Jeder braucht was, das ihn Schaf macht

Männer suchen im Internet nach Sex, klar - aber wonach genau? Zwei Forscher haben es analysiert. Mit unerwarteten Ergebnissen.


SZ-Magazin: Herr Ogas, Ihr Buch beginnt mit dem bezeichnenden Zitat: »Die Erforschung der Lust ist nichts für Zartbesaitete.« Mit Ihrem Kollegen Sai Gaddam haben Sie 55 Millionen Sex-Suchanfragen und Millionen erotischer Geschichten und Kontaktanzeigen im Internet ausgewertet. Wie schlimm war die Arbeit?

Ogi Ogas: Das war tatsächlich nichts für Zartbesaitete. Als Wissenschaftler darf man aus zwei Gründen beim Thema Sex nicht empfindlich sein: Einerseits begibt man sich mitten in eine heftige politische Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Liberalen über die Frage: Was ist normal? Unsere Forschungsergebnisse haben einige Leute verärgert. Andererseits wird man bei der Untersuchung menschlicher Sexualität mit sehr seltsamen Vorlieben konfrontiert.

Sie schreiben: »Alles, was man sich nur vorstellen kann, existiert bereits im Web als Pornografie.«
Genauso ist es. Und wir wollten jede Sexpraktik, über die wir schreiben, selber angesehen und mit Menschen gesprochen haben, die sie praktizieren.

Was war das Seltsamste, was Sie im Netz gefunden haben?
Kennen Sie in Deutschland Calvin und Hobbes?

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Der Cartoon über einen rebellischen Jungen, der Lehrer und Eltern zur Verzweiflung treibt, und seinen imaginären Freund, einen Tiger?
Genau der. Im Internet gibt es eine Zeichnung, in der Calvin und der Tiger einen recht explizit dargestellten Dreier mit Calvins Mutter haben. Dieser Comicstrip ist so detailliert gemalt, es muss einen ganzen Tag gedauert haben, das anzufertigen. Das kann man abartig finden, aber es ist doch erstaunlich, auf welche Ideen das menschliche Gehirn beim Thema Sex kommt. Und es gibt eben auch wunderbar fantasievolle Umsetzungen. Am kreativsten sind wahrscheinlich alle Bereiche von Dominanz- und Unterwerfungsfantasien. Übrigens eine der wenigen sexuellen Fantasien, in der sich Männer und Frauen sehr ähnlich sind.

Wie unterscheiden sich Männer und Frauen, wenn sie im Internet nach Pornografie suchen?
Männer sind sehr einfach zu erregen. In Gefängnissen malen sich Männer etwa Strichfiguren beim Sex an die Zellenwand, das reicht notfalls als Stimulierung. Eine Frau braucht gleichzeitige multiple Stimulierung, ein bloßer visueller Reiz reicht dafür selten. Das Einzige, was Frauen weltweit gern sehen, sind Hintern von Männern. Aber bei Weitem nicht so gern, wie Männer Frauenhintern ansehen. Frauen mögen erotische Geschichten mehr als die bloße Abbildung von Sex.


Welche Art Geschichten?

Sehr beliebt ist fan fiction, also Sexgeschichten, in denen normale Frauen sich ausmalen, wie sie mit Stars der Popkultur intim werden. Das finden Sie in Russland wie in Indien, Deutschland, den USA. Je nach Land variieren nur die Schauspieler und Musiker. Männer suchen und tauschen lieber Fotos von nackten weiblichen Promis.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass männliche Affen in einem Versuch mit Früchten dafür »bezahlten«, dass sie Bilder von Geschlechtsteilen weiblicher Affen sehen durften. Ist der Mann sexuell auf der Entwicklungsstufe des Affen stehen geblieben?
Es gibt einen Unterschied zwischen sexuellen Fantasien und sexueller Erregung. Die bloße Erregung ist viel, viel simpler. Eine Fantasie ist etwas, was man im echten Leben gern ausprobieren würde, sicher ein komplexerer Vorgang, zu dem Männer durchaus fähig sind.

Etwas Statistik bitte: Was sind die fünf häufigsten Suchanfragen zum Thema Sex?
»Jung«, »schwul«, »Milf«, also ältere Frauen, »Brüste«, »untreue Ehefrauen«.

Warum suchen Männer denn nach untreuen Ehefrauen?
Auf diesen Videos oder Fotos tun Pornodarsteller so, als ob die Frau vor den Augen ihres Mannes fremdgeht. Die Vorstellung scheint nicht wenige Männer zu erregen.

Sollten sie nicht eifersüchtig sein?
Sexuelle Bedürfnisse können eben widersprüchlich sein. Im Tierreich sieht man bei vielen Arten, dass die Männchen unmittelbar nacheinander mit demselben Weibchen Geschlechtsverkehr haben. Biologen nennen das den »Sperma-Wettbewerb«. Seine Partnerin zusammen mit einem anderen zu beobachten, erhöht den Wunsch, mit ihr zu schlafen.

