Wenn an diesem Wochenende die Formel-1-Saison 2010 beginnt, werden zwei neue Teams am Start sein, die von Männern finanziert werden, die hauptsächlich mit Fluglinien ihr Geld verdienen: der Milliardär Richard Branson mit seinem Rennstall »Virgin Racing« und der Malaysier Tony Fernandes, der das legen-däre »Team Lotus« wiederbeleben will.
Branson und Fernandes steigen nicht selbst in ihre Rennwagen, wie es wagemutige Millionäre aus Abenteuerlust und Renneifer früher taten, sie lassen andere für sich fahren. Für sie ist die Formel 1 nur ein Spielplatz. Die beiden haben für diese Saison nämlich eine Wette laufen: Wessen Team am Saisonende weniger Punkte hat, muss einen Tag lang in der Fluglinie des anderen Getränke servieren – in einem Stewardessen-Kostüm, versteht sich. Kaum war der Pakt verabredet, ließ Fernandes eine Fotomontage basteln, die Branson in einem engen roten Röckchen zeigt. Die Formel 1 galt einst als Spitze des Automobilsports. Inzwischen ist sie zu einem lieblos eingerichteten Museum verkommen: die Denkweise, das Frauenbild, die Technik – alles Relikte einer, zumindest in Zentraleuropa, längst vergangenen Zeit. Die Vermarktungsrechte der Show gehören inzwischen einer Private-Equity-Firma aus Luxemburg, die den bald 80-jährigen Bernie Ecclestone als Formel-1-Chef agieren lässt, obwohl der Brite ein sehr fragwürdiges Hitler-Bild hat (»Er hat die Dinge erledigt bekommen«) und eine ebenso fragwürdige Einstellung zur Demokratie (»Ich hasse Demokratie als politisches System. Sie hält dich einfach nur auf. Ich glaube, die Menschen brauchen jemanden, der für sie entscheidet«).
Die Formel 1 hat sich in den vergangenen Jahren angeblich der Welt geöffnet, neue Märkte erschlossen, sagt Ecclestone gern. Aber wer genau hinschaut, entdeckt in den neuen Formel-1-Austragungsorten wenige wirklich freie Länder: Seit 1999 startet die Formel 1 auch in der Wahlmonarchie Malaysia, seit 2004 im Königreich Bahrain und China, seit 2009 im Emirat Abu Dhabi. In Wahrheit hat sich die Formel 1 in Areale zurückgezogen, in denen es keine kritische Diskussion gibt, in denen Monarchen, Emire oder Diktatoren nur gern den Zirkus in der Stadt haben.
Zur Belustigung, zum Entertainment, als angeblichen Beleg ihrer Fortschrittlichkeit. Widerständen weicht die Formel 1 damit aus. In den USA, nicht nur für die europäischen Autofirmen der wichtigste Markt, wird es in diesem Jahr kein Rennen geben. Wie in den beiden vergangenen Jahren auch schon.
Dass sich die Konzerne Honda, Toyota und BMW aus der Serie zurückgezogen haben, ist nur konsequent. Für die mickrigen Erfolge, die sie einfuhren, verpulverten sie zu viel Geld. Aber wenn die Formel 1 wirklich noch eine internationale Bühne wäre, auf der man präsent sein muss, wenn es in der Formel 1 wirklich noch um die Weiterentwicklung der Motoren, um die Zukunft des Automobils gehen würde, wären sie sicher dabeigeblieben. Ein Modeschöpfer sagt ja auch nicht gleich alle Modenschauen ab, wenn eine Kollektion einmal nicht gut ankommt.
Nein: Honda, Toyota und BMW haben eingesehen, dass es auf der Rennstrecke nicht halb so viel zu gewinnen gibt, wie sie dort an Image verlieren können. Umweltschutz? Mit einem neuen Reglement hätte sich die Formel 1 spielend als Vorbote einer umweltfreundlicheren Autozukunft inszenieren können. Dafür hätte man nur das Motorengeheul an einigen Stellen dezimieren müssen. Statt um mehr PS hätte es um weniger Spritverbrauch gehen können.
Einen einzigen zaghaften Schritt in die Richtung gab es: Im vergangenen Jahr durften die Rennteams einen Teil der Energie, die beim Bremsen entsteht, speichern und beim Beschleunigen wieder freisetzen. Aber das grüne Feigenblatt wurde für diese Saison wieder abgeschafft. Hybridmotoren, nicht erst seit dem Niedergang von General Motors groß in Mode, waren dem Formel-1-Chef zu teuer. »Die Entwicklung würde Millionen verschlingen«, sagte Ecclestone.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Es gab einmal eine Zeit, in der war der Rennsport nicht nur cool und fortschrittlich, er gehörte auch zur kulturellen Avantgarde.)
Es gab einmal eine Zeit, in der war der Rennsport nicht nur cool und fortschrittlich, er gehörte auch zur kulturellen Avantgarde. »Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake«, schrieb im Jahr 1909 der Italiener Filippo Tommaso Marinetti im Gründungsmanifest des Futurismus. Der Rennwagen wurde zum Sinnbild der Verwegenheit und Abenteuerlust, vor allem anderen aber das Sinnbild der Zukunft.
