Leute machen Kleider: Große Roben zu entwerfen ist nur ein Teil des Jobs von Johnny Talbot (rechts) und Adrian Runhof. Mindestens so wichtig ist es, sie an die richtige Frau zu bringen.
SZ-Magazin: Kristen Stewart trat im Vorfeld der Oscars in einem schwarzen Abendkleid mit silberner Spitze auf. Das Foto ging im Internet um die Welt, genauso der Name des Labels: Talbot Runhof. Haben Sie eine Flasche Champagner aufgemacht?
Johnny Talbot: Normalerweise weiß man ein paar Tage vorher, dass man Chancen hat. In diesem Fall hatte ich keine Ahnung, dass sie ein Kleid aus unserer Kollektion tragen würde. Wir waren alle einfach baff.
Wie kommt man als Designer mit einem Star in Kontakt? Verschicken Sie parfümierte Briefchen?
Adrian Runhof: Wir sollten es tun, kommen aber kaum dazu. Wir bezirzen ja auch nicht die Celebritys, sondern ihre Stylisten. Im November haben wir unsere neue Kollektion in einer Suite des »Sunset Tower Hotels« in Los Angeles vorgestellt und dazu die Stylistinnen einiger Stars eingeladen. Eine nach der anderen kam vorbei und hat sich eine Auswahl zusammengesucht. Die Stylistin von Kristen Stewart war auch da.
Talbot: Es ist natürlich typisch L. A., du hörst tausendmal »Oh that’s so beautiful . . . amazing!« Das muss nichts bedeuten, aber diesmal waren wir zuversichtlich.
Haben Sie schon mal dafür bezahlt, dass ein Star in Talbot Runhof aufläuft?
Runhof: Nein. Bei Schmuck ist es offenbar an der Tagesordnung, bei Kleidern zum Glück noch nicht. Wobei: Wenn die Dame das Abendkleid tatsächlich anhatte, schicken viele Häuser am nächsten Tag Geschenke, also ein nettes Kostüm oder so.
Es soll nicht unüblich in der Branche sein, den Stylisten ein bisschen zu bestechen. Designer sollen schon Schönheitsoperationen versprochen haben, wenn der Star das Kleid anzieht.
Runhof: Wir können das nicht bestätigen, aber natürlich zeigt man sich erkenntlich.
Wie denn?
Runhof: Wir schicken zum Beispiel einen tollen Blumenstrauß, eine handgeschriebene Karte. Ich habe mitgekriegt, dass Tara Swennen, die Stylistin von Kristen Stewart, Wellness-Massagen mag. Also haben wir ihr 'ne schöne Massage spendiert. Und das wird geschätzt.
An den Stylisten führt also tatsächlich kein Weg mehr vorbei?
Runhof: Wenn eine Schauspielerin einen großen Film vermarkten muss, geht sie auf 30 bis 40 Events, dafür braucht sie 30 bis 40 Kleider. Das Studio heuert einen Stylisten an, der ihr diese Klamotten besorgt. Das ist auch richtig so, weil die Leute da gut beraten werden. Es gibt kaum einen Star, der sich bei einem Termin wie den Oscars noch selbst einkleidet.
Talbot: Aber vergiss Helen Mirren nicht.
Runhof: Stimmt. Helen Mirren hat eines Tages hier bei uns in München im Laden angerufen und wollte mal was anprobieren. Wir haben ihr dann etliche Sachen geschickt, und sie hat einiges gekauft.
Talbot: Ganz down to earth. Gloria Estefan kauft auch selbst ein, bei Saks in Miami. Neulich hat sie getwittert: »Ziehe heute Abend ein tolles Kleid von Talbot Runhof an.«
Da sparen Sie sich jedenfalls schon mal die Werbekampagne.
Runhof: Ja, aber es kann auch ins Auge gehen. Wenn der Star nicht der richtige ist und auf dem roten Teppich nicht gut rüberkommt. Da muss man aufpassen. Wir hatten viel Ärger mit den Fans von Selena Gomez – kleine Mädchen, die in South Dakota vorm Computer sitzen und sofort in sozialen Netzwerken Alarm schlagen, wenn ihnen ein Kleid nicht gefällt. Da haben wir sogar Morddrohungen bekommen.
Was hatte Miss Gomez denn an?
Runhof: Ein sexy Mini-Paillettenkleid. Sie sah aus wie eine glamouröse erwachsene Frau, aber die Fans lieben sie als den braven Teenager, den sie in den Highschool-Filmen von Disney immer spielt. In den Blogs stand: »I wanna kill these guys!« Nur, weil wir ihr nicht so einen züchtigen rosa Tülltraum angezogen hatten. Aber das ist egal. Nicht egal ist, was die Beletage denkt, Leute wie Anna Wintour und die Einkäufer der großen Department Stores.
Haben Sie eigentlich Einfluss auf die Accessoires – damit ein elegantes Abendkleid nicht mit ordinären Schuhen oder einer albernen Clutch kombiniert wird?
Talbot: Nicht in Amerika. Aber in Deutschland. Die Leute hier haben keinen Stylisten und glauben, dass man mit schwarzen Pumps zur Robe auf der sicheren Seite ist.
Runhof: Und das kann alles ruinieren. Manche beherzigen aber unser Motto: Wage etwas, aber geh nicht zu weit.
Talbot: Wenn du dir ne Riesenfrisur machst, spare beim Schmuck. Wenn die Schuhe im Vordergrund stehen, halte das Kleid schlicht. In Deutschland bieten wir immer uns selbst als Stylisten an.
»Ich heiße Burda und brauche ein Kleid für den Bambi.«
Die Stars dürfen die Kleider offiziell ja nicht behalten. Bekommen Sie wirklich jedes zurück?