Männer liegen falsch, wenn sie denken, dass Frauen große Penisse suchen

Dr. Ogi Ogas, Neurobiologe aus Boston, USA
Und warum sind ältere Frauen so beliebt als Sexfantasie bei jüngeren Männern? Wird so etwas ausgelöst durch Promipaare wie Ashton Kutcher und die deutlich ältere Demi Moore?
Wir haben nicht die Daten, um sagen zu können, was Männer im Jahr 1960 interessiert hat. Aber seit wir Daten vorliegen haben, seit 2001, ist das Interesse an älteren Frauen gleich hoch und das weltweit – in Indien, Japan, Deutschland, Südamerika, überall. Ich erkläre es mir so: Die ältere Frau ist ja meist gebunden, also verheiratet, so gesehen bedeutet Sex mit ihr, an nichts gebunden zu sein, Sex ohne Folgen. In Pornofilmen werden diese Frauen oft als sexuell aktiv und tonangebend gezeigt. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die Suchkategorie »jung« deutlich beliebter ist als »alt«, bei Heterosexuellen wie bei Homosexuellen. Allerdings nur bei Männern. Frauen mögen Erfahrung.

Noch eine Überraschung Ihrer Studie: Männer suchen nicht unbedingt sehr schlanke Frauen.
Männer suchen erotische Fotos von gesund aussehenden Frauen, und wenn sie die Wahl haben zwischen unter- oder übergewichtigen Frauen, nehmen sie die übergewichtigen. Wir haben uns die 200 beliebtesten weiblichen US-Erotikdarstellerinnen angesehen und ihren Body-Mass-Index. Er lag im gesunden Bereich. Nicht darunter.

Was die Erotikindustrie als Schönheitsideal vorgibt, etwa übergroße Silikonbrüste, ist nicht unbedingt das, was Männer am Computer suchen?
Nein, Männer bevorzugen Amateurdarstellerinnen mit natürlichen Körpern. Wissen Sie, was interessant ist? Auch heterosexuelle Männer sehen sich sehr gern große Penisse an.

Stellen sie sich vor, es wäre ihr eigener?

Nein, darum geht es nicht. Bei Affen sind Penisse ein sehr wichtiges und sichtbares soziales Werkzeug, das Aggression oder Erregung zeigt; alle männlichen Primaten achten sehr auf die Geschlechtsteile ihrer Konkurrenten. Es ist eher eine Art sexuelle Information als erotische Faszination. Männer sind sich übrigens sicher, dass Frauen auch gern große Penisse sehen wollen – ganz falsch.

In Ihrem Buch erklären Sie sehr viel mit unserer Abstammung und vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden entstandenen Prägungen. Sind wir immer noch Höhlenmenschen?

Manche Verhaltensweisen unserer Sexualität haben ihren Ursprung in einer Zeit noch vor den Höhlenmenschen. Der fundamentale Unterschied im Design des männlichen und weiblichen Gehirns ist: Männer sind darauf programmiert, bei Frauen auf den Körper zu achten, Frauen bei Männern dagegen auf die Persönlichkeit. Das ist so, seitdem wir soziale Primaten wurden. Die meisten sexuellen Verhaltensweisen von Männern und Frauen lassen sich so bis heute erklären.

Der Mensch hat so viel dazugelernt in seinem Verhalten, nur beim Sex sind wir unverbesserlich?
Unsere Sexualität ist so tief in uns verankert und von derart fundamentalen Instinkten geleitet – vieles davon passiert im Unterbewusstsein, Sexualität gehört zum ältesten Teil unseres Gehirns, da ändern wir uns nicht sonderlich.

Sie haben Ihre Frau aber sicher nicht nur wegen ihres Hinterns geheiratet, oder?
Jetzt reden Sie über Beziehungen, das ist ein wesentlich komplexeres Thema als Sexsuche im Internet.

An dieser Stelle wird Ihr Buch oft missverstanden. Sie sagen: Der moderne Mann reagiert unterbewusst auf ähnliche Reize wie der Steinzeitmensch. Ihre Kritiker lesen darin die Aussage: Der moderne Mann verhält sich immer noch wie ein Steinzeitmensch.
Wir fragen in unserem Buch: »Was macht uns an?« Aber wenn es um Partnerschaft geht, sind Gefühle, der soziale Status, persönliche Erfahrungen wichtig, das ist ein viel weiteres Feld als reine Lust. Sex ist nur ein Teil menschlicher Partnerschaft. Unsere Vorstellungen von Beziehungen sind weit wandelbarer, wie die Geschichte zeigt. Was uns anmacht, ist oft noch urzeitlich.

