Muss man zu Willie Nelson noch etwas sagen? Ohne Zweifel gehört der Texaner zu den großen musikalischen Ikonen unserer Zeit. Rapper, Kiffer und Hipster verehren ihn genauso wie amerikanische Patrioten und Waffennarren - kaum ein zweiter Star dürfte über eine derart breite Fanbase verfügen. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass seine großen musikalischen Leistungen nicht fern in der Vergangenheit liegen, sondern dass er seinem umfangreichen Werk von rund hundert Alben laufend weitere Facetten hinzufügt. In den Sechzigern schrieb er, damals noch als Teil der Nashville-Szene, Klassiker wie »Night Life« und »Funny How Time Slips Away«, in den Siebzigern revolutionierte er mit der Outlaw-Bewegung die Countrymusik, seit seiner LP Stardust von 1978 hat er auch als einer der großen Interpreten des »Great American Songbook« zu gelten; inzwischen singt kaum jemand Balladen und Torch Songs mit so viel Gefühl und unverwechselbarem Stil wie Nelson und sein Country-Kollege Merle Haggard. Auf Nelsons letztem Album Heroes, das im vergangenen Jahr erschien, fand sich noch eine Kollaboration mit Snoop Dogg, auf seinem neuen Album Let's Face The Music And Dance (Sony Music) widmet er sich nun wieder dem klassischen Songmaterial. Das Album ist gerade erschienen, für Fans dürfte von Interesse sein, dass die musikalische Begleitung von seiner Family-Band kommt, mit der er seit rund vierzig Jahren auf Tour ist. Nach einem ersten Gespräch mit Willie Nelson hatte ich nun erneut Gelegenheit, mit ihm zu telefonieren
Willie Nelson, am 30. April werden Sie 80 Jahre alt. Wie werden Sie Ihren Geburtstag feiern?
Das ist ein ganz normaler Arbeitstag für mich. Ich spiele ein Konzert in Florida.
Es gibt also keine große Party?
Nein, ich habe schon immer versucht, mich um Geburtstagspartys herumzudrücken. Ich freue mich zwar, dass ich noch da bin, aber ich mag es nicht besonders, an diesem Tag so im Mittelpunkt zu stehen. Ich würde meinen Geburtstag gern vergessen – leider erinnern sich alle anderen daran.
Was ist das schönste Geburtstagsgeschenk, dass Sie je bekommen haben?
Oh, das sind wohl die Dinge, die meine Kinder für mich gebastelt haben, als sie klein waren. Das waren meine schönsten Geschenke.
Bald nach Ihrem Geburtstag steht eine weitere Feier an: Das Berklee College of Music verleiht Ihnen die Ehrendoktorwürde.
Ja, das ist wirklich eine große Ehre.
Waren Sie eigentlich selbst mal auf der Uni?
Nach meiner Zeit bei der Air Force konnte ich Mitte der Fünfziger mit meinem G.I. Bill an der Baylor Universität in Waco, Texas, studieren. Aber dann ging mir das Geld aus und ich begann, meinen Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen. Eigentlich wollte ich Anwalt werden, inzwischen bin ich ganz froh, dass ich Gitarrist geworden bin. Da hat man mehr Spaß, denke ich.
Trotz Ihres hohen Alters nehmen Sie weiter neue Platten auf und spielen ein Konzert nach dem anderen.
Ja, wir arbeiten ziemlich regelmäßig. Heute Abend spielen wir in Cedar Falls, Iowa, gerade sitze ich in meinem Tourbus und bin auf dem Weg dorthin. Ich denke mir immer, nächstes Jahr trittst du ein bisschen kürzer. Aber bisher habe ich es nicht gemacht. Die Leute kommen zu meinen Konzerten, die Band spielt weiterhin gut, ich singe immer noch ziemlich gut und spiele okay Gitarre – alles läuft, es gibt also keinen wirklichen Grund aufzuhören. Aber der Tag wird irgendwann kommen, das ist klar.
Gerade ist Ihr neues Album Let’s Face The Music And Dance erschienen, auf dem Sie wieder zahlreiche Pop- und Countryklassiker covern. Was ist für Sie das verbindende Element dieser Songs?
Auch wenn es etwas simpel klingen mag: dass es fantastische Songs sind. Der Titelsong »Let’s Face The Music And Dance« stammt von Irving Berlin, der auch »Blue Skies«, »God Bless America« und »Alexander’s Ragtime Band« geschrieben hat, also einige der besten Songs aller Zeiten. So etwas singe ich immer gerne.
Haben Sie den Song schon lange im Repertoire?
