Es war in Shizuoka, ein warmer Tag im Juni 2002. Fußball-Weltmeisterschaft in Japan, Deutschland hatte gegen Kamerun 2:0 gewonnen und war im Achtelfinale, obwohl Kamerun besser gespielt hatte. In einem Kellerkabuff unten im Shizuoka Ecoba Stadium trafen die Reporter mit den Spielern zusammen, die Wände waren frisch verputzt, der Boden voller Kabel. Es war heiß dort unten, aber es sah kalt aus wie in einer Fabrikhalle. Hinter einer Absperrung standen die Spieler. Die Kameruner, riesig wie Bäume, waren traurig und böse und enttäuscht. Sie waren ausgeschieden, in der Vorrunde, und es waren Reporter aus Kamerun da, die gehofft hatten, ihre Spieler würden Weltmeister. Eigentlich hatten sie es erwartet – und nicht nur sie: Bis dahin war der afrikanische Fußball immer ein Versprechen gewesen, diesmal schien die Mannschaft im Stande, es einzulösen. Fachleute aus aller Welt hielten Kamerun für einen Mitfavoriten, das Aus war eine gewaltige Enttäuschung, die sich entladen musste. Die Reporter schimpften mit den Spielern und die Spieler schimpften mit den Reportern. Die Spieler hatten zum Teil schon geduscht, stand man nah bei ihnen, konnte man ihr Shampoo riechen. Raymond Kalla, der Verteidiger, redete auf die Reporter ein und hatte dabei die Fäuste geballt. Rigobert Song, der Kapitän, schüttelte den Kopf und seine Rastalocken flogen um sein Gesicht wie eine Gardine vor offenem Fenster. Marc-Vivien Foé stand ganz vorn an einem der Absperrbänder. Er beruhigte die Reporter und klopfte seinen dampfenden Mitspielern auf die Oberarme. Foé war wie ein Leuchtturm in einem tobenden Meer, nicht nur weil er so groß war, fast zwei Meter. Ein Diplomat mit einer Ernsthaftigkeit und Ruhe, die sich einem, der damals als deutscher Journalist einfach so dabeistand, irgendwie einprägte. Es war der Moment, in dem man sich dafür zu interessieren begann, wie es weitergehen würde mit dem großen, ernsten schwarzen Mann, der die Nummer 17 trug und den man gerade ein bisschen kennen gelernt hatte. Manchmal sah man ihn in den nächsten Monaten auf Eurosport im Nachtprogramm, wenn sie die Spiele seines Klubs zeigten, Manchester City. Oder man schaute bei Ebay nach, was ein Autogramm von ihm so kostet. Foés Autogramme gab es nach der WM für drei, vier Euro. Aber ein Jahr später gingen die Preise nach oben, von einem Tag auf den anderen, vom 26. auf den 27. Juni 2003. Die Nachfrage war plötzlich so groß, weil die ganze Welt ihn im Fernsehen gesehen hatte. Das Angebot war plötzlich so klein, weil er keine Autogramme mehr würde geben können. Am 26. Juni 2003 war Marc-Vivien Foé, 28 Jahre alt, gestorben. Vor laufenden Kameras. Und dass die Mannschaft Kameruns, die bei Weltmeisterschaften längst einen Stammplatz hatte, bei der WM in Deutschland fehlt, hat auch zu tun mit diesem öffentlichen Tod. Die Mannschaft hat seitdem nicht mehr viel gewonnen. Nicht dass ein Fluch auf ihr liegt – es fehlt der strategische Impuls eines Spielers, es fehlt die Ausstrahlung eines Spielers. Die Nummer 17 war nicht zu ersetzen, als Fußballer nicht und auch nicht als Autorität. Und wer den afrikanischen Fußball kennt, weiß, dass es nie an Leidenschaft fehlt – aber oft an einem, der den Überblick behält. Es geschah in Lyon, Stade Gerland. Ein heißer Tag. Kamerun spielte im Halbfinale des Confederations Cup 2003 gegen Kolumbien, die 72. Minute, Kamerun führte 1:0. Marc-Vivien Foé trug das grüne Trikot mit der Nummer 17. Auf der Tribüne: seine Frau und seine Mutter. Er war gerade über den halben Platz gesprintet und lief jetzt wieder hinter die Mittellinie, um