Eine »earth-shattering union« nennen die Kollegen bei Allmusic die Partnerschaft von Sly Dunbar und Robbie Shakespeare; ihre Ideen hätten nicht nur die jamaikanische Musik entscheidend geprägt, sondern den gesamten Pop. In der Tat sind die Eckdaten ziemlich spektakulär: Seit 1975 spielen der Drummer Sly Dunbar und der Bassist Robbie Shakespeare zusammen, in dieser Zeit haben Sly und Robbie geschätzte 200.000 Songs aufgenommen, unzählige Hits fürs jamaikanische Publikum produziert und mit internationalen Top-Stars wie Mick Jagger, Bob Dylan, Sting und Grace Jones gearbeitet. Ende Februar ist ihr neues Album Blackwood Dub (Groove Attack) erschienen, und so hatte ich vor kurzem Gelegenheit, mit Sly Dunbar zu telefonieren.
Sly Dunbar, seit 1975 spielen Sie mit dem Bassisten Robbie Shakespeare zusammen; Sly & Robbie sind inzwischen eine der langlebigsten Rhythmusgruppen des Pop. Wie haben Sie es so lange miteinander ausgehalten?
Wir sind immer noch zusammen, weil wir viel Respekt und Liebe füreinander empfinden. Und weil wir nicht vergessen haben, wo wir herkommen. Bis heute halten wir die älteren Musiker in Ehren, die uns damals den Weg geebnet haben. Inzwischen sind wir beide aber selbst alt und versuchen, unsererseits jungen Musikern zu helfen.
Gab’s mal richtig Streit zwischen Sly und Robbie?
Nein, nie.
Wissen Sie noch, wo Sie Robbie Shakespeare zum ersten Mal begegnet sind?
Das war in einem Plattenladen namens Randy’s. Er hat damals bei den Aggrovators gespielt, ich bei den Revolutionaries. Wir sind ins Gespräch gekommen und haben schnell gemerkt, dass wir ähnliche musikalische Vorstellungen haben. Wir haben zusammen auf ein paar Sessions gespielt und dann auf Jimmy Cliffs Album Follow My Mind. So ging’s los.
Stimmt es, dass Sie Ihr erstes Schlagzeug selbst gebaut haben, aus Blechdosen?
Ja, da war ich noch ein Kind. Ich wurde dann allerdings schon mit 15 Profi-Musiker. Der erste Song, auf dem ich zu hören bin, war eine Aufnahme der Upsetters mit dem Titel »Night Doctor«. Mit 16 habe ich dann auf dem Song »Double Barrel“ gespielt, einem großen Hit für Ansel Collins ...
... der auf der neuen CD von Sly & Robbie Keyboards spielt. Anscheinend ein Freund für’s Leben.
Ja, auf jeden Fall. Ansel ist einer meiner besten Freunde, wir telefonieren alle paar Tage miteinander.
Welche Drummer haben Sie als junger Mann bewundert?
Zum Beispiel den großen Lloyd Knibb von den Skatalites. Aber auch Mickey »Boo« Richards, Phil Calendar, Joe Issacs, Bunny Williams und Winston Grennan. Das waren die Drummer, die damals in Jamaika auf den meisten Hits gespielt haben. Gleichzeitig war ich Fan der großen US-Drummer: Benny Benjamin bei Motown, Al Jackson bei Stax, Earl Young bei Philadelphia International.
In Jamaika hat man recht genau verfolgt, was gerade in den amerikanischen R&B-Charts erfolgreich war, oder?
Ja, wir haben viel Musik aus den USA gehört. Auf den Partys lief Funk und Soul, und nicht selten wurden die Hits aus den USA von jamaikanischen Bands gecovert. In den Club-Bands, in denen ich gespielt habe, musste man alle US-Hits draufhaben, weil das die Leute hören wollten. Davon haben wir viel gelernt, viele Ideen sind in unseren Reggae-Sound eingeflossen. Mir hat zum Beispiel der Snare-Sound auf den Philadelphia-International-Platten besonders gut gefallen, und ich habe versucht, ihn im Studio selbst hinzukriegen.
Ihr internationaler Durchbruch kam dann mit Peter Tosh, richtig?
