»Ich verdanke diesem wunderbaren Land mein Leben«

Der letzte deutsche Showmaster verlässt die Bühne. Ein Gespräch mit Rudi Carrell.

 

SZ-Magazin: Vor einem Jahr haben die Ärzte bei Ihnen Lungenkrebs festgestellt. Leiden Sie unter Schmerzen?

 

Rudi Carrell: Nein. Ich habe nie Schmerzen gehabt. Meine Chemotherapie wirkt palliativ, das heißt, die Ärzte haben versucht, mein Leben angenehm zu verlängern. Das ist gelungen, mehr darf und kann ich nicht erwarten. Der Tumor wird allerdings immer größer. Leider. 

 

Haben die Ärzte gesagt, wie viel Zeit Ihnen noch bleibt? 

 

Nein, aber es ist absehbar. Vor einem Jahr haben sie das Gleiche zwar auch schon gesagt, aber da habe ich gedacht: »Noch einmal Frühling! Noch einmal meine Bäume und Pflanzen blühen sehen!« Und dann verging ein ganzes Jahr. Aber jetzt haben die Ärzte es wieder gesagt. Mit einem noch ernsteren Unterton. Und jetzt glaube ich es Ihnen. Ehrlich gesagt, ich fühle es sogar.

 

Dass Sie bald sterben werden? 

Ja.

 

Haben Sie Angst vor dem Tod? 

Eigentlich nicht. Ich hatte früher immer nur Angst vor dem Sterben, weil ich dachte, es tut bestimmt wahnsinnig weh.

 

Glauben Sie an ein Leben danach? 

Nein. Dann ist es eben aus. Aber mein Leben war aufregend genug.

 

Sie sind der größte deutsche Showmaster. Mit Sendungen wie »Am laufenden Band« oder »Rudis Tagesshow« haben Sie die deutsche Fernsehunterhaltung revolutioniert. Warum sind Sie eigentlich Showmaster geworden? 

Ich wurde in dieses Geschäft hineingeboren: Auch mein Vater war Showmaster. Und meine Mutter hatte einen tollen Humor. Ich habe ihr tagein, tagaus Sketche vorgespielt. Und sie hat mir dabei zugeschaut und selig gelächelt. In der Schule habe ich meine Lehrer parodiert und bunte Abende moderiert.

 

Die Schule haben Sie mit 17 Jahren verlassen. Waren Ihre Eltern damit einverstanden? 

Ja. Ich bin bei meinem Vater in die Lehre gegangen. Seine erste Lektion lautete: Das Publikum muss zweimal am Abend weinen. Die Leute wollen nicht nur lachen, die wollen auch gerührt sein. Ich wollte es zunächst nicht glauben, dass er zweimal am Abend die Leute hat weinen lassen. Ich fand das schrecklich. Erst viel später, bei »Lass Dich überraschen«, wo Leute vor Rührung geheult haben, da habe ich gemerkt: Der Alte hat doch Recht gehabt.

 

Allerdings waren Sie erfolgreicher als Ihr Vater, der es nie geschafft hat, eine große Fernsehshow zu moderieren. 

Stimmt, aber ohne meine Lehrjahre wäre ich nicht so weit gekommen. Ich bin schon mit 18 Jahren durch Holland getingelt und vor allen Arten von Publikum aufgetreten. Von geistig Behinderten in einem Irrenhaus bis zu den höchsten Beamten in den Ministerien.

 

Sie sind in der Psychiatrie aufgetreten? 

Ja, gemeinsam mit meinem Vater. Glücklicherweise hatte er bei seinen Auftritten immer einen Koffer dabei. Und im Irrenhaus haben die halt über den Koffer gelacht. Vielleicht, weil sie wussten: Wer einen Koffer hat, darf raus. 

 

Welches Publikum hat es Ihnen am schwersten gemacht? 

Den schlimmsten Auftritt meines Lebens erlebte ich vor holländischen Bauunternehmern. Die hatten erst getagt, dann gefressen, dann gesoffen – und zum Schluss sollte ich sie unterhalten. Was ich auch versucht habe – ich bekam keine Reaktionen! In der ersten Reihe haben zwei sogar geschlafen. Als mein Vater mich von der Veranstaltung abholte, fragte er: »Wie läuft’s?« – »Die wollen nicht.« – »Lass mich mal!« Er ging auf die Bühne zu dem Ersten, der geschlafen hat, scheuerte dem eine und sagte: »Hey, aufpassen!« Und schon hatte er ihre Aufmerksamkeit.

 

Sollte ein Showmaster sein Publikum ohrfeigen? 

Mein Vater hat ja nicht kräftig zugeschlagen. Was ich Ihnen aber mit dieser Geschichte erklären will: Es gibt immer einen Weg, dein Publikum zum Lachen zu bringen. Wenn nichts mehr geht, holst du jemanden auf die Bühne. Das zieht immer. Stellen Sie sich vor: Tausend Leute im Saal und der Showmaster verarscht einen. Da freuen sich 999, dass sie nicht von ihm verarscht werden.

 

Kann man diese Methode auch im Fernsehen anwenden? 

Sicher, Am laufenden Band funktionierte letztlich nach dem gleichen Prinzip: Laien spielen Showbusiness.

 

Hat Ihnen Ihr Vater auch Tipps für Ihre Fernsehkarriere gegeben? 