sich diesen Überblick zu verschaffen. Als er angekommen war, fiel er um. Er fiel einfach um. Sanitäter kamen und legten ihn auf eine Trage. Einer stolperte und Foé wäre fast von der Trage gerutscht. Die Helfer versuchten, seinen linken Arm an den Körper zu legen, aber es gelang ihnen nicht und im Stadion sahen es die Zuschauer und im Fernsehen sah man es auch, live oder später in den Nachrichten: wie ein Körper davongetragen wurde, grünes Trikot, Nummer 17. Der Arm baumelte wie ein toter Ast über dem Rasen. Sie versuchten später, im Notfallraum des Stadions, ihn wiederzubeleben. Das Spiel ging weiter. Die Kameruner hielten den Vorsprung und tanzten danach in der Kabine. Dann kam ein Mann von der Fifa, dem Weltverband, und sagte, die Nummer 17 sei gestorben. Das Herz, vermutlich das Herz. Die Spieler beteten und schrien, sie trauerten leise und laut. Winfried Schäfer, früher Spieler in Gladbach und Coach in Karlsruhe, war damals Nationaltrainer von Kamerun. Inzwischen arbeitet er in Dubai. Als man ihn anruft und sagt, es gehe um Marc-Vivien Foé, nur ein paar Fragen, wird es still in der Leitung. »Dass Sie ausgerechnet jetzt nach Marco fragen«, murmelt Schäfer. Er hat Marc-Vivien Foé immer Marco genannt. Er sagt, gerade habe er im Fernsehen ein Spiel der französischen Liga gesehen, vor fünf Minuten, da habe bei Nantes einer mitgespielt, der hieß ganz ähnlich: Fae. Es stand auf seinem Trikot. Und ihm seien sofort wieder die Bilder durch den Kopf gegangen von damals, wie Foé neben dem Rasen lag, die Augen so aufgerissen. »Und ausgerechnet jetzt rufen Sie an und fragen nach Marco. Das ist ja … das ist ja beinahe unheimlich.«
Winfried Schäfer ist keiner von den smarten Machttypen, die man jetzt oft in der Champions League auf den Bänken sitzen sieht, er ist kein Mourinho oder Capello. Eher ein Vater für seine Spieler, und weil die Kameruner sich selbst »die Löwen« nennen und Schäfer sein längst weißes Haar als eine Art Löwenmähne trägt, hat es am Anfang ganz gut gepasst zwischen dem Team aus Afrika und dem Trainer aus Germany. Und zwischen ihm und Foé sowieso. Marc-Vivien Foé, früh Familienvater und schon mit 19 aus Kamerun nach Frankreich gewechselt, später zweimal Meister in Frankreich, sei ein Riesentyp gewesen, sagt Schäfer und erzählt, es sei bei den Mannschaftssitzungen manchmal sehr laut gewesen, ein paar seiner Spieler waren wie große Kinder, immer am Quatschen. Aber dann habe sich Foé umgedreht zu den anderen und etwas gesagt, nur ein Wort. Schäfer verstand es nicht, er spricht nicht so gut Französisch. Jedenfalls seien alle sofort ruhig gewesen, wenn Marco was sagte: Der musste die anderen nur anschauen, dann rissen die sich zusammen. Schäfer hat dem Spieler Foé einmal ein Spielfeld aufgemalt und seine Position angekreuzt, die Position des Antreibers im Mittelfeld, des Kontrolleurs, des Kontaktmanns für ihn, den Trainer. Sie verständigten sich auf Englisch, »wir redeten stundenlang über Taktik. So einen findest du in der ganzen Bundesliga nicht mehr.« Sie gewannen die Afrikameisterschaft, schieden bei der WM 2002 zwar früh aus, lernten aber aus der Niederlage und kamen 2003 beim Confederations Cup ins Finale. Zum ersten Mal hatte eine afrikanische Mannschaft das Endspiel eines Fifa-Turniers erreicht, aber dafür war im Halbfinale zum ersten Mal ein Spieler bei einem Fifa-Turnier gestorben: Foé, der für das Glück der ganzen Mannschaft zahlte. Im Notfallraum hatten Helfer ein weißes Tuch über ihn gelegt, seine Frau küsste ihm noch einmal das Gesicht, die Mutter legte ihren Kopf auf seinen