»Was bringt das ganze Geld, wenn man jederzeit sterben kann«

Seit der Katastrophe hat sich bei Yuko und vielen Japanern die Einstellung zu Geld völlig geändert: Die Zeit des Sparens ist vorbei. Das Seltsame ist nur: Trotzdem wird der Kontostand nicht niedriger, sondern höher.

Die neue Bedeutung von Geld
Im Norden gibt es selbst jetzt noch vier bis fünf Nachbeben pro Tag. Auch hier in Tokio erzittert die Erde einmal täglich. Das Kernkraftwerk in Fukushima ist ein Patient, der dem Tode näher ist als dem Leben. Das, was uns verändert hat, bleibt uns weiter erhalten, als Schatten, als Nachwehe. Und auch ich bin in vielen Lebensbereichen noch ganz schön wackelig. Aber ich habe mich seit dem 11. März auch verändert, drastisch sogar. Etwa in der Art und Weise, wie ich Geld ausgegebe.

Ein Laptop für die Nomaden
Erst letzte Woche unterzog ich mich einem Eignungstest, als Vorbereitung auf das so beliebte wie teure Laserverfahren, das meine Kurzsichtigkeit beheben soll. In dem medizinischen Fragebogen wurde nach meinem Grund für die Operation gefragt. Ich kreuzte an: Weil ich mich sonst im Falle einer Naturkatastrophe hilflos fühlen würde. In der gleichen Woche habe ich mir auch einen neuen Laptop gekauft. Mein Kollege Seik san, seines Zeichens Grafikdesigner, erzählte mir, dass auch er sich erst neulich einen neuen Laptop gekauft habe. "Man weiß ja nie", sagte er, "ob man nicht doch irgendwann umgesiedelt wird. Da ist es auf jeden Fall gut, sich technisch für ein mögliches Nomadentum zu wappnen."

Sparen ist bedeutungslos
Apropos Nomadentum: Ich habe begonnen, wieder mehr zu reisen. Mit Yudai bin ich in das ferne Kumamoto gefahren. Und mit meinem Freund Kayo werde ich gleich in der nächsten Woche einen Trip nach Kyoto machen, in dem schnellen und recht kostspieligen Shikansen, dem Bullet Train. Kaum zu glauben, war ich doch bisher immer eher knauserig. Noch im letzten Jahr stand auf meiner Agenda ganz oben: sparen, sparen, sparen! Aber seit dem 11. März habe ich nicht einmal auf meinen Kontostand geguckt. Dabei habe ich das zuvor nahezu jeden Tag gemacht. Irgendwie fühlt sich das alles jetzt aber bedeutungslos an. Was bringt es, sein ganzes Geld gespart zu haben, wenn man jederzeit sterben kann?

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Der ganze Tand
Auf der anderen Seite gibt es Dinge, für