Verändert sich unsere Lust im Lauf unserer Lebenszeit?
Beim Mann ist die prägende Phase die Pubertät, in dieser Zeit, zwischen zwölf und 22 Jahren, entwickeln sich seine Vorlieben. Der Mann mit 65 mag vermutlich immer noch das, was er auch mit 25 erotisch fand. Das hat auch tragische Züge, wenn 70-jährige Männer immer noch 25-jährige Frauen am attraktivsten finden. Frauen sind anders, anpassungsfähig, sie entwickeln ihre Vorlieben weiter, eine Frau kann mit 45 ganz andere Dinge erotisch finden als mit 25.

Transsexuellen-Erotik hat nicht das Internet erfunden

Wie unterscheiden sich Suchanfragen in Nigeria von denen in Deutschland?
Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Aber auch wenn alle Männer weltweit gern Brüste, Hintern und Penisse ansehen, finden unterschiedliche Länder doch unterschiedliche Körperteile spannend. Indien etwa den Bauch, Japan die Innenseite der Schenkel, in Südamerika ist der Po noch beliebter als in anderen Kontinenten.

Und der häufig belächelte Fußfetischist? Gibt es den oft?
Männer können biologisch tatsächlich viel leichter einen Fußfetisch entwickeln als etwa einen Handfetisch. Wohl weil der Fuß Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit einer Frau zulässt. Wenn eine Frau schwanger ist, wachsen etwa ihre Füße. Egal, ob man sich moderne Staaten oder Nomadenvölker ansieht: Männer finden immer unterdurchschnittlich kleine Füße anziehend. Interessant ist übrigens auch, welches Tier in welchem Erdteil am beliebtesten bei Sodomiten ist.

Und?
In Neuseeland das Schaf, in Großbritannien das Pony, in Saudi-Arabien das Kamel, in Deutschland, wenn ich mich richtig erinnere, das Pferd.

Wie haben Sie während Ihrer Studien auf so viel Pornografie in Ihrem Leben reagiert?
Ich habe drei Phasen durchgemacht: Zuerst war ich vor allem angewidert und dachte: »Oh Mann, muss ich mir das wirklich alles ansehen«? Ich bin eigentlich ein prüder Mensch. Doch bald, in der zweiten Phase, begann ich die Muster und Regelmäßigkeiten in den Sexsuchen zu erkennen. Ich hatte das Gefühl, unser sexuelles Denken allmählich zu verstehen, das war spannend. Die dritte Phase war Dankbarkeit: Wow, dachte ich, was für eine vielfältige, fast poetische Seite des menschlichen Gehirns doch die Sexualität ist! Als Gesellschaft finden wir den Sex provokativ, ich finde ihn und seine Ausprägungen vor allem faszinierend.

Sie haben Daten von 2001 bis 2010 ausgewertet. Haben sich die Suchanfragen in dieser Zeit verändert?
Bis etwa 2007 waren Bezahlseiten für bestimmte sexuelle Vorlieben das vorherrschende Modell der Online-Erotik. Dann kamen die »Tube«-Seiten auf, Kopien von Youtube, nur mit pornografischen Inhalten, und übernahmen sofort den Markt. Vorher tippten die Leute ihre Sexsuchen in Google ein, jetzt gehen sie direkt auf die Tube-Seiten und suchen dort.

Wenn 13-Jährige, die ihre Sexualität entdecken wollen, auf Youporn landen, wird ihnen dann nicht durch die dort vorherrschende stumpfe Zwei-Minuten-Hardcore-Sexszene ihre Fähigkeit zur Fantasie genommen?
Bisher war Internetpornografie ein Spiegel unserer Sexualität, kein Schöpfer unserer Sexualität. Transsexuellen-Erotik hat nicht das Internet erfunden; es gibt sie dort, weil wir sie dorthin gebracht haben. Aber jetzt wird eine neue Generation groß, die mit Internetpornografie aufwächst. Es entsteht ein Kreislauf: Die ältere Generation gibt der jüngeren ihre Fantasien vor. Es wird schwieriger für junge Menschen, davon abzuweichen oder neue Fantasien hinzuzufügen.

Was lernen wir von Ihrer Studie?
Viele Missverständnisse zwischen Männern und Frauen entstehen, weil wir beim Sex so verschieden sind. Wenn man das erst einmal verstanden hat, lernt man eher, auf die Bedürfnisse seines Partners einzugehen. Mit unserem Buch kriegen Sie also besseren Sex. Nicht schlecht, oder?

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Info:

Wie wertet man 55 Millionen Suchanfragen aus? Mit seinem Kollegen Dr. Sai Gaddam schrieb Dr. Ogi Ogas, Neurobiologe aus Boston, USA, ein Computerprogramm, das ein Jahr lang die Anfragen der Metasuchmaschine »Dogpile« auswertete, zusätzlich erhielten die Forscher Einblick in Datensätze großer Pornoseiten. Dankbar waren sie auch für Suchanfragen von gut 650 000 Nutzern, die AOL veröffentlichte.

Ihr Buch »A Billion Wicked Thoughts« erscheint am 23. April unter dem deutschen Titel »Klick! Mich! An! Der große Online-Sex-Report«.

Foto: DoMonRai / photocase.com, Dan Perez de la Garza