Nein, die verdanke ich Leslie Roberts, meinem englischen Berater. Der hat mir genau gesagt, was beim Publikum ankommt und was nicht: »Rudi, du gehst von rechts auf die Bühne, das ist falsch! Du musst von links auf die Bühne kommen. Links geht die Sonne auf!«

 

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Was hat er Ihnen noch beigebracht? 

Leslie riet mir: »Nutze deine Stärken.« Ich hatte zum Beispiel immer ein gutes Gespür dafür, welche Shows beim Publikum ankommen. Bevor ich nach Deutschland kam, gab es hier im Fernsehen nur Ballett, Orchester und die große Showtreppe. Langweilig und fad! Das wollte in den Sechzigern keiner mehr sehen. Das Publikum gierte nach etwas Neuem. Und dann kam ich und machte Shows auf einem kleinen Marktplatz. 

 

Sie haben doch auch große Fernsehshows moderiert? 

Das stimmt, und zwar immer zum richtigen Zeitpunkt. Als in Deutschland so viele Quizsendungen liefen, wollte ich mit »Am laufenden Band« beweisen, dass die Kandidaten auch Witz haben. Als sich die Nachrichtensendungen häuften, habe ich gedacht: Mach eine Parodie darauf – »Rudis Tagesshow« war geboren! Als es viel zu viele Sendungen mit irgendwelchen Preisen gab, habe ich gedacht: Mach es groß – »Die verflixte 7«. Als auf fast allen Kanälen Versteckte-Kamera-Sendungen die Leute hereinlegten, wollte ich sie angenehm überraschen – »Lass Dich überraschen«. Als es mit Comedy anfing, habe ich gesagt, abends um Viertel nach zehn kann ich bei RTL Witze über jedes Thema machen: »7 Tage – 7 Köpfe«. Die Sendung hat mir übrigens am meisten Spaß gemacht.

 

Dabei sind Sie dort im Laufe der Jahre immer mehr in den Hintergrund getreten. Was genau hat Ihnen an dieser Sendung so viel Spaß gemacht? 

Die Arbeit mit Mike Krüger, Gaby Köster, Jochen Busse und den anderen. Mein Gott, was haben wir gelacht! Aber nach sieben Jahren fiel mir einfach nichts mehr ein. Deshalb zog ich mich als Komiker vom Bildschirm zurück und habe als Produzent der Sendung gearbeitet. Genau wie ich mit allen anderen meiner Shows im richtigen Moment aufgehört habe.

 

Woher kamen Ihnen die vielen Ideen für Ihre Shows? 

Ich habe mich in anderen Ländern inspirieren lassen. »Am laufenden Band« gab es bereits in Holland. Oder später »Herzblatt«: Das Vorbild dafür war eine englische Flirtshow. Die habe ich gesehen und gedacht: Flirten ist ein wahnsinniges Thema – warum haben wir das eigentlich nicht?

 

Mit »Am laufenden Band« trafen Sie ab 1974 den Nerv des Zeit: Jeder wollte reich werden und Sie haben am Fließband Preise verschenkt. Die meisten von uns verbinden schöne Erinnerungen mit dieser Sendung. Wie war es für Sie? 

Für mich war »Am laufenden Band« die Hölle. Die absolute Hölle.

 

Warum, es war doch Ihre erfolgreichste Show? 

Das hat damit nichts zu tun. Ich musste im Durchschnitt jede Woche acht neue Spiele erfinden, der absolute Stress. Bei den Proben haben wir so viele Spiele ausprobiert, und wenn eins nicht funktionierte, hieß es: Rudi, ab nach Hause, neue erfinden!

 

Das ist Ihnen offenbar nicht immer leicht gefallen? 

Es war eine Qual. Seit ich Showmaster bin, habe ich immer denselben Albtraum: Ich stehe auf einer Bühne vor vollem Haus – und mir fällt nichts ein. Ich stehe da und es kommt einfach nichts. Kein Witz, keine Idee, kein Gag. Nichts! Alle schauen mich an. Entsetzlich! Schweißausbrüche! Diesen Albtraum habe ich heute noch.

 

Mussten Sie diesen Moment schon einmal erleben? 

Zum Glück nur in den Albträumen. Ich habe im Akkord gearbeitet. Bevor ich keinen Gag hatte, kein gutes Spiel, habe ich nicht gegessen. Nur abends, nach dem Studio, reichlich Bier getrunken. 

 

Und vorher? 

Niemals. Meine Mutter hat mir schon früh verboten, vor einem Auftritt Alkohol zu trinken. Und daran habe ich mich mein ganzes Leben lang gehalten. 

 

In Ihren Sketchen trinken Showmaster häufig Champagner. 

Ich habe noch nie Champagner getrunken.

 

Tatsächlich? 

Na ja, vielleicht mal aus Höflichkeit. Aber niemals Schnaps. Und zwar aus Angst.

 

Aus Angst? 

Viele Kollegen sind am Alkohol kaputtgegangen. Mein Vater wurde zum Teufel, nachdem er einen Schnaps getrunken hatte. Eigentlich war er ja ein wunderbarer Mensch. Aber ein Schnaps, zack, Teufel! Ich hatte Angst, auch so zu werden wie er: böse, gemein, ein aggressives Arschloch.

 

Hat er Sie geschlagen? 