Ja, wir haben einige Alben mit Peter gemacht und sind auch mit ihm auf Tour gegangen. Nachts saßen Robbie und ich immer in unserem Hotelzimmer und haben überlegt, wie wir unsere Musik voranbringen können. Peter hat Robbie und mich international bekannt gemacht. Das war sehr gut für uns.
»Was aus dem Computer kommt, klingt alles gleich, zu mindestens neunzig Prozent. Das läst sich nicht leugnen«
Peter Tosh soll ein sehr charismatischer Performer gewesen sein.
Stimmt. Tippen Sie mal »Peter Tosh 1979« bei Youtube ein! Die Clips, die dann kommen, habe ich mir neulich selbst angesehen, und ich war sehr beeindruckt. Ich war zwar selbst dabei, aber da ich hinter meinem Schlagzeug saß, habe ich gar nicht so genau gemerkt, wie Peter sich dem Publikum präsentiert hat.
In den Siebzigern und Achtzigern haben etliche internationale Popstars in Jamaika aufgenommen. Wie hat das die jamaikanische Szene beeinflusst?
Gar nicht. Aber es war natürlich trotzdem eine gute Sache. Paul Simon kam, Johnny Nash kam, Serge Gainsbourg hat 1978 ein Album mit uns aufgenommen, das immer noch eines der bestverkauften Reggae-Alben ist. Vielen Musikern hat die enstpannte Atmosphäre auf unserer Insel gefallen.
Erzählen Sie ein bisschen von den legendären Sessions mit Serge Gainsbourg, bei denen sein Album Aux Armes Et Caetera entstand.
Jemand von Island Records hat uns angerufen und gesagt, dass Serge Gainsbourg gerne ein Album in Jamaika aufnehmen würde. Ich kannte den Namen von dem Song »Je T’Aime«, aber ich habe mich trotzdem gefragt, ob es derselbe Künstler ist, da »Je T’Aime« ja kein Reggae-Song ist und ich einen Reggae-Sänger erwartete. Als wir im Studio ankamen, hat er gesagt, er würde gerne ein Reggae-Album mit französischem Gesang machen. Ich habe kein Wort von dem verstanden, was er gesungen hat, aber wir haben einfach angefangen zu spielen und es hat so gut funktioniert, dass wir das ganze Album in einer Woche aufgenommen haben. Zum Schluss haben wir noch die I-Threes geholt für die Backing Vocals – fertig. Das war eine erstaunliche Session.
Sie haben mit vielen anderen Top-Stars gespielt.
Ja, mit Mick Jagger, Bob Dylan, Carly Simon, Herbie Hancock, James Brown, Joe Cocker, Grace Jones, Yoko Ono, Sting, No Doubt und einigen anderen, an die ich mich gerade nicht erinnere.
Wie lief denn die Session mit Bob Dylan?
Als wir den Anruf bekamen, dass er uns engagieren wollte, haben wir gerade in Nassau mit Grace Jones gearbeitet. Wir waren große Fans von Dylan und konnten es zuerst gar nicht glauben. Wir sind also nach New York gefahren, die Session fand im Power-Station-Studio statt. Er kam rein, mit der Mudharmonika um den Hals, und hat gleich angefangen zu spielen. Geprobt wurde nicht, wir mussten die Songs instinktiv lernen – und alles wurde aufgenommen. Er hat gerne verschiedene Tonarten ausprobiert und oft direkt im Studio von Version zu Version die Texte geändert. Zum Beispiel bei »Jokerman«. Wir hatten den Song eigentlich schon im Kasten, aber er sagte am nächsten Tag, den spielen wir jetzt nochmal. Wir haben den Song also einfach nochmal runtergespielt – und er sagte, ja, das ist es. Ich glaube, er wollte einen etwas lockereren Sound. Die Arbeit mit Dylan hat uns viel Spaß gemacht, er ist wirklich ein netter Typ. Er war übrigens auch derjenige, der uns gesagt hat, dass wir mit dem Black-Uhuru-Album Anthem einen Grammy gewonnen haben.
Als Produzenten und Musiker waren Sly & Robbie immer sehr innovativ, oft haben Sie neue Sounds eingeführt, die bald darauf auf Jamaika sehr populär wurden. Lag das daran, dass im jamaikanischen Musikgeschäft so eine harte Konkurrenz herrscht?
