Schwarzer Rips. Wirkt vorgestrig, ein Kleid aus schwarzem Rips, das fingernagelbreit über den dunkelbraunen Mittelpunkten ihrer schönen kleinen Brüste beginnt. Die nimmt sie, wenn sie von sich erzählt, immer wieder in ihre Hände und rückt sie liebkosend zurecht. Das ripsene Minimum endet unmittelbar unterm Ansatz ihres Schoßes. Sie stammt aus Budweis in Tschechien. »Von wo das gute Bier kommt.« Ihr Haar ist blond. Sie nennt sich Theresa, ist Anfang zwanzig und von Beruf Hure.
»In ist, wer drin ist«, lernen Passanten durch den Slogan an der Fassade des Zweckbaus, in dem Theresa ihrem Gewerbe nachgeht.
Der junge türkischstämmige Taxler, der mich aufgelesen hat, sah mich unbewegt an, als ich ihm mein Ziel nannte: »Zum ›Herz As‹. Wissen Sie, wo das ist?« Er: »Klar, in der Triebstraße.« Seine Miene sagte, was er dachte: »So seid ihr Christen. Sogar an diesem Familienfest müsst ihr in den Puff.« Der Eindruck blieb, auch als er erklärte, »heute Abend« sei es mit Freudenhaus-Fuhren »mau, noch mauer«, als es »das ganze Jahr über« gelaufen sei. »Ohne Moos ist nix los!« Und erst der Straßenstrich. Der liege völlig danieder. Drinnen im Haus Triebstraße 11a empfängt mich, in dunkelrotem Schummerlicht, zu Once in Royal David's City aus den Hälsen eines Kinderchores, Schorsch, ein Bayer: »Ich bin hier der Wirtschafter.« Er sitzt wie der Kassierer eines Vorstadt-Fußballvereins an einem wüst bepackten Schreibtisch in einem Kabuff, lutscht an einer Zigarette und sieht sich im Fernsehen einen Kriegsfilm an. An Heiligabend, halb zehn Uhr abends.
Theresa sitzt im roten Samtrund des »Führringes«, zierlich und trotz ihres sparsam geschneiderten Gewandes eher züchtig als verrucht.
Peter aus Freiburg steht seit drei Jahren hinter der Bar. Ein Opfer der Banken. »Ich hab als selbstständiger Kaufmann jahrelang erfolgreich Dachgeschosse ausgebaut und dann leider dem Fuzzi der Dresdner Bank vertraut, der mir riet: ›Investieren Sie im Osten. Das rechnet sich.‹« Der Bank ist kein Schaden entstanden. Aber alles, was er besaß ist »weck!«. Also: Nachtschicht im Puff.
Er erzählt davon, dass »die Typen, die sich in den Diskotheken der Innenstadt einen ansaufen und trotzdem keine aufgabeln können, kopfgeil zu uns düsen«, um sich von der Lust des Tages zu befreien. Es sei jedoch »alles sehr viel weniger geworden«. Früher hätten einige ihren regelmäßigen Auftritt gehabt. »Mit der Knete haben sie ihr Selbstvertrauen verloren.« Dabei, findet er, »haben wir unsere Preise auch nach Einführen des Euro eins zu eins gehalten: Was früher 20 Mark gekostet hat, kostet jetzt 20 Euro.«
Seine Rede perlt. Wie das Bier, das er ausschenkt. »Geh doch mal rüber zu Theresa. Die sitzt sonst ganz allein im Laden.« Das tut sie wirklich. Sieht verloren aus. So wenig ausladend sie gebaut ist, so wenig einladend thront sie auf einem roten Plüschsofa. Heiligabend steht in der elften Stunde. Bald muss es stürmen. Denn vor einem Sturm soll stets unnatürliche Ruhe herrschen.