Geschlagen nicht, aber er war seelisch grausam. Und darum habe ich solche Furcht vor dem Alkohol. Die einzige Ausnahme ist Bier. Das beruhigt mich, was zum Arbeiten perfekt ist. In meinem Job muss man müde sein, um sich auf eine Sache zu konzentrieren.

 

Müssen Sie trinken, um auf gute Ideen zu kommen? 

Nein, natürlich nicht. Meine besten Einfälle kommen mir am Abend nach 20 Uhr. Meine Ansprache bei der »Goldenen Kamera« zum Beispiel hatte zehn Gags, die ich mir an zehn Abenden im Urlaub ausgedacht habe. Eine Rede ohne dieses Heischen nach Mitleid, keine guten Vorsätze, kein Zeigefinger. Ich dachte mir: Mach es witzig. Mach es so, wie du bist, wie sie dich kennen. Mein Publikum soll mich nicht als Sterbenden in Erinnerung behalten. Also habe ich mich zunächst bei meiner Krankenversicherung bedankt, dann bei meinem Krankenhaus in Bremen und schließlich bei der deutschen Pharmaindustrie, dass sie mir diesen Auftritt ermöglicht haben. Das stimmt ja auch. 

 

Ihr Vater hat Ihnen beigebracht, dass Ihr Publikum auch weinen sollte. Haben Sie diese Regel bei Ihrem Auftritt auch beachtet? 

Bei der »Goldenen Kamera« waren die Leute schon durch meine bloße Anwesenheit gerührt. Jeder Einzelne im Publikum wusste: Diesen Mann aus dem deutschen Fernsehen, mit dem ich aufgewachsen bin, werde ich wahrscheinlich nie wieder sehen. Und dann standen die Menschen im Saal auch noch auf, als ich von der Bühne trat. Das hat unheimlich gut getan. So ein Publikum kriege ich im Leben nicht wieder.

 

Sie haben Ihre Rührung jedoch nicht gezeigt. Gab es in Ihrer Karriere Momente, in denen Sie Ihre Gefühle nicht verbergen konnten? 

Ich habe mir immer gesagt: Du bist ein Showmaster. Disziplin, bitte! Du hast Würde. Du hast Verantwortung gegenüber deinen Zuschauern. Du hältst alles zusammen. Verkaufe dich auch so! Beherrsche dich!

 

Showmaster dürfen nicht weinen? 

Nein. 

 

Johannes B. Kerner hat vor kurzem bei der Bambi-Verleihung auf der Bühne geweint, weil sein Schwiegervater im Vorjahr gestorben war. Ist das unprofessionell? 

Darüber habe ich mich neulich mit Harald Schmidt unterhalten. Wir waren uns einig, dass wir so was nie machen würden. Keine Tränen! Auch dann nicht, wenn’s die Schwiegermutter wäre.

 

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Waren Sie privat auch immer so diszipliniert? 

Nein, nicht immer. Besonders Anfang der siebziger Jahre, als ich noch in Marbella wohnte, habe ich das Leben sehr, manchmal zu sehr, genossen.

 

Erzählen Sie uns davon! 

Da habe ich auch Stewart Granger kennen gelernt. Ein super Schauspieler – mein Freund. Wir haben des Öfteren bei mir zu Hause gekocht. Und er hat dann immer jede Menge Geschichten erzählt. Über Hollywood. Und darüber, wie sich Liz Taylor und Richard Burton kennen gelernt haben. Wie Richard Burton, Rex Harrison und er drei Stunden in der Maske auf Liz Taylor gewartet haben. Und erst nach vier Stunden kommt sie endlich ins Studio und Richard Burton steht auf, geht zu ihr und sagt mit seiner sonoren Stimme: »This is Rex Harrison, Stewart Granger – and I’m Richard Burton. And in the next days when you come one minute too late, I give you a clap in the face that you will lie in the corner.« Von diesem Moment an hat sie ihn geliebt. Und wenn so ein Schauspieler wie Stewart Granger diese Geschichte erzählt, wenn er Richard Burton imitiert oder so erschrocken schaut wie Liz Taylor, dann bekommst du eine Gänsehaut.

 

Haben Sie Liz Taylor persönlich kennen gelernt? 

1965 habe ich meine Abschiedsshow in Holland gemacht. Und Liz Taylor war im Land, da Richard in Noordwijk »Der Spion, der aus der Kälte kam« drehte. Ich wollte Liz Taylor in meine Show einladen. Also fuhr ich zu ihrem Hotel, da saßen hundert Journalisten in der Halle und ich fragte: »Gibt es eine Chance, an Liz Taylor heranzukommen?« – »Keine Chance«, antwortete man mir, »kannst du vergessen.« Um 19 Uhr ging ich an die Bar und fragte: »Wo finde ich Liz Taylor?« Der Barkeeper sagte: »Jeden Abend nach dem Essen kommt sie hierher und trinkt etwas. Keine Journalisten hier – nix.« Und tatsächlich: Um 21 Uhr betraten Taylor, Burton und noch ein anderes Schauspielerpaar den Raum und setzten sich in eine Ecke. Einer von ihren Begleitern kam an die Bar, musterte mich und sagte: »Habe ich Sie nicht im englischen Fernsehen gesehen? In einer Show auf einer Insel mit einer Meerjungfrau und einem Affen?« – »Ja.« – »Was für eine wundervolle Show! Bitte, setzen Sie sich zu uns.« Da saß ich zwei Stunden Liz Taylor gegenüber. Vor vierzig Jahren. Auge in Auge mit der damals schönsten Frau der Welt. Sie hat nur noch mich angeschaut. Und Richard saß daneben und hat erzählt mit seiner tollen Stimme.

