die Folgen des von ihm ausgelösten Booms sind jedoch zu spüren, bis auf die Straße, die den Kieler Yachtclub von der Ostsee trennt. Zur Taufe des im April dort aufgebockten deutschen Bootes war als Patin Eva Luise Köhler angereist, die Ehefrau des Bundespräsidenten. Sie flocht einen kleinen Versprecher ein, als sie anmerkte, sie freue sich, dass Deutschland »bei diesem unglaublichen Ereignis« dabei sei, »diesem Ameri’s Cup«. Den Hauptsponsor Ralph Dommermuth begrüßte der Moderator der Taufe – ZDF-Mann Wolf-Dieter Poschmann war für diesen Job verpflichtet worden – als »Rolf Dommermuth«. Auch dies nur ein kleiner Versprecher, aber vielleicht zeigen beide, dass zwar immer mehr übers Segeln und seine Protagonisten gesprochen wird, dass aber der Sport und seine Hauptfiguren noch neu sind im öffentlichen Bewusstsein. Auf der Terrasse des Yachtclubs wird Ralph Dommermuth dann nach dem Händedruck mit dem alten Hans-Otto Schümann von einem Leibwächter davongeleitet. Schümann bleibt stehen.