»Guten Abend, darf ich?« Meine Kopfbewegung macht klar: Ich will nur neben ihr Platz nehmen. Sie nickt und fragt: »Was wollen wir trinken?« Tja, was? Bier, das ist ihr anzusehen, wird sie nicht wollen. Nie. Auch dann nicht, wenn der Kalender keinen kirchlichen Feiertag anzeigt. Schaumwein? »Ja!« Keinen Sekt. »Champagner. Heute. Am Heiligen Abend!« Geordert. Und apropos stille Nacht, heilige Nacht: »Wieso arbeitest du an einem solchen Tag?« - »Weil's cool ist! Ist doch mal was anderes.« - »Kein schlechtes Gewissen?« - »Wieso?« - »Na ja, weil die christliche Welt heute in Familie macht.« - »Ja und?«
Ob sie, eine Tschechin, denn nicht religiös sei? Doch, sie komme aus einer tiefreligiösen Familie. »Beichtest du denn das, was du tust?« - »Nein! Solange ich meinen Körper verkaufe, so lange ruht meine Mitgliedschaft in der Kirche.« Sie wisse, dass das Lossprechen von begangenen Sünden die Absolution nur greife, wenn der beichtende Mensch »reuig und zur Umkehr bereit ist«.
Sobald sie indes das mit der Sünde der Unkeuschheit und der Hurerei befleckte Kleid abgelegt habe, werde sie in den Schoß der Kirche zurückkehren. Inniglicher kann es auch bei der Heilsarmee oder auf dem Katholikentag nicht zugehen.Koko und Stephanie stoßen zu uns. Harry Belafonte singt: Hark, now hear the angels sing, a new King born today, and man will live for evermore, because of Christmas day. Koko, Jamaikanerin, singt halblaut mit. Stephanie, Griechin aus Athen, schweigt. Ihre Mimik und ihre Gestik erwecken den Eindruck, wir säßen beisammen, den Tod Jesu am Karfreitag zu beklagen, und nicht, seine Geburt am Heiligen Abend zu feiern.
Dabei ist sie gewandet, wie sich die Provinz vorstellt, dass eine Nutte aussieht: eine mit roten Bändchen applizierte schwarze Korsage aus der wenig hervorquillt, seidig glänzende schwarze Strümpfe mit schwarzseidenen Strapsen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Stephanie stürzt schluchzend aus dem Raum)
Koko dagegen sieht aus, als sei sie auf dem Weg in ein Strandbad ihrer Heimatinsel: Sie trägt Rastazöpfchen mit eingeflochtenen bunten Perlen und einen blauseidenen Bikini mit bunten Bommeln. Champagner mögen und möchten sie beide. Und wie gemacht für den Augenblick tönt ein gemischter Chor: Les anges dans nos campagnes...ce chant mélodieux. Gloria in excelsis Deo! Die Uhr schlägt Mitternacht.
Peter ist es hinterm Tresen zu trist geworden. Er gesellt sich zu uns. Er freut sich, als Theresa erklärt: »Deutsche Männer sind nett.« Und sie treibe es »nur mit Gummi«. Worauf Koko und Stephanie fragen: »Wie denn sonst?«
Stephanie sagt: »Ich will, wenn ich in Griechenland bin, meine Nichten und Neffen kosen, ohne die Angst, sie mit irgendetwas anzustecken. Das könnte ich nicht, wenn ich ohne Präser lümmeln würde.« Sie sagt wahrhaftig »kosen« und »lümmeln«.
Anschließend ist in der Runde die Rede von Aids, Hepatitis und anderen angeblich verdienten göttlichen Strafen. Die müssen nach Ansicht von Frömmlern jedem Vergnügen auf dem Fuße folgen. Dazu haben die Christin Theresa, die Buddhistin Koko »Ich komme aus einer evangelischen Familie« , die griechisch-orthodoxe Stephanie und der römische Katholik Peter ihre eigenen Ansichten. Die allerdings sind nicht druckreif. Es geht auf ein Uhr zu.
Mein weißes Hemd und das von Peter stehen bläulich phosphoreszierend in der Talkrunde.
