Steve Earle, Ihre neue Platte heißt I’ll Never Get Out Of This World Alive, so wie ein berühmter Song von Hank Williams. Allerdings ist der Song gar nicht auf dem Album zu finden.
Wir haben ihn aufgenommen, aber lediglich als Bonustrack für die iTunes-Version der Platte. Früher hat man Platten gemacht, um Mädchen zu beeindrucken, heute macht man sie für Nerds. Tja...
Warum haben Sie der Platte diesen Titel geben?
Es stand schon lange fest, dass mein neuer Roman diesen Namen tragen wird. In dem Buch geht es um einen Arzt, der mit Hank Williams in der Nacht unterwegs war, als dieser starb; zehn Jahre später wird er plötzlich von Hanks Geist heimgesucht. Als ich die Platte fertiggestellt und die Songs in die richtige Reihenfolge gebracht hatte, fiel mir auf, dass es um ähnliche Dinge geht wie im Buch: Spiritualität, Tod, all die großen Sachen, die uns Angst machen. Deshalb habe ich ihr denselben Titel gegeben.
Auch viele Countrysänger wurden von Hank Williams’ Geist heimgesucht.
Ja, so gut wie alle. Besonders die Singer-Songwriter. In Nashville waren die ja eigentlich nie so gut gelitten. Da sollten die Sänger nur singen und die Songwriter nur komponieren. Mir ging es ganz gut dort, es war zwar Krieg, aber das hat mir gefallen. Irgendwann bin ich dann abgehauen.
Und wie ist Ihr eigenes Verhältnis zu Hank Williams?
Ich bin natürlich großer Fan – so wie jeder in meiner Branche. In der Popmusik gibt es nur ein paar echte Ikonen und Hank ist auf jeden Fall eine davon. Auch Townes Van Zandt war großer Hank-Williams-Fan. Ich glaube aber nicht, dass man aus Hanks wildem Leben und frühen Tod den Schluss ziehen kann, dass ein Zusammenhang zwischen Selbstzerstörung und Kreativität besteht. Solche Fragen werden gerne romantisiert. Ich wäre jedenfalls auch dann drogensüchtig geworden, wenn ich nicht Sänger sondern Feuerwehrmann geworden wäre.
Dennoch ist die Ansicht bis heute weit verbreitet, dass ein selbstzerstörerischer Lebensstil die Schaffenskraft befördert
Völliger Quatsch. Und ich bin wirklich einer der wenigen, der berechtigt ist, darüber ein Urteil zu fällen. Ich habe all das gemacht, wovon die meisten immer nur reden – und überlebt. Also sage ich: Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Die Leute, die so etwas behaupten, haben weder je einen Song geschrieben, noch je versucht, sich umzubringen.
Auch ihr Vorbild Townes Van Zandt hatte einen selbstzerstörerischen Lebensstil.
Ich habe versucht, mich davon zu fernzuhalten, aber das ist mir nicht gelungen. Ich bin nicht stolz darauf, aber es gab eine Zeit, wo ich mir gesagt habe: Es ist gar nicht so schlimm, dass du trinkst und Drogen nimmst – Townes trinkt ja noch viel mehr. Jahrelang habe ich mich auf diese Art belogen, bis ich eines Tages aufgeschaut und gemerkt habe: So, jetzt bist du genauso fertig wie er.
Gleichzeitig haben Sie viele schöne, wichtige Dinge von ihm gelernt.
Townes war nicht nur ein fantastischer Songwriter, er war auch viel gebildeter als ich. Er hatte studiert und hat viel gelesen. Die meisten Bücher, die ich mit Anfang zwanzig las, hatte er mir empfohlen. Krieg und Frieden habe ich zum Beispiel nur gelesen, weil Townes es mir gegeben hat. Später stellte ich übrigens fest, dass er es selbst gar nicht gelesen hatte... Aber er war der Meinung, dass man lesen muss, um zu schreiben.
Als er Ihr Mentor wurde, waren Sie noch ein Teenager. War Ihnen damals klar, was für eine besondere Sache das war?
Oh ja. Ich wusste, wie gut er war. Und mir war völlig klar, dass ich sehr großes Glück hatte, dass er sich mich für mich interessierte und mir etwas beibrachte. Ich habe nie einen Songwriter getroffen, der ihn nicht kannte. Auch Bob Dylan wusste immer, wer er war.
Inzwischen sind Sie selbst ein weithin verehrter Altstar. Da wäre es nun eigentlich an Ihnen, junge Songwriter zu fördern.
Ja, habe ich immer wieder gemacht. Ich bin gerade in Denver, hier gibt es einen Typen namens Joe Pug, den ich sehr schätze und der auch schon in meinem Vorprogramm gespielt hat. Ich habe gerade eine SMS von ihm bekommen, er wird sich heute abend meine Show ansehen und morgen mit mir frühstücken. Und mein Sohn Justin Townes ist bekanntlich auch Singer-Songwriter geworden. Ich bin sein Vater, also fragt er lieber andere Leute, aber er verfolgt, was ich mache, macht es später nach und gibt es als seine eigene Idee aus – so wie das nun mal ist bei Vätern und Söhnen.