Bauch. Und Winfried Schäfer stand dabei und wusste nicht, was er tun sollte. Er hat ihm dann die Füße gestreichelt und ist bald rausgegangen. Er konnte es nicht ertragen. Das Ergebnis der Autopsie: angeborene Herzerkrankung, hypertrophe Kardiomyopathie. Zunehmendes Wachstum des Herzmuskels führt zum Zusammenbruch der Herzfunktion. Schäfer hatte sich Vorwürfe gemacht. Wäre es anders gekommen, wenn ich ihn ausgewechselt hätte? Aber gegen einen wuchernden Muskel kann kein Trainer etwas tun. Er war schuldlos. Gegen Albträume half die Diagnose trotzdem nicht. Die Kameruner spielten, drei Tage später, das Finale gegen Frankreich. Sie wollten es so. Beim Aufwärmen trugen alle Fußballer das Shirt von Marc-Vivien Foé, das grüne mit der 17. Auch Trainer Schäfer trug Foés Trikot. Dann gewann Frankreich 1:0, Thierry Henry schoss das Golden Goal und jubelte kein bisschen. Die Traurigkeit der Spieler war wohl echt in diesem Moment, die Betroffenheit der Fifa-Funktionäre war flüchtig. Sie wollten den Confederations Cup in Foé-Cup umbenennen. 2005, in Deutschland, hieß er noch immer Confederations Cup. Und das Stadion in Lyon heißt nicht Foé-Stadion, es heißt noch immer Stade Gerland. Winfried Schäfer war bald nach Foés Tod nicht mehr Kameruns Trainer. Es gab Ärger mit dem von Chaos durchdrungenen Verband, es ging auch um Geld, und er hatte nicht mehr diesen Spieler in der Mannschaft, der die Bosse beim Verband davon hätte überzeugen können, wie wichtig Schäfer war. Es kamen später neue Spieler ins Team, die dem alten Kapitän Rigobert Song in den Rücken fielen. Und Rigobert Song hatte nicht mehr Marc-Vivien Foé an seiner Seite, der die anderen mit einem Wort oder einem Blick disziplinieren konnte. Ihm fehlte Foé, wie er Schäfer fehlt und den vielen Armenhäusern, denen Foé Geld gegeben hatte. Er hatte nicht darüber geredet, aber nach seinem Tod fragten die Armenhäuser beim Verband nach den Spenden. So kam es heraus. Fast hätten sie sich trotz allem noch für die WM 2006 qualifiziert, sie mussten nur gegen Ägypten gewinnen im letzten Qualifikationsspiel, es stand unentschieden. In der Nachspielzeit pfiff der Schiedsrichter einen Elfmeter, der wie ein Geschenk war. Aber die Kameruner konnten sich nicht entscheiden, wer schießen sollte. Sie blickten hinter sich auf das Feld, aber da war nicht der, der die Verantwortung vielleicht übernommen hätte. Verteidiger Pierre Wome griff sich schließlich den Ball und trat ihn an den Pfosten. In der folgenden Nacht verwüsteten Fans sein Haus und zündeten sein Auto an. Vor dieser WM gab es also keine Kamerun-Trikots in den Sportgeschäften, keine Foé-Sammelbilder in den Panini-Tüten. Wer es nicht zu einer WM schafft, hört als Team irgendwie auf zu existieren. Aber Winfried Schäfer ist zur WM in Deutschland, und weil er sich im Fußball so auskennt, fragen ihn viele, auch im Fernsehen, wo alle zuhören. Er wird die Gelegenheit nutzen zu erzählen, wer bei der WM fehlt und warum. Er ist es dem Marco irgendwie schuldig. Wenn er an ihn denkt, fällt ihm noch eine Geschichte ein. Schäfer hatte einen deutschen Masseur dabei, mit dem sich Marc-Vivien Foé gut verstanden hat. Er genoss dessen Massagen. Er wollte die Sprache dieses Masseurs lernen. Da hat der Masseur manchmal bei der Massage mit ihm deutsche Weihnachtslieder geübt, weil die Texte so eingängig sind und weil Foé Musik mochte. Schäfer sagt: »Das Bild habe ich vor mir, da liegt dieser riesige Kerl, dieser wunderbare Fußballer auf der Pritsche und singt O du fröhliche.Er findet, schöner hat das Lied eigentlich nie jemand gesungen.