Kokos Mobiltelefon wimmert. Sie nimmt das Gespräch auf. Eben noch laut und lustig, flüstert sie jetzt. Wendet sich ab. Einzig der Satz: »Wenn ich gewusst hätte, dass hier nichts los ist, wäre ich zu Hause geblieben« ist zu verstehen. Das Gespräch ist bald beendet. »Fünf Jahre habe ich Heiligabend bei einer befreundeten italienischen Familie verbracht. Dieses Mal dachte ich mir: ›Das kannst du denen nicht immer zumuten.‹« Darum sei sie ohne Absage weggeblieben. Dafür sei sie gerade von der Freundin gescholten worden. Stephanie stürzt schluchzend aus dem Raum. In dulci jubilo cantate domino zwitschert dazu der Windsbacher Knabenchor.Gegen halb zwei die Weihnachtsschnulze Stille Nacht, Heilige Nacht klebt, von Dean Martin als Silent Night, Holy Night gesungen, in der Bude steht plötzlich und unerwartet ein junger Mann in wattierter Jacke und Turnschuhen im Raum.
Er nickt Theresa zu. Die geht sofort zu ihm. Ich frage ihn, ob er mir ein, zwei Fragen wegen seines Besuchs beantworten wolle. Er sieht mich an, als ob er aufgefordert worden wäre, eine lebende Kreuzspinne durchzubeißen. Beide gehen wortlos ab. Sieben Minuten später ist Theresa zurück. »Das war wieder so ein netter muslimischer Türke, der mir gesagt hat, wie schön ich sei, und mich fragte: ›Warum machst du das?‹«
Als ich erwähne, es sei mit einem Freier in vier Stunden ziemlich wenig los, singen die drei Frauen und der Mann wie aus einem Munde: »Das siehst du falsch. Warte ab. Zwischen vier und halb fünf geht hier die Post ab.« Adeste, fideles, laeti triumphantes, jubelt es dazu aus den Lautsprechern des Hauses.
Um drei Uhr dreißig belagern drei gut gekleidete Männer Stephanie auf dem nebenan stehenden Sofa. Nach wenigen Minuten ziehen sie unverrichteter Dinge von hinnen. »Albaner«, meldet sie. Am Preis sei es gescheitert.
Mengenrabatt gebe es bei ihr eben nicht. Peter ist inzwischen weiter: »Dieser Puff ist genauso gut oder schlecht wie die Horoskope in den Tageszeitungen«, sinniert er. Macht jedoch keine Anstalten zu erklären, was er damit meint. Theresa, die sich unbeobachtet fühlt, lässt die Mundwinkel bis auf die Knie hängen. Sogar Koko lahmt.
Irgendein Rundfunkmensch erlaubt sich einen Scherz mit uns: Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!, tönt es aus dem Radio.
»Wir haben Geduld«, findet Koko. Das nützt ihr nichts. Die Zeiger der Uhr stehen auf vier. Noch immer keine Kundschaft. Allmählich schmeckt der Champagner nicht mehr.
Und die Themen gehen aus. Oder ist es die Lust am Reden, die nach sechs Stunden erloschen ist? Um halb fünf bitte ich Schorsch, mir ein Taxi zu rufen. Als ich in den »Führring« zurückkomme, um mich von Theresa, Koko und Stephanie zu verabschieden, liegen die ausgestreckt und zugedeckt auf je einem Sofa und dämmern dem Ansturm entgegen.
Der Taxifahrer, der mich am 25. Dezember heimbringt, sagt, wenn's hoch kommt, habe er im Laufe der Nacht über Funk von fünf Bordellfahrten gehört. Ich bin abgeschlafft und angeregt zugleich. Wie es so geht nach der lang dauernden Weihnachtsfeier eines Münchner SPD-Ortsvereins. Oder wo war ich? Fröhlich und beseligend war's jedenfalls nicht. Die drei Frauen allerdings werde ich so schnell nicht vergessen.