»Das wichtigste ist, dass ich immer noch dabei bin«

Aaron Neville im Interview über den Klang seiner Stimme, das musikalische Klima in New Orleans, seine Knast-Erfahrungen und den seinen langen Weg zum Erfolg.

Foto: Sarah Friedman

Im vergangenen Dezember habe ich mich darüber beklagt, dass Aaron Nevilles neues Album I Know I've Been Changed (EMI) nur in den USA erschienen ist, aber nicht in Deutschland. Diese Klage ist nun gegenstandslos geworden, kommende Woche erscheint diese großartige Gospel-Platte auch bei uns. Erfreulicher Nebeneffekt: Ich hatte ich vor einigen Wochen Gelegenheit, kurz mit Aaron Neville zu telefonieren.

Aaron Neville, wie kommt es, dass ein großer, starker Mann wie Sie so eine sanfte Stimme hat?Da müssen Sie Gott fragen, dafür ist er verantwortlich. Meine Stimme kommt einfach so aus mir heraus.

Wollten Sie schon früh Sänger werden?
Ja, schon als Kind. Ich habe auf der Straße gesungen, im Kino oder bei Basketballspielen.

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1960 erschien Ihre erste Single. Ich fand den Song »Over You« immer etwas furchteinflößend, es geht schließlich darum, dass jemand seine Geliebte umbringen will.
Allen Toussaint hat das Stück geschrieben. Er hat auch die Session geleitet. Auf der Rückseite der Single war ein Song namens »Every Day«, das war das erste Stück, das ich selbst komponiert habe. Bei derselben Session haben auch die Del-Royales die Stücke »Nag Nag« und »Who Will Be The One« aufgenommen.

Wie war damals das musikalische Klima in New Orleans?
Sehr lebendig. Sänger wie Ernie K-Doe und Benny Spellman waren populär. Lee Dorsey fing damals gerade an, genauso wie Irma Thomas, Jessie Hill und die Showmen. Es gab unglaublich viele talentierte Musiker. Wenn es auch noch eine Plattenfirma gegeben hätte, die die Sache richtig anpackt, hätte es eine Erfolgsstory wie Motown werden können.

Immerhin hatten Sie 1967 mit»Tell It Like It Is« einen Nummer-eins-Hit in den USA. Stimmt es eigentlich, dass sie so gut wie nichts an der Nummer verdient haben?
Ja, das stimmt. Die Firma ist pleite gegangen, plötzlich war das ganze Geld weg. So ist das Leben nun mal. Ich habe versucht, mich davon nicht zu sehr runterziehen zu lassen. Mein Glauben hat mir dabei geholfen.

»Ich habe nie den Glauben verloren. Ich haben unten im Bauch des Schiffes geschuftet und dabei Gospelsongs gesungen«

Auf der Original-LP von 1967 ist ein von Ihnen komponiertes Stück namens »Jailhouse« enthalten. Wollten Sie damit Ihre eigenen Knast-Erfahrungen verarbeiten?
Ja, das war ein Teil davon. Vor allem wollte ich aber den Kids klar machen, dass sie lieber einen anderen Weg einschlagen. Zu der Zeit saß mein Bruder Charles im berüchtigten Angola-Gefängnis. Das war schrecklich, aber letztlich haben uns diese Erfahrungen zu den Menschen gemacht, die wir heute sind.

is Ende der Siebziger hatten Sie kaum Erfolg im Musikgeschäft. Womit haben Sie in dieser Zeit eigentlich ihr Geld verdient?
Oh, alles mögliche. Ich habe im Hafen gearbeitet und dort Frachtschiffe entladen. Ich war Lastwagenfahrer. Ich habe Gräben gegraben und Häuser gestrichen. You name it and I done it. Damit zu Hause Essen auf dem Tisch stand.

Gab es einen Punkt, an dem Sie dachten, jetzt wird’s nichts mehr mit der Musik?
Nein, ich habe nie den Glauben verloren. Ich haben unten im Bauch des Schiffes geschuftet und dabei Gospelsongs gesungen. Die anderen haben gesagt, Mann, du solltest nicht hier unten schuften, du solltest zusammen mit Smokey Robinson im Fernsehen auftreten. Ich habe geantwortet: Jetzt muss ich hier unten sein, aber meine Zeit wird kommen.

Ihr herausragender Track aus den Siebzigern ist »Hercules«, der unzählige Male gesampelt wurde –
– oh man, tell me about it.

Das ist so ein toller Track! Unglaublich, dass der kein Erfolg war.
Ja, verstehe ich selbst nicht. Der wurde auch wieder von Allen Toussaint produziert. Später hat ihn dann ein Rapper benutzt und sogar meinen Gesang draufgelassen.

Die Neville Brothers haben 1978 ihre erste LP veröffentlicht, den Durchbruch aber erst zehn Jahre später mit Yellow Moon geschafft. Was hat der Produzent Daniel Lanois anders gemacht als seine Vorgänger?
Die meisten Produzenten, mit denen wir gearbeitet haben, haben versucht, den Neville Brothers einen bestimmten Sound zu verpassen. Sie dachten, sie hätten die richtige Formel. Daniel hat versucht, das zu finden, was schon da ist. Ich glaube, das hat zum Erfolg geführt

Warum hat er kein Nachfolgealbum mit Ihnen gemacht?
Sein Assistent Malcom Burn hat Brother’s Keeper produziert, das nächste Album. Aber erst kürzlich gab es Gespräche mit Daniel über die Möglichkeit, mal wieder zusammenzuarbeiten.

Viele Soulfans waren enttäuscht, dass Sie seit den Neunzigern etliche Alben mit Mainstream-Pop aufgenommen haben. Können Sie mit dieser Kritik etwas anfangen?
Kritik ist Teil des Lebens. Ich habe getan, was die Plattenfirmen von mir gewollt haben. Als nächstes würde ich gerne ein Doo-Wop-Album machen, diese Musik war meine erste Liebe. In mir steckt auch noch ein Country-Album. Aber ich will auch noch mehr Gospel- und Pop-Platten machen.

Wie war die Zusammenarbeit mit Joe Henry, der das Album I Know I’ve Been Changed produziert hat?
Cool. Er hat sich nicht so aufgespielt, wie das die meisten Produzenten tun. Er wollte einfach, dass die Musik und der Gesang für sich selbst stehen. Er hat sein Studio bei sich zu Hause im Keller. Alle spielen gleichzeitig – so wie damals, als wir angefangen haben, in den Toussaint-Tagen.

Ich glaube, viele Leute haben seit langem auf ein neues Gospel-Album von Ihnen gewartet.
Ich auch, ich wollte das schon sehr lange machen! Aber so wie das Geschäft heute läuft, kann man es sich nicht aussuchen, sondern muss warten, bis man an der Reihe ist. Es geht auf und ab, das macht doch das Leben aus. Das wichtigste ist, dass ich immer noch dabei bin.