Nein, den habe ich erst jetzt gelernt. Ein Freund hat gemeint, dass der Song gut zu mir passen würde, also habe ich mir Diana Kralls und Frank Sinatras Versionen angehört. Dann haben meine Schwester Bobbie und ich angefangen, am Arrangement zu arbeiten – hier im Bus, mit Gitarre und Keyboard. Wir haben ziemlich lange herumprobiert, bevor wir meinten, dass wir unsere Version aufnehmen können. Andere Songs auf dem Album, wie zum Beispiel Spade Cooleys »Shame On You«, singe ich schon lange.
Besonders gut gefällt mir, dass endlich mal wieder Ihre Tourband auf einem Ihrer Alben zu hören ist. Wie würden Sie beschreiben, was an dieser Band speziell ist?
Ich bin da etwas voreingenommen, aber ich finde, dass ich die beste Gruppe von Musikern habe, die je zusammengekommen ist. Das ist nicht unbedingt mein Verdienst, weil meine Schwester und ich einfach schon immer zusammen Musik machen. Dazu kommen noch Mickey Raphael an der Mundharmonika, Paul English und Billy English an den Drums und Percussions, und Kevin Smith, unser neuer Bassist. Das ist einfach ein guter Sound, der nicht zu anstrengend ist.
An Mickey Raphael fasziniert mich nicht nur sein Mundharmonika-Spiel, sondern auch die Tatsache, dass er immer noch wie ein junger Mann aussieht, obwohl er schon über 60 ist.
Ja, er ist ziemlich gut in Form. Wenn man Mundharmonika spielt, braucht man ziemlich viel Puste. So bleibt man automatisch in Form. Außerdem fährt Mickey ziemlich viel auf seinem Fahrrad herum.
Sie auch? Vor ein paar Wochen waren Sie mit Lance Armstrong essen?
Nein, Radfahren ist nicht mein Ding. Aber Lance und ich spielen gelegentlich Golf zusammen.
Es heißt, Ihr nächstes Album sei auch schon fast fertig.
Ja. Darauf singe ich Duette mit verschiedenen Sängerinnen. In ein paar Tagen gibt es noch eine Aufnahmesession in Nashville, aber das meiste haben wir schon im Kasten. Ich singe auf dem Album mit einigen wirklichen tollen Künstlerinnen zusammen: Barbra Streisand, Rosanne Cash, Dolly Parton, Allison Krauss, Sheryl Crow. Meine Tochter Paula ist auch mit dabei, außerdem eine 17-jährige Sängerin aus Maui, Lily Meola, die ganz großartig ist. Und natürlich Norah Jones, die hätte ich fast vergessen. Norah muss auch dabei sein!
Ich bin ein großer Fan der Duo-Alben mit Gospelmusik, die Sie und Ihre Schwester aufgenommen haben. Aber es gibt wahrscheinlich keine Pläne, sowas nochmal zu machen?
Das würde ich nicht sagen. Wir haben immer noch das Studio, in dem wir diese Alben aufgenommen haben, ihr Klavier steht noch dort. Vielleicht werden wir tatsächlich nochmal ein solches Album machen.
Sie haben sich kürzlich zum Streit um die Schwulen-Ehe geäußert. Was hat Sie veranlasst, sich in dieser Debatte zu Wort zu melden?
Mich hat jemand nach meiner Meinung gefragt. Und dieser Punkt ist für mich einfach sonnenklar. Ich habe mein ganzes Leben mit Schwulen und Heteros zu tun gehabt, ich komme mit allen gut aus, und ich denke, so sollten wir alle das handhaben.
Seltsam, dass das trotzdem so ein großer Streit in den USA ist.
Wir müssen halt immer über etwas streiten.
Ein anderes großes Thema dieser Tage ist die Verschärfung des Waffenrechts. Wie stehen Sie dazu?
Am besten wäre es, wenn keiner eine Schusswaffe hätte. Aber wenn Sie eine haben, will ich natürlich auch eine haben. Wenn Sie eine Panzerfaust haben, besorge ich mir eine Drohne. Ich will genauso gut bewaffnet sein wie Sie, wo auch immer das hinführt. Eine Welt ohne Waffen ist leider nicht realistisch.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, Gitarre zu spielen. Haben Sie einen Rat für mich?
Haben Sie Spaß mit der Gitarre und spielen Sie das, was Sie hören. Das ist das einzige, was ich Ihnen sagen kann.
Ist es von Vorteil, so wie Sie jahrzehntelang dieselbe Gitarre zu spielen?
Ich liebe einfach den Sound meiner Gitarre. Ich spiele Sie seit 1969 und werde Sie für den Rest meiner Zeit spielen. Ich habe noch ein paar andere Gitarren, aber diese Martin Classical Guitar, die hat einfach den Sound, den ich gesucht hatte. Ich bin ein großer Fan von Django Reinhardt, meine Gitarre erinnert mich vom Ton her ein kleines bisschen an Djangos Gitarre. Ich mag sie sehr und spiele sie jede Nacht.