 

Haben Sie auch etwas gesagt? 

Ich muss zugeben: sehr wenig. Jahre später habe ich von einem Kumpel gehört, Richard hätte wahrscheinlich nichts dagegen gehabt, wenn ich Liz an diesem Abend vernascht hätte. 

 

Die beiden haben anscheinend eine eher offene Ehe geführt. 

Durchaus, ein kleiner Seitensprung war bei denen ganz normal.

 

Auch beruflich waren Sie erfolgreich wie kaum ein anderer. Mitte der siebziger Jahre erreichten Ihre Einschaltquoten sagenhafte 70 Prozent. Warum wollten Ihnen so viele Menschen zuschauen? 

Ich habe von den Amerikanern gelernt: Ein Showmaster kommt zu den Leuten nach Hause. Dean Martin, Perry Como –- die kamen durchs Fernsehen in die Haushalte und in die Seelen ihrer Zuschauer. Und von denen habe ich das übernommen. Die Menschen brauchen nach einem hektischen Arbeitstag zu Hause in der linken Hand eine Zeitung und in der rechten Hand einen Kaffee oder ein Bier. Und dazwischen im Fernseher einen ruhigen Showmaster. Ganz entspannt.

 

Aber die Menschen haben sich doch verändert, oder? 

Nein, die ändern sich nicht so schnell. Das denken wir nur, wenn wir Zeitung lesen oder fernsehen. Aber im Grunde sind Menschen so was von konservativ, das ist unglaublich.

 

Sie haben immer gesagt, Sie wüssten genau, wann Ihre Zuschauer lachen – der Bauarbeiter genauso wie der Professor. Haben Sie dieses Gespür noch? 

So etwas verliert einer wie ich nicht. Leider geht es heute nicht mehr nur ums Gespür. Es kommt auch auf das Image eines Senders an. Wenn man im Ersten Programm heutzutage Comedy macht, schaut die Zielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren nicht zu. Auch das ZDF versucht krampfhaft, die jungen Zuschauer zu kriegen. Vergeblich. Und so scheuchen sie mit ihren langweiligen Teenagershows auch noch die Alten weg.

 

Was machen die Moderatoren falsch? 

Nichts. Schuld sind die Redakteure. Ich sitze so oft kopfschüttelnd vor dem Fernseher und denke: Mein Gott, ihr habt doch auch Sitzungen! Da muss doch jemand mal das Maul aufmachen und sagen: »Das ist totaler Mist hier!« Wenn ich überlege, meine Überraschungsshow, die liegt jetzt 14 Jahre zurück, was für Gedanken wir uns da gemacht haben. Heutzutage sagt der Moderator: »Hmm, wen soll ich überraschen?«, geht gezielt auf jemanden im Publikum zu und der hat schon ein Mikrofon angesteckt bekommen, war schon in der Maske und weiß schon alles. Das durchschaut doch jedes Kind. Völliger Mist! 

 

Was haben Sie besser gemacht? 

Bei mir hat keiner was gemerkt. Zum Beispiel bei »Herzblatt«: »Sie sind Feinmechaniker«, sagte ich zu einem Baum von einem Mann, »Feinmechaniker – mit solchen Händen?!« Und der konterte: »Sie sind Showmaster – mit so einem Gesicht?!« Die Leute haben getobt. Hat er das erfunden oder habe ich ihm das schon vorher gegeben?

 

Sie haben es ihm in den Mund gelegt. 

Selbstverständlich.

 

Sind Sie ein Perfektionist? 

Mehr als das! Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Eine Stunde vor Beginn einer Gala in Scheveningen habe ich den Regisseur gesucht. Ich komme auf die Bühne, da steht jemand in einem Kittel mit dem Rücken zu mir und fegt. Ich frage: »Guter Mann, wissen Sie, wo der Regisseur ist?« Der Mann dreht sich um und, hoppla, es ist kein Mann, sondern Marlene Dietrich! Ich frage etwas verdutzt: »Frau Dietrich, kann nicht jemand anderes die Bühne fegen?« Und sie antwortet: »Wissen Sie, ich muss gleich diese Showtreppe runter. Wenn da irgendetwas liegt und ich rutsche darauf aus, steht es morgen in der Zeitung.« Seitdem habe ich immer selbst die Bühne gefegt und überlegt: Habe ich alles? Wie meine Mutter, wenn sie in Urlaub fuhr: »Habe ich das Gas ausgedreht? Habe ich das Licht ausgemacht?« So und nicht anders machst du gute Shows!

 

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Sie haben bereits 1987, also ziemlich lange vor dem Karikaturenstreit, die iranischen Fundamentalisten provoziert: In einem Sketch in Rudis Tagesshow ließen Sie Ayatollah Khomeini mit BHs bewerfen. Würden Sie das heute noch mal machen? 

Auf keinen Fall. Die Leute in den islamischen Ländern reagieren heute auf solche Scherze total hysterisch.

 

Wo sind denn die Grenzen Ihres Humors? 

Es gibt keine Grenzen! Solange ich darüber lachen kann, gefällt mir alles. 

 

Würden Sie sich auch über Behinderte lustig machen? 

Auf jeden Fall! Behinderte sollte man so nehmen, wie sie sind. Manche meiner Witze waren zwar hart an der Grenze, aber die Behinderten haben immer gelacht.

