Emmylou Harris, der erste Song auf Ihrem neuen Album Hard Bargain handelt von Gram Parsons ...
... das ist ja wohl ziemlich offensichtlich!
Schon kurz nach seinem Tod im Jahr 1973 haben Sie zum ersten Mal über Parsons geschrieben. Warum kehren Sie viele Jahre später nun wieder zu dem Thema zurück?
Tja, wer weiß? Ich habe auf der Gitarre herumgespielt, plötzlich fiel mir dieser Text ein. Vielleicht liegt es daran, dass man im Alter eher dazu neigt, auf sein Leben zurückzublicken: auf die Reise, die man zurückgelegt hat, und die Menschen, denen man begegnet ist.
In dem Song findet sich die Zeile »I came down from the mountain, I came down in your shoes«. Das soll wohl bedeuten, dass Sie sein Erbe fortgeführt haben.
Ja, genau. Die Zusammenarbeit mit ihm war für mich sehr aufregend. Ich habe alles aufgesogen, was er mir über Musik erzählt hat. So wurde mein Interesse an Countrymusik geweckt, bis ich schließlich mit fast schon religiöser Inbrunst bei der Sache war. Ich dachte damals, dass wir noch viele Jahre weitermachen würden. Aber dann stand ich plötzlich allein da. Ich konnte nicht einfach aufhören! Ich hatte keine andere Wahl, als Grams Arbeit weiterzuführen.
Einen anderen Song auf dem Album haben Sie der vor einem Jahr verstorbenen Kate McGarrigle gewidmet.
Zuerst war ich ein großer Fan ihrer Musik, dann wurde sie eine enge Freundin. Es gab eine Zeit, da habe ich mir gewünscht, auch eine McGarrigle zu sein – Kate und Anna waren die Schwestern, die ich nie hatte. Ich habe die beiden nach Nashville geholt, bin mit Ihnen auf Tour gegangen, habe Songs mit ihnen geschrieben Es war sehr hart, Kate so plötzlich zu verlieren.
Ihr Sohn Rufus ist vor kurzem Vater geworden und hat das Baby nach seiner Mutter benannt.
Ja, die Kleine heißt Viva Katherine. Anna hat mir ein paar Bilder geschickt.
Ich habe kürzlich mit Ron Sexsmith gesprochen, der den Titelsong von Hard Bargain geschrieben hat. Schade, dass er nicht so bekannt ist, oder?
Ja, so etwas erstaunt mich immer wieder! So ein guter Songschreiber! Aber vielleicht gefällt es ihm auch, dass er weiterhin relativ anonym leben kann. Ich kenne ihn nicht besonders gut.
Er war auf jeden Fall hocherfreut, dass Sie einen Song von ihm singen.
Das freut mich.
»Es gibt keine isolierten Landstriche mehr, wo die Leute ganz unbeeinflusst ihre Musik machen. Auch auf den Dörfern sind die Leute online«
Ein weiterer Höhepunkt Ihres Albums ist der Song »My Name Is Emmett Till«, in dem es um den rassistischen Mord an einem schwarzen Teenager im Jahr 1955 geht.
Ich komme aus dem Folkrevival in den Sechzigern. Diese Zeit hat meinen Blick dafür geschärft, wie man mit Musik etwas bewirken kann. Einer meiner Lieblingssongs aus dieser Zeit ist Richard Farinas »Birmingham Sunday«, in dem es um den Bombenanschlag auf eine Kirche in Birmingham geht, bei dem vier schwarze Mädchen starben. Das ist einfach so ein kraftvoller Song! Die Geschichte wird ohne Hysterie erzählt, ohne Ärger, denn schon in den Namen der vier Mädchen, denen diese schrecklich Sache angetan wurde, steckt so viel Kraft. Dieser Anschlag hat dazu geführt, dass viele Leute ihre Meinung über die Rassentrennung in den USA geändert haben, und der Song hat bestimmt dazu beigetragen.
Sie kennen sich gut aus in der Country- und Folktradition. Ist diese Tradition denn noch lebendig?
Die ländliche Musiktradition ist verschwunden, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Es gibt keine isolierten Landstriche mehr, wo die Leute ganz unbeeinflusst ihre Musik machen. Auch auf den Dörfern sind die Leute online und wissen genau, was am anderen Ende der Welt passiert. Aber die alten Folksongs bewegen die Leute immer noch – auch jene, die nicht in diese Tradition hineingeboren wurde. Diese Songs haben etwas unverwüstliches. Ich war gerade mit einer jungen Band namens The Low Anthem auf Tour. Die hatten ein Harmonium dabei, das Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden ist, außerdem Klarinette, Kontrabass und sogar eine singende Säge. Das sind alles Kids Anfang zwanzig, irgendwo müssen Sie diese Musik gefunden haben.
Was ist der größte Unterschied zwischen der Countryszene in den Siebzigern und heute?
Ich höre nicht besonders viele aktuelle Countrymusik. Wenn ich doch mal etwas mitkriege, klingt das für mich alles so gleichförmig, dass man die Künstler kaum auseinanderhalten kann. Ich bin ein alter Folkie: Ich mag es nicht, wenn die Musik allzu glatt ist, da fehlen mir Seele und Individualität. Im Vergleich zu Künstlern wie Waylon Jennings, Johnny Cash, George Jones, Loretta Lynn und Tammy Wynette klingen die heutigen Countrystars alle sehr durchschnittlich.
Sie hatten eine lange und sehr erfolgreiche Karriere. Wie haben sie sich so lange oben halten können?
Ich will nichts anderes machen als Musik, und ich kann auch nichts anderes. Ich liebe die Kameradschaft unter Musikern und Songschreibern. Und mir macht es nichts aus, mit dem Bus herumzufahren. Ich mag dieses Leben.
Im Lauf der Jahre haben viele Top-Instrumentalisten der Countryszene in Ihrer Band gespielt. Wie haben Sie es geschafft, all diese tollen Musiker zu bekommen?
Ich hatte bereits am Anfang großes Glück. Mein Produzent Brian Ahern holte Leute wie Rodney Crowell und James Burton. Auf einmal war meine Band die Band, in der alle spielen wollten. Da konnten sie zeigen, was sie drauf haben.
Eine Ihrer Spezialitäten ist der Duettgesang. Sie haben schon mit so berühmten Sängern wie Bob Dylan und Neil Young zusammengesungen.
Ich finde, die menschliche Stimme klingt am interessantesten, wenn sie mit einer anderen Stimme zusammen erklingt. Jede Stimme hat etwas unverwechselbares – ich mag diese überraschenden Effekte, die sich bei einem Duett ergeben.
Wer wäre Ihr Traumpartner für ein Duett, egal, ob lebendig oder tot?
Ich wäre wahrscheinlich sehr eingeschüchtert, aber ich würde wirklich gerne Billie Holiday treffen.