Hat Ihr Sohn Ihre rebellische Ader geerbt?
Er ist auf jeden Fall ein ziemlicher Sturkopf. Leider kann ich ihm kaum einen Rat zum Musikgeschäft geben, denn das funktioniert heute ganz anders als in den Achtzigern, als ich angefangen habe. Damals flog das Geld nur so durch die Luft – wer mit dem größten Vorschuss gestorben ist, hatte gewonnen. Heute muss man viel härter arbeiten. Ich bin gerade auf einer Promo-Tour. Früher dachte ich, so etwas muss man nur zu Beginn der Karriere machen, bis man bekannt genug bist. Von wegen.
Ihr neues Album klingt sehr reif und nachdenklich. So ein Album hätten Sie vor zehn Jahren noch nicht machen können, oder?
Alle meine Alben spiegeln wieder, wo ich in dem Moment stand, als ich sie aufnahm. Dieses hier handelt unter anderem davon, dass mein Vater vor drei Jahren starb. Da denkt man viel über den Tod nach. Nicht all diese Überlegungen sind negativ. Ich meine, ich hätte gerne meinen Vater zurück, aber ich weiß, dass er nicht ewig leben kann. In seinen letzten Jahren hat er sehr gelitten, und ich bin froh, dass das jetzt vorbei ist. Ich wollte auf dem Album auf möglichst bewusste, ruhige Art über den Tod nachdenken – denn er mag zwar Angst machen, bleibt aber keinem erspart. Um den Tod und die Steuern kommt keiner herum, so sagt man doch.
Das Album klingt etwas countrylastiger als ihre letzten Platten.
Das ist das Werk von T-Bone Burnette, dem Produzenten. Hinzu kommt, dass ich mich nicht mehr dafür interessiere, E-Gitarre zu spielen. Ich spiele lieber Mandoline oder Bouzouki oder übe Fingerpicking auf einer Martin-Gitarre.
Neuerdings sieht man Sie mit einer Gitarre, auf der der Schriftzug »This Machine Floats« zu lesen ist. Was soll das bedeuten?
Die Gitarre haben wir für die Fernsehshow Treme bemalt, in der ich einen Straßenmusiker spiele. Da geht es um New Orleans nach dem Hurrikan Katrina. Es ist eine brandneue Martin-Gitarre, die ich zusammen mit einigen Freunden auf alt getrimmt habe, damit sie so aussieht, als hätte sie die große Flut in New Orleans überstanden.
Meine Frau und ich schauen Treme gerade auf DVD, aber wir sind erst bei der sechsten Folge angekommen.
Die Gitarre ist in der letzten Folge zu sehen. Da singe ich auch den Song »This City«, der auf der neuen CD ist und ursprünglich für Treme entstand.
Mich hat die Aufschrift auch an Woody Guthrie erinnert.
Klar, das ist eine Anspielung auf Woody Guthrie, der »This Machine Kills Fascists« auf seine Gitarre geschrieben hatte. Das war eine kleine Überraschung für David Simon, den Schöpfer von Treme<, der ein großer Musikfan ist. In der zweiten Staffel, deren Dreharbeiten gerade zu Ende gehen, wird die Gitarre noch öfter zu sehen sein.
Ich halte die Frage für sehr wichtig, auf welche Weise heutige Musiker mit der Tradition umgehen sollten. Wie denken Sie darüber?
Ich habe viel Respekt für die Tradition, sie ist einer der Gründe dafür, warum ich in Greenwich Village wohne. Ich verbringe dort viel Zeit damit, meine Nachbarn auszufragen, die damals schon dabei waren. Zum Beispiel Matt Umanov, der in meiner Nachbarschaft seit 1965 einen Gitarrenladen betreibt und Bob Dylan etliche Gitarren verkauft hat. Suze Rotolo, die vor kurzem gestorben ist, wohnte in der Nähe, ihr Sohn arbeitet für Matt. John Sebastians Bruder wohnt immer noch in der Gegend, in dem Haus, in dem die Familie aufgewachsen ist. Außerdem habe ich ein Haus in Woodstock, dort sind John Sebastian, Levon Helm und Happy Traum meine Nachbarn. Meines Erachtens kommt es darauf an, solche traditionellen Quellen zu benutzen und trotzdem du selbst zu bleiben. Wenn du etwas zu sagen hast, wird dir das auch gelingen, und du brauchst keine Gebrauchsanweisung mehr. Das macht den besten HipHop so aufregend: Da haben ein paar Kids Geräte gekauft, die Bedienungsanleitung weggeschmissen und einfach angefangen, irgendwelche Knöpfe zu drücken. Beim Folkboom der Sechziger war es genauso. Was wussten jüdische Kids aus New York denn über Banjos? Aber sie haben sich welche gekauft und einfach drauflos gespielt. So entstand eine Menge tolle Musik.
Da Ihre neue Platte so ruhig ist, habe ich zum Abschluss noch die Frage: Worüber können Sie sich dieser Tage richtig aufregen?
Wenn die Leute rumspringen und »USA, USA« brüllen, bloß weil jemand in Pakistan getötet wurde. Wenn der die ganze Zeit in Pakistan war, warum sind dann so viele Menschen im Irak gestorben?