 

Wann wurden Sie zum letzten Mal mit einer Torte beworfen? 

Bei 7 Tage – 7 Köpfe habe ich so oft auf den Fernsehmoderator Kai Pflaume geschimpft, dass er irgendwann persönlich vorbeikam, um mir eine Torte ins Gesicht zu drücken. Ein Lacher, funktioniert immer. Wichtig ist nur: viel Sahne.

 

Seien wir doch mal ehrlich: In den vergangenen Jahren waren Sie nicht mehr so lustig wie früher. 

Ich hatte aber auch nicht mehr die Shows, um so zu sein, wie ich einmal war. Um witzig zu sein, muss man wahnsinnig viel nachdenken und ich bin müde, ich habe keine Lust mehr, so viel nachzudenken. Ich bin 71 Jahre alt und am Ende meines Lebens habe ich mir etwas Ruhe verdient.

 

Hatten Sie je Angst, dass Sie das Publikum nicht mehr lieben könnte? 

Vielleicht demnächst, wenn ich tot bin. Obwohl: Nein, nicht mal dann werden mich die Deutschen vergessen. »Rudis Tagesshow« läuft noch jeden Donnerstag auf dem NDR. Ich werde immer erwähnt. Ich kenne Wochenenden, wo ich jeden Tag irgendwo auftauche, imitiert werde und Höhepunkte aus meiner Karriere sehe. Ich werde noch lange als Wiederholung weiterleben. Die Leute werden sagen: »Weißt du noch, früher, als wir mit Oma und Opa »Am laufenden Band« gesehen haben? Wie schön das war!« Dass die Show manchmal scheiße war, wird dann vergessen sein. Es ging ja vor allem um die Gemütlichkeit, das Zusammensein. So etwas gibt es heute nicht mehr. Das vermissen die Zuschauer.

 

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Fans? 

Gott sei Dank, ja, den brauche ich auch! Als ich im Januar vier Wochen Urlaub auf einer kleinen Karibikinsel gemacht habe, wurde ich kein einziges Mal angesprochen. Keine Deutschen, keine Holländer, keine Belgier, Schweizer oder Österreicher weit und breit. Ich bin fast wahnsinnig geworden. Denn normalerweise werde ich immer und überall angesprochen. Auch auf meine Krankheit. Die Leute fragen: »Herr Carrell, geht es Ihnen gut? Geht es Ihnen besser?«

 

Was antworten Sie? 

»Für den Moment geht es mir gut.« Dann sagen viele: »Sie haben aber abgenommen.« Und ich antworte: »Ja, das stimmt. Ich muss mal wieder mehr essen.« Wenn ich durch die Bremer Fußgängerzone schlendere, rufen die Leute: »Rudi, Rudi!« und jubeln mir zu. Und ich bin nicht der Typ, der davonrennt. Ich schüttle Hände, lächle, lasse Fotos machen und riskiere hier und da einen Witz. Mensch, diese Leute haben mein Haus bezahlt, meinen Urlaub bezahlt, mein Auto bezahlt, alles bezahlt. Da darf ich doch ein bisschen nett sein! 

 

Was war der Höhepunkt Ihrer Karriere? 

Als ich 1975 mit vier Kandidaten für »Am laufenden Band« eine halbe Stunde gegen Muhammad Ali geboxt habe.

 

Wie endete der Kampf? 

Ich habe ihm den Rücken zugedreht und bin weggelaufen, immer im Kreis. Und Ali hinterher. Er hat die größte Show abgezogen, die ich je gesehen habe. Und die Leute haben gejubelt. Das war gigantisch.

 

Was waren die Tiefpunkte? 

Einmal bin ich extra nach München gefahren und habe stundenlang auf Heinz Rühmann eingeredet, um ihn in meine Show einzuladen.

 

Er war damals der begehrteste Showgast Deutschlands. 

Als er endlich im Studio war, fiel der Ton aus. Zwei Minuten lang! Eine Katastrophe.

 

Was haben Sie dem Tontechniker gesagt? 

Das möchte ich nicht wiederholen. Dagegen sind die Worte »Mord« und »Arschloch« harmlos und freundlich. So habe ich unzählige Tontechniker beschimpft. Beim Fernsehen passieren die meisten Pannen nun mal beim Ton. Einmal fragte ich eine Tonassistentin wütend, ob sie ihre Tage hat. Das gab einen Aufstand im Studio! Da musste ich mich entschuldigen. Habe ich natürlich auch gemacht.

 

Sie waren oft grob zu Ihren Mitarbeitern. Warum? 

Schuld an diesen Ausbrüchen waren meist meine Nervosität, meine Hemmungen, meine Angst – die Uhr läuft, in drei Stunden beginnt die Sendung und nichts klappt. In solchen Momenten habe ich Sachen gesagt, da steht die Todesstrafe drauf. Aber alle haben es kapiert.

 

Sie haben nie ein Blatt vor den Mund genommen. Auch nicht, wenn es um prominente Kollegen ging. 

Das hat mir ja auch eine Menge Ärger eingebracht. Aber ich bin ein ehrlicher Mensch. Ich sage einfach, was ich denke.

 

Was halten Sie von Harald Schmidt? 

