»Ich möchte in aller Bescheidenheit etwas klarstellen«

Yuko hat erfahren, dass in Europa der Eindruck entstanden ist, die Japaner würden die Katastrophe mit stoischer Ruhe ertragen. Dabei sieht die Wahrheit ihrer Meinung nach ganz anders aus. Teil vier ihres Krisen-Tagebuchs.



17. März

Es geht gegen fünf Uhr am Nachmittag. Gerade noch war ich bei meiner alten Freundin Naoko in Futakotamagawa, nun eile ich nach Hause. Ich gehe schnell, werde aber von anderen Leuten überholt, sie hasten an mit vorbei. Es ist keine Panik, aber jeder will den Heimweg hinter sich bringen, weil niemand weiß, wann und ob die Züge stehen oder fahren.

Bescheiden etwas klarstellen
Es sieht ganz so aus, als sei die Grundstimmung in der europäischen Presse sehr alarmierend. Alarmierender als in Japan selbst. Das habe ich über Twitter erfahren und über die zunehmend nervöser werdenden E-Mails von meinen Freunden in Großbritannien. Wie es mir denn ginge, fragen sie mich, und dazu noch das ganze nukleare Zeugs, das ich nicht beantworten kann, weil ich ja keine Atomphysikerin bin. Sie meinen es auch nur gut. Wie vielleicht auch Sie, liebe Leser, wenn Sie denken, dass ich und auch andere Leute in Japan zu optimistisch oder naiv oder ruhig sind. Weil wir hier in Tokio bleiben, business as usual, und versuchen, unser normales Leben irgendwie aufrecht zu erhalten. Ich möchte an dieser Stelle in aller Bescheidenheit etwas klarstellen: Ich kenne keine einzige Person, deren Herz nicht zutiefst erschüttert wurde. Die nicht zu Tode geängstigt ist. Die nicht, bildlich gesprochen, in Sorge und Beklemmung und Verwirrung und unglaublicher Trauer ertrinkt. Wie auch immer es nach außen hin wirken mag.

Ein kleines Beispiel   
Die Dusche zum Beispiel. Bis zum gestrigen Tag habe ich das Duschen vernachlässigt, und auch das Auftragen von Make-Up. Natürlich habe ich es deswegen vergessen, weil mich diese Katastrophenserie so wahnsinnig beunruhigt hat. Ganz abgesehen von der andauernden nuklearen Krise. Meiner Freundin Naoko aus Futakotamagawa ergeht es ganz ähnlich.

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Wieder Stromausfälle
Die Nachrichten sagen, wir müssen heute Nacht mit Stromausfällen rechnen, mit massiven und ungewollten Stromausfällen. Auch am Mittwoch, also gestern, gab es einen Blackout, aber der war geplant. Es soll den Großraum Tokio betreffen, da wo ich wohne. Es macht mich etwas nervös, denn ich möchte diesen Text noch rechtzeitig nach Deutschland schicken, bevor der Strom weg ist und damit auch die Internetverbindung. Diese ständige Angst ist eine ganz neue Erfahrung in meinem Leben. Und auch ich habe gemerkt, wie gut es tut, so lange wie möglich am gewohnten Tagesablauf festzuhalten.

Am Limit?
Und damit zurück ins Hier und Jetzt, und immer nach vorne blicken. Im Reaktor 3 wird bald ein Limit erreicht, so heißt es. Aber was für ein Limit? Wird es morgen schlimmer, wird das Limit dann überschritten? Immerhin: Glaubt man zuverlässigen Quellen (und nicht nur der Regierung), wird die Radioaktivität, die Tokio erreichen könnte, unbedenklich sein. Selbst in einem Worst Case Scenario. Tokio ist 230 Kilometer vom Atomkraftwerk in Fukushima entfernt, nur um das mal festzuhalten.

Gute Nachrichten
Ah, jetzt sagen die Nachrichten gerade, dass mögliche Stromausfälle im Großraum Tokio verhindert werden konnten, weil die Leute sehr sparsam mit dem Strom umgegangen sind. Puuh. Jetzt fühle ich mich erleichtert. Sie sehen, dass hier ist wirklich eine Live-Berichterstattung.

Deutscher Abend

Vielleicht war das alles ein bisschen ernsthafter heute. Jetzt werde ich einen deutschen Abend einlegen, mit Zawarcraft. So heißt es doch, ich meine dieses Weißkohl-Zeugs. Dazu gibt es Currywurst und Starkbier. Und ich höre Kraftwerk, Barbara Morgenstern und Schneider TM. Das sind nämlich meine Lieblingsmusiker.

(*Noch ein kleiner Hinweis. Bitte nehmen Sie Abstand davon, mir Lebensmittel nach Tokio zu schicken. Es gibt genug zu Essen hier. Danke)

Yukos Tagebuch (I) - "Fukushima strahlt in unseren Köpfen"
Yukos Tagebuch (II) - "Ich frage mich was eigentlich bebt - ich oder der Boden unter mir"
Yukos Tagebuch (III) - "In Zeiten wie diesen sollten wir uns selbst Gründe geben, fröhlich zu sein