Nein, eigentlich nicht. Das ist eher unserer eigener Ehrgeiz. Um als Studiomusiker im Geschäft zu bleiben, muss man immer am Ball sein. Deshalb habe ich zum Beispiel mit E-Drums experimentiert, ein Sound, auf den die Leute immer noch abfahren. Von Anfang an wollten wir immer vorne mit dabei sein und unsere Musik mit neuen Ideen voran bringen. Manchmal klappt das, manchmal nicht.
Ende der Siebziger haben Sie ihr eigenes Label gegründet, Taxi Records. Es war bestimmt ein großer Schritt, nun nicht mehr nur als Musiker, sondern auch als Geschäftleute zu agieren.
Wir haben an die Zukunft gedacht und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir möglichst viel von unserer Musik besitzen sollten. Wir haben Bücher über Label wie Motown gelesen und gedacht, so etwas probieren wir auch. Black Uhuru war das erste Projekt, dass international erfolgreich war, wir haben aber auch viele Hits fürs jamaikanische Publikum produziert.
Sie haben sehr früh mit E-Drums und digitaler Aufnahmetechnik experimentiert. Was klingt Ihrer Meinung nach besser: ein echtes Schlagzeug oder ein Beat aus dem Computer?
Heute kann ich sagen, dass das echte Schlagzeug besser klingt. Der Computer ahmt das echte Drumset nach, er sampelt es. So ist es nicht möglich, den Sound hinzubekommen, den wir damals hatten. Die Kids versuchen alles mögliche, aber sie kriegen es nicht hin.
Man denkt, der Computer habe unbegrenzte Möglichkeiten, aber tatsächlich ist der Sound viel facettenreicher, wenn man mit echten Musikern in verschiedenen Studios mit verschiedenen Toningenieuren aufnimmt.
Ein ganz wichtiger Punkt. Jeder Drummer hat seinen eigenen Sound. Jedes Studio hat einen eigenen Sound. Was aus dem Computer kommt, klingt alles gleich, zu mindestens neunzig Prozent. Das läst sich nicht leugnen. Wenn Sie sich alte Platten anhören, hören sie doch schon am Klang, ob die Platte von Studio One kam, von Trojan, von Motown, Stax oder Philadelphia International. Das geht heute nicht mehr. Ob es in Schweden, Deutschland, Amerika oder Jamaika aufgenommen wurde – es klingt alles gleich, weil alle das gleich digitale Equipment benutzen.
Schade, oder?
Das einzig Positive an dieser Entwicklung ist, dass es dadurch leichter geworden ist, Platten aufzunehmen. Aber ich habe den Eindruck, dass sich viele nach dem warmen Sound der alten Platten zurücksehnen.
Ihr neues Album Blackwood Dub ist ein reines Dub-Album. Wenn man sich auf diese Musik einlässt, finde ich, kann sie einen hypnotischen Charakter entwickeln.
Das geht uns auf der Bühne genauso! Wenn wir echten Dub spielen und dann den Beat verändern, flippen die Leute aus. Da ist so viel Energie im Raum – ganz anders, als wenn vorne ein Sänger alles dominiert. Wenn wir uns auf Schlagzeug und Bass konzentrieren, kommen wir manchmal in eine andere Zone. Da schießt es uns in den Weltraum!
Wann kann man Sly & Robbie mal wieder live in Europa erleben?
Im Juli kommen wir nach London. Da gibt es eine große Feier zum 50. Jubiläum der jamaikanischen Unabhängigkeit. Wir spielen dort mit Monty Alexander und Ernie Ranglin.
Ernest Ranglin! Das freut mich aber, dass der noch dabei ist. Sein Album Below The Bassline ist eine meiner Lieblingsplatten.
Geben Sie mal bei Youtube »Jamaica Jazz« ein, da finden Sie Videos aus Japan. Im Herbst waren wir dort mit ihm und Monty auf Tour.
Ranglin muss doch schon weit über siebzig sein.
Er wird im Sommer achtzig. Aber er ist fit, sieht gut aus und spielt überragend. Was er in seinem Kopf hört und was er auf der Gitarre spielt, ist wirklich außergewöhnlich. Geben Sie es mal bei Youtube ein. Aber erst »Peter Tosh 1979«.