Brillant! Wie gesagt, er hat mich erst vor kurzem besucht. Wir verstehen uns von Mann zu Mann. John Wayne und Dirty Harry. Er hat sogar mal »Am laufenden Band« in seiner Sendung nachgespielt, mit Gesangseinlage. Großartig.

 

Thomas Gottschalk? 

Ein Hallenphänomen. Geben Sie Thomas irgendein Publikum in einer großen Halle – und innerhalb von fünf Minuten hat er alle Zuschauer auf seiner Seite! Er kann noch hundert Jahre »Wetten, dass..?« machen. Von anderen Sendungen sollte er lieber die Finger lassen. Das geht fast immer schief.

 

Dieter Thomas Heck? 

Nicht unbedingt mein Stil. Er ist kein Dean Martin. Heck ist nicht der Mann, der mit einem Glas Whisky oder wie ich mit einem Bier in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand imstande ist, etwas normal anzusagen. Heck hat immer etwas Diktatorisches. 

 

Alice Schwarzer? 

Die finde ich immer noch toll. Bei »Wetten, dass..?« saßen wir mal zusammen auf dem Sofa und da hat sie auch wieder gegen mich gestänkert, ich sei frauenfeindlich. Da habe ich gesagt, ich würde nie wieder etwas Frauenfeindliches sagen oder tun und habe aus meiner Tasche einen Büstenhalter gezogen und mir damit den Schweiß auf meiner Stirn abgetupft. Das sagt eigentlich alles, oder?

 

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Sie haben also schon gewusst, dass Alice Schwarzer Sie angreifen wird? 

Es war doch klar, dass sie was Negatives über mich sagt. Dabei bin ich Frauen gegenüber immer sehr nett gewesen. Aber wenn eine Schauspielerin morgens um zehn stinkbesoffen zu einer Probe kommt und ich greife ihr an die Titten und sage Tuut-Tuut, das verstehen die meisten Leute einfach nicht. Aber in mir brennt eine unbeschreibliche Wut. Wie kannst du für so viel Geld morgens um zehn stinkbesoffen zur Arbeit kommen? 

 

Was halten Sie von Peter Alexander? 

Ein Gigant. Neben mir der einzige echte Showmaster in Deutschland. Sie müssen sich über eines im Klaren sein: Es gibt einen Unterschied zwischen Showbusiness und Fernsehunterhaltung. Jörg Pilawa macht Fernsehunterhaltung. Peter und ich haben Showbusiness gemacht. Da musst du alles können: Klamotte machen, Drama, singen, tanzen, schreiben, zaubern – alles. Außerdem war Peter der größte Geschichtenerzähler aller Zeiten. Ich habe ganze Nächte mit ihm im Keller des »Bayerischen Hofs« verbracht und Tränen gelacht. Er ist der beste Stimmen- und Schauspieler-Imitator aller Zeiten.

 

Besser als Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld oder Rudi Carrell? 

Ein Juwel! 

 

Dieter Bohlen? 

Eine Witzfigur.

 

Angela Merkel? 

Bewundernswert. Sie verkauft sich sehr gut. 

 

André Heller. 

Oh, mein Gott! Der Spinner wollte meine damalige Freundin und spätere Frau Anke heiraten. Ich hatte die beiden während eines Engagements in Wien einander vorgestellt und er war fasziniert von ihr. Anke war ja auch eine wahnsinnig schöne Frau. Die beiden hatten wohl eine Affäre miteinander. Ich habe nie verstanden, warum. Sie hat ihn, na ja, geliebt ist übertrieben, aber doch schon sehr gemocht. Er hatte etwas Magisches, sagte sie mir einmal. Als ich nun im Urlaub gehört habe, dass die Fußball-Gala in Berlin abgesetzt wurde, habe ich gedacht: Armer André, du bekommst nie, was du willst.

 

Vielleicht hat sich Ihre Frau von Ihnen vernachlässigt gefühlt? 

Kann sein. Wenn jemand im Beruf so viele Schwierigkeiten erlebt hat wie ich, erscheint jedes Problem zu Hause klein und nichtig. Meine Frauen wurden immer wahnsinnig und ich lachte mich kaputt.

 

Das klingt nicht gerade sehr einfühlsam. 

Ich habe meine Frauen immer bewundert. Ein Beispiel: Um ein Drehbuch zu schreiben, habe ich immer eine Frau gebraucht. Wissen Sie, warum? Jeder Redakteur fängt bei einer guten Idee an zu zweifeln: »Was sagt die Presse? Was sagt mein Chef? Werden die Quoten stimmen?« Meine Frauen haben immer gesagt »Gefällt mir!« oder »Gefällt mir nicht!«

 

Sie arbeiten also lieber mit Frauen zusammen? 

Ich arbeite am liebsten allein, bin fast autistisch. Aber wenn die Gedanken aufs Papier sollen, brauche ich eine Frau.

 

Welche Tugenden haben Frauen, die Männern fehlen? 

In Sachen Humor sind Frauen einfach besser. Sie haben viel mehr Gespür für Komik, sind emotionaler, lachen mehr. 

 

Lachen Frauen auch über Ihre Frauenwitze? 

Die Frauen, die ich hatte, haben da am lautesten gelacht.

 

Herr Carrell, was verstehen Sie eigentlich unter Männlichkeit? 