Später, in den Dreißiger- und Vierzigerjahren, mit der Entwicklung stärkerer Motoren, entstand der viel beschworene Rennfahrer-Mythos: Die damaligen Silberpfeile von Mercedes erzielten Leistungen, die in der Formel 1 erst wieder in den Siebziger-jahren üblich wurden, damals bastelte der Kraftfahrzeugschlosser Enzo Ferrari auch noch persönlich an seinen Motoren herum und die Fahrer trugen Ledermützen und Fliegerbrillen und hatten nach einem Rennen Ruß und den aufgeflogenen Dreck der Bahn im Gesicht.
Der Sieger erhielt einen Lorbeerkranz, antikes Statussymbol eines Helden. Diese Helden hießen später Graham Hill, Jackie Stewart, Emerson Fittipaldi, Mario Andretti oder Niki Lauda, Namen, bei denen Rennsportfans nostalgisch werden. Und in den Achtzigerjahren Nelson Piquet oder Alain Prost. Und natürlich Ayrton Senna. Er starb am 1. Mai 1994, Brasiliens damaliger Präsident Itamar Franco ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Heute undenkbar.
Wann genau der Lorbeerkranz der Magnumflasche Champagner weichen musste, ist nicht klar, aber Sennas Unfalltod markiert in etwa die Zeitenwende. Bis dahin machte es zwar genauso viel Sinn, im Kreis zu fahren, wie heute, aber die Rennen waren ein Spektakel und sehr gefährlich. »Die Autos waren früher simple Gefährte, auf Geschwindigkeit ausgelegt, das Risiko nur selten kalkulierbar«, sagt zum Beispiel Niki Lauda.
In Amateurfilmaufnahmen eines französischen Zuschauers kann man sehen, wie Laudas Ferrari 312 T2 im Jahr 1976 auf der Nordschleife des Nürburgrings, die heute nach ihm benannt ist, plötzlich ausschert, gegen eine Felswand prallt, die Fahrbahn entlangschleudert und in Flammen aufgeht. Niki Lauda überlebte diesen Unfall schwer gezeichnet. Und dennoch: Es war diese Mischung aus Verwegenheit und Unkontrollierbarkeit, die Zuschauer fesselte.
Und Andretti oder Stewart waren nicht nur verdammt gute Autofahrer, sie waren Showstars. Stewart kleidete sich wie die Pop-Größen seiner Zeit, ließ seine Haare lang wachsen und hatte die breitesten Koteletten in der Geschichte des Rennsports. Und auch wenn das kein politisches Statement war, so war es wenigstens ein kulturelles. Sebastian Vettel, der nette junge Mann aus Heppenheim, trägt bei einem Wetten dass . . ?-Auftritt Jeans und T-Shirt unter einer Red-Bull-Baseballkappe.
Die Formel 1 war zu Stewarts Zeiten noch jener großartige und spannende Zirkus, von dem heute nur noch die Rede ist.
Nun soll Michael Schumacher, der mehr als doppelt so viele Titel gesammelt hat wie Jackie Stewart, aber leider nicht annähernd so charismatisch ist, die Zuschauer zurück an die Fernseher locken. Mit 41. Er startet für Mercedes. Natürlich schlägt ein solches Comeback Wellen. Natürlich werden die Menschen hinschauen, aber was sie zu sehen bekommen, ist nicht diese Mischung aus Verwegenheit und Abenteuerlust, wie sie sich etwa die Futuristen wünschten.
Was sie zu sehen bekommen, ist ein Rückblick auf das vergangene Jahrhundert: Die Macho-Witze von Branson und Fernandes sind da nur der Anfang. Die Formel 1 wird weiter von Ölkonzernen als Großsponsoren unterstützt, die Autos werben weiter für Bier und Whisky und der Tabakkonzern Philip Morris kämpft hinter den Kulissen immer noch darum, dass Ferrari sein wunderbar feuriges Rot dem matten Rot einer Marlboro-Schachtel anpasst.
Die Zuschauer werden weiter die Grid-Girls sehen, die vor den Rennen in wenig Textil gepresst die Tafeln mit den Startnummern halten. Sie werden Rennstallboxen sehen, die aussehen wie der OP-Saal eines städtischen Krankenhauses, klinisch sauber und scheinbar keimfrei. Und daneben steht Bernie Ecclestone, der bald achtzig Jahre alte Mann, auf den nach wie vor die Charakterisierung »ehemaliger Gebrauchtwagenhändler« am besten passt.
Wer es wahnsinnig gut meint mit der Formel 1, wird sagen: Na ja, die Show ist halt ein wenig in die Jahre gekommen, wie Schumi. Wer aber einen vernünftigen Blick auf die Kulisse wirft, kann nur sagen: Formel 1? Das 20. Jahrhundert ist vorbei, Leute. Schaltet endlich die Maschinen ab.