"Ein Quantum Trost" zeigt James Bond als gebrochenen Mann, einige typische Eigenschaften hat er jedoch beibehalten: voreiligen Geschlechtsverkehr, den Hang zum Mord und die Ablehnung des Ideals der Kleinfamilie. Zeit für eine Psychoanalyse.
SZ-Magazin: Herr Schmidbauer, was für ein Mensch ist James Bond?
Wolfgang Schmidbauer: Bond ist kein Mensch, sondern ein Held, ein Übermensch, unzerstörbar und nie um einen Trick verlegen. Er ist eine Männerphantasie, und als solche sagt er natürlich viel über die Träume moderner Männer aus – sonst wäre er nicht so erfolgreich. Sie haben Bond mal in einem Aufsatz als "hysterischen Mann" bezeichnet. Was ist darunter zu verstehen?
Es gibt in der analytischen Praxis Personen, die Hilfe suchen, weil sie an
dem scheitern, was Bond immer gelingt – nur im Luxushotel abzusteigen, die schönste Frau abzuschleppen und den interessantesten Job durchzuziehen. "Hysterisch" ist lange Zeit nur Frauen zugeschrieben worden, die weiblicher als weiblich sein wollen und sich überall in den Vordergrund drängen. Ich finde das sehr ungerecht; es gibt eher mehr Männer, die überoptimale Männer sein möchten; Frauen haben da meistens mehr Abstand und auch Humor. Reale Berufs- und Beziehungsarbeit erfordert Geduld und die Verarbeitung von
Kränkungen. Bond ist deshalb ein Männertraum, weil ihm das erspart bleibt.
James Bond ist als Waise in einem Internat aufgewachsen. Wie prägt ihn das?
Sowohl Bond als auch sein Erschaffer, der Autor Ian Fleming, haben sehr früh den Vater verloren. Das bedeutet für die Entwicklung, dass es kein reales, sozusagen alltagstaugliches Vorbild für eine männliche Rolle gibt. Daher müssen vaterlose Söhne sich ihr Männerbild selbst entwerfen und orientieren sich dabei häufig sehr viel mehr an Heldengestalten als Männer, die einen präsenten Vater hatten. Bond ist sozusagen der vaterlose Held für vaterlose Söhne. Er steht auch für die mangelnde Stabilität des Selbstgefühls dieser Söhne; das lässt sich in den zahllosen Szenen beobachten, in denen er maximal erniedrigt, gefoltert, von übermächtigen Feinden gefangen wird und dann doch triumphiert. Bond steht für den Wechsel von der Depression in die Manie, in den Größenwahn, nicht für ein normales männliches Selbstbewusstsein.
Bond hat ganz offensichtlich erhebliche Bindungsängste. Was verrät uns das über ihn?
Wer mit einer Frau den Alltag bewältigen will, muss auch Schwächen zugeben können. Helden fürchten dann um ihren Nimbus und verduften, wenn eine Beziehung ernst wird.
Kennt ein Mann wie Bond auch heimliche Versagensängste?
Er ist von ihnen gejagt und kommt deshalb nicht zur Ruhe. Obwohl Bond ein amoralischer Patriot ist und Old Shatterhand ein moralischer Christ, haben beide doch gemeinsam, dass ihre Verlobten keine Überlebenschance haben.
Im letzten und im neuen Film wirkt Bond (Daniel Craig) brutaler und kühler denn je. Zugleich zeigt er zum ersten Mal, dass er unter dem Verlust eines Menschen (seiner kurzzeitigen Geliebten Vesper Lynd) leidet. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Ich denke, dass der "alte" Bond britischer war; er hatte einen Hang zur
Selbstironie und gab keine Gefühle preis. Der neue ist amerikanischer, in
Amerika ist das psychologische Profiling zu Hause, man macht sich mehr
Gedanken über Gefühle. Zu Nixons Zeit konnte ein Präsidentschaftskandidat noch dadurch erledigt werden, dass eine Psychotherapie aufflog; Bill Clinton war der erste Präsident, der emotionale Probleme öffentlich eingestand.
Was könnte ein Mann wie Bond tun, um zu sich selbst zu finden?
Was soll diese Frage? Ist nicht klar, dass er alles dafür tun muss, um nicht zu sich selbst zu finden? Wie sollte er noch seinen Job machen, wenn er sich mit seiner Psyche befassen würde?
Und: Was fasziniert uns bis heute an diesem als Männerbild überholten Charakter des Actionhelden?
Überholt? Woher wollen Sie das wissen? Helden sind unsterblich, sie sind unentbehrlich.
Wolfgang Schmidbauer ist Psychoanalytiker und Autor. Weitere Informationen zur Person finden Sie unter: www.wolfgang-schmidbauer.de