Simone, meine jetzige Frau, fragt mich abends ganz lieb: »Rudi, hast du dir die Zähne schon geputzt?« Und wenn ich keine Lust auf Zähneputzen habe, antworte ich ihr: »Hey, hast du je John Wayne dreimal am Tag Zähne putzen sehen?« Oder sie sagt: »Du musst dich eincremen wegen Sonnenbrand.« Und ich antworte: »Hey, hast du je gesehen, wie John Wayne sich eincremt?« Männlichkeit hat für mich mit Cowboys zu tun. Und ich bin im Grunde auch so einer. Männlichkeit bedeutet, dass man kein Weichei ist, verdammt noch mal! Ein Mann kämpft und arbeitet, damit er seine Familie ernähren kann.

 

Frauen machen das inzwischen auch sehr gut. In den letzten Jahrzehnten hat sich da etwas geändert. 

Frauen übernehmen immer mehr die Männerrolle. Ich finde das gut.

 

Fehlen unserem Land Ihrer Meinung nach ein paar Cowboys? 

Nein. Schröder war ein echter Cowboy, aber jetzt haben wir eine Bundeskanzlerin. Es gibt anscheinend keinen Bedarf. Kai Pflaume ist in meinen Augen kein Mann. Aber viele Frauen schwärmen von ihm, weil er ein liebes Weichei ist. Und er macht seine Sache gar nicht mal so schlecht. Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, das sind Männer.

 

Muss ein Mann eine Geliebte haben? 

Nein, muss er nicht. Das ergibt sich. Aber es ist mehr eine Strafe. Ich kann es niemandem empfehlen.

 

Wahrscheinlich eine rhetorische Frage: Sind Sie ein Chauvinist? 

Ach, was. Wenn ich eine Frau mag, beruflich oder privat, ist sie für mich ein Kumpel. Dann rede ich mit ihr, so wie ich auch mit Männern rede. Warum sollte ich mich da verstellen? Und wenn ich einer Kollegin an die Titten gegriffen habe, stand das am nächsten Tag in der Zeitung. Dass sie mich an einer sehr empfindlichen Stelle zurückgekniffen hat, stand natürlich nicht drin.

 

Waren Sie ein Frauenheld? 

Ach, komm! Sie denken gleich, dass ich mit hundert Frauen geschlafen habe: mit Redakteurinnen, Schauspielerinnen, Kolleginnen, Models. Aber bei mir gab es immer ein Gesetz und das hieß: Trenne Beruf und Privatleben! 

 

Haben Sie sich immer daran gehalten? 

Ich habe es immer versucht. Aber wer ist schon ein Heiliger? Beatrice Richter zum Beispiel hat alles unternommen, um mich ins Bett zu kriegen. Sie wollte sogar meine Hotelzimmertür aufbrechen, was ihr Gott sei Dank nicht gelungen ist. Ich war nie mit ihr im Bett.

 

Mit Ihrer Kollegin Susanne Hoffmann waren Sie 15 Jahre liiert. 

Das stimmt. Wollen Sie wissen, wie wir uns kennen gelernt haben?

 

Natürlich. 

Es war kurz vor Beginn der zweiten Staffel von »Rudis Tagesshow«. Wir hatten eine große Sitzung mit zwanzig Mitarbeitern von Radio Bremen wegen der neuen Sketche, die ich in Amerika eingekauft hatte. Einer davon war sehr brutal. Ich habe ihn den Kollegen gezeigt und in die Runde gefragt, ob wir so etwas bringen können. Alle haben nur stumm genickt. Alles Jasager. Doch dann stand eine junge Produktionssekretärin auf und meinte: »Dieser Sketch ist total scheiße!« Und ich war froh über ihre Meinung, denn ich fand ihn auch schlecht. Da habe ich mir gedacht: »Hey, die ist gut. Die macht das Maul auf.« Nach der Sitzung fragte ich sie, ob sie mit mir die Drehbücher für die Sendung schreiben will. 

 

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Was haben Sie an ihr geliebt? 

Susanne war 26 und kam aus dem Volk, eine echte Dortmunderin. Sie hatte ein unheimliches Gespür dafür, was die einfachen Leute zum Lachen bringt. Und wenn das Volk lacht, lachen die Intellektuellen auch. Sie hat mich zum Beispiel auf die Idee gebracht, »Herzblatt« zu machen und »Rudis Hundeshow«. Die Überraschungen für die »Rudi Carrell Show« haben wir uns auch zusammen ausgedacht. Und wenn dir eine solche Frau täglich gegenübersitzt und auch noch schön und sexy ist, dann verliebst du dich doch automatisch.

 

Was hat Ihre Frau Anke dazu gesagt? 

Anke war zu diesem Zeitpunkt bereits sehr krank. Aber sie kannte mich und war immer schon ein sehr toleranter Mensch gewesen. Sie hat diese Affäre akzeptiert. Ich liebte Anke immer noch und wollte mich deshalb nicht scheiden lassen. 

 

Aber dann starb sie an einem schweren Rheumaleiden und viele haben erwartet, dass Sie Ihre langjährige Freundin Susanne heiraten. Haben Sie aber nicht. Warum? 

Susanne hat bei mir gut verdient und war bestens versorgt. Aber trotzdem hörte sie nicht auf zu meckern. Jeden Tag lag sie mir in den Ohren und wollte dieses oder jenes und hat mich immer wieder gedrängt, sie endlich zu heiraten. 

 

Und? 

Eines Tages sagst du dir als Mann: Okay, bis hierher und nicht weiter! Ich habe alles getan – leb du dein Leben, ich lebe meines. Und dann sind wir friedlich auseinander gegangen. Ein sauberer Schnitt. Kurz danach hat man bei ihr einen Gehirntumor entdeckt. Vier Monate habe ich sie auf dem Sterbebett begleitet und täglich nach ihr geschaut. Bis sie starb.

 

Haben Sie sich damals keine Gedanken über Ihre eigene Gesundheit gemacht? 

Ich habe mir immer wieder gesagt, Carrell, Carrell, pass doch auf! Vor drei Jahren war ich noch beim Arzt und habe mich von oben bis unten durchleuchten lassen. Da hatte ich noch nichts.

 

Woran haben Sie vor einem Jahr gemerkt, dass etwas nicht stimmt? 

Beim Husten habe ich ab und zu Blut drin gehabt. Daraufhin bin ich zum Arzt gegangen, der hat mich gründlich untersucht und mir mitgeteilt, dass ich Lungenkrebs habe. Ich war nicht überrascht. Es war etwas Selbstverständliches. Hätte ich eigentlich schon längst haben müssen! Ich habe immer fünf Tage vor einer Show so gut wie ohne Essen gearbeitet, nach einer Show nur Bier getrunken und mindestens sechzig Lord Extra am Tag geraucht. Ich wusste: Das geht irgendwann schief.

 

Wie hat Ihre Familie auf die Diagnose reagiert? 

Einerseits sehr bestürzt, ich habe ja schon zwei Frauen durch Krankheiten verloren. Aber andererseits auch gefasst: Meine Kinder und Enkel haben sich darauf vorbereiten können. Sie wussten ja, wie ich lebe.

 

Vorhin zeigten Sie uns einen riesigen Rhododendron vor Ihrem Haus. Glauben Sie, dass Sie ihn noch einmal blühen sehen werden? 

Nein, oder sehe ich aus wie Martin Luther King, der ruft: »I have a dream«? Ich habe noch meinen Teich ausbaggern lassen, weil mehr als ein Drittel davon verschlammt war. Da kann ich jetzt wieder mit dem Tretboot unter der Brücke durchfahren. Ich habe 140 Kilo Karpfen und Störe neu eingesetzt und an das Teichufer Bäumchen gepflanzt. 

 

Herr Carrell, empfinden Sie so etwas wie Dankbarkeit für Ihr Leben? 

Ja, klar! Was habe ich alles erlebt! Das ist doch gigantisch! Ich glaube, man hat bei der »Goldenen Kamera« gemerkt, dass ich sehr dankbar bin. Ich habe mein Leben genießen dürfen. Wäre ich in Holland geblieben, wäre ich vielleicht Intendant eines Fernsehkanals geworden. Wie langweilig! Deutschland hat mir zehnmal mehr gegeben, als ich mir je erhofft habe. Ich verdanke diesem wunderbaren Land mein Leben.

 

Haben Sie schon an Ihre Beerdigung gedacht? 

Ich habe zu meinen Kindern gesagt, dass ich keine öffentliche Beerdigung will. Aus Angst vor den »Jacob Sisters«! Mit ihren komischen Pudeln zerstören sie doch jede Atmosphäre. Die sind auch bei Moshammer aufgetaucht! Deshalb: keine öffentliche Beerdigung aus Angst vor den »Jacob Sisters«. Das können Sie ruhig schreiben.

 

Wo möchten Sie beerdigt werden? 

Ich lasse mich einäschern und dann sollen meine Kinder irgendwo einen Grabstein hinsetzen.

 

Nicht hier auf dem Grundstück neben Ihrer Frau Anke? 

Ich überlege noch, ob wir vielleicht ein gemeinsames Grab mit beiden Urnen nehmen, auf einem normalen Friedhof.

 

Sie sprechen so sachlich über all diese traurigen Angelegenheiten. 

Ich habe mich mit meinem Tod abgefunden. Was soll ich denn noch trauern? Ich muss dankbar sein. Ich habe so ein tolles Leben gehabt. Ende. Das Einzige, was mir noch Sorge macht, ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Interviews. Das könnte schnell auch ein »In memoriam« werden, da es mit mir steil bergab geht. Ich habe aber nichts dagegen, wenn das Gespräch erst nach meinem Tod erscheint. So was kann man eben schlecht planen. 

 

Galgenhumor? 

Natürlich, ich bleibe Profi – bis zum Schluss.

 

Gibt es einen Begriff, der Ihren gegenwärtigen Gemütszustand beschreibt? 

Sehr gelassen. Ich muss nicht mehr nach Köln – herrlich! Ich muss keine Gags mehr erfinden – wunderbar! Ich genieße Kleinigkeiten wie dieses Interview und gucke drei Kanäle holländisches Fernsehen. Vielleicht sehe ich noch etwas Neues, Inspirierendes. Aber ich habe aufgehört zu arbeiten.

 

Sie haben vorhin gesagt, die Menschen werden noch lange an Sie denken. 

Nein, sie werden im Fernsehen die Wiederholungen von mir sehen. »Denken« habe ich nicht gesagt. 

 

Sie werden noch lange im Gespräch bleiben. 

Man wird immer über früher reden – über das Fernsehen, über Frankenfeld, Kulenkampff, Peter Alexander… 

 

…und über Rudi Carrell. Wie möchten Sie Ihren Zuschauern in Erinnerung bleiben? 

Als ein Mann, der sie gut unterhalten hat.