Runhof: Manchmal sagen Celebritys: Das Kleid ist so toll, das möchte ich jetzt kaufen. Gut, dann verschenkt man es einfach oder macht einen Superspezialpreis. Aber die allermeisten wollen die Kleider gar nicht geschenkt haben, weil sie damit nichts mehr angefangen können.
Talbot: Wenn sie es einmal bei einer großen Veranstaltung getragen haben, können sie es ja nicht noch mal anziehen.
Runhof: Wir sagen das immer dazu, wenn ein Kleid schon von einem Star getragen wurde. Das schwarz-silberne Abendkleid zum Beispiel hat Judith Rakers sehr gut gefallen. Wir haben ihr gleich gesagt: Du weißt, das hat Kristen Stewart schon angehabt. Aber das hat sie nicht gestört, sie hat es dann bei »Ein Herz für Kinder« in Berlin getragen.
Kommen nach einem solchen Auftritt dann direkt die Anfragen?
Talbot: Es bricht nicht lawinenartig über uns herein. Aber es gibt einen Effekt, den man manchmal noch Jahre später spürt.
Und nun hoffen Sie auf die Oscars.
Runhof: Unsere PR-Leute in Los Angeles sind da jetzt natürlich dran. Die halten Kontakt zu den Stylisten – und zwar mit allen Mitteln: Die twittern die an, simsen, mailen, rufen an und halten sich in Restaurants und Bars auf, von denen sie wissen, dass die Stylisten dort gerne hingehen.
Wird man Sie verständigen, wenn eines Ihrer Kleider im Dolby Theatre getragen wird?
Runhof: Bestimmt nicht. Ob der Star ein Kleid anzieht, und wenn ja, welches, entscheidet sich immer in letzter Minute. Auch Armani und Chanel wissen es erst dann, wenn die Schauspielerin über den roten Teppich läuft. Dann sitzen alle PR-Leute vorm Fernseher, und sobald die Lady in dem Kleid erscheint, wird losgemailt und getwittert. Aber man kann auch enttäuscht werden. Da kommt vorher die Stylistin und sagt: Ich hätte dieses Kleid gerne für Claire Danes – und dann gibt sie es einer unbekannten Schauspielerin, die das Kleid bei einer unwichtigen Veranstaltung trägt.
Für die Oscars nominiert sind diesmal zehn Damen im Alter von neun bis 85 Jahren. Welche hätten Sie denn gerne?
Runhof: Am allerliebsten Helen Hunt. Ich könnte sie mir wunderbar vorstellen in einem dunkelblauen Crêpe-Kleid mit Spitze – diskret, elegant, nobel. Wenn etwas in dieser Richtung klappen sollte, wir würden aus dem Bett fallen vor Aufregung.
Kim Basinger hat 1998 den Oscar in einer mint-grünen Robe von Escada entgegengenommen, davon reden sie bei Escada heute noch.
Talbot: Das allerbeste Beispiel ist aber Elie Saab mit diesem Halle-Berry-Kleid vor elf Jahren. Ein Oberteil aus durchsichtigem Tüll, mit Blumenstickereien an allen wichtigen Stellen. Genauso musste ein Kleid in dieser Saison aussehen, und das hat Elie Saab schlagartig berühmt gemacht. Dieses eine Kleid! Der Jackpot.
Hat es so einen Moment auch für Sie gegeben?
Talbot: Etwas Ähnliches. Das war 1994, ich saß in unserem ersten Laden in der Münchner Hildegardstraße. Da kam eine blonde Dame rein, hat sich umgeschaut, ein bisschen was anprobiert, noch zwei Freundinnen angerufen und dann ein Kleid gekauft. Ich habe sie nach ihrem Namen gefragt und wann sie das Kleid tragen will. Und sie: »Ich heiße Burda und brauche das Kleid für den Bambi.« Sagte mir alles nichts. Ich war nur froh, dass wir das Kleid verkauft hatten. Das war bestimmt die Hälfte von unserer Ladenmiete.
Maria Furtwängler hat Sie groß rausgebracht?
Runhof: Das hat schon Furore gemacht. Dabei war Bambi damals noch gar keine große Nummer, die Verleihung fand im Münchner Arri-Kino statt. Die Leute sind im Hosenanzug und im Kostümchen da hingegangen.
Talbot: Unter den Fotos stand manchmal sogar: »Soundso in einer selbst entworfenen Robe«.
Runhof: Damals haben wir die Kraft des Celebrity Dressing zum ersten Mal erfahren. Und daran haben wir uns dann orientiert – weil es für uns als kleines Label schlichtweg die einzige Möglichkeit war, Aufmerksamkeit zu erregen.
Gibt es auch Stars, von denen Sie hoffen, dass sie niemals in Talbot Runhof gesehen werden? Dann könnten wir das hier schon mal öffentlich machen.
Runhof: Also erst mal sind wir Kummer gewohnt. Wir machen ja einige Tausend Kleider im Jahr, und davon geraten immer ein paar an die falschen Leute. Dagegen kann man nichts tun. Obwohl – manchmal stellt sich auch heraus, dass die falsche Trägerin genau die Richtige war. Beispiel: Kim Kardashian. Eigentlich eher Promi-Trash, aber leider sah sie supertoll in unserem Kleid aus. Und jetzt – wegen ihrer Beziehung mit Kanye West – ist sie plötzlich erste Liga, Mode-Königsklasse.
Gehen Sie selbst auch auf Rote-Teppich-Termine?
Runhof: Nicht so gerne. Wenn wir eine Einladung bekommen, gehen wir schon hin, aber es ist Arbeit. Es ist anstrengend. Es ist langweilig. Also bitte, bitte keine Einladungen schicken.
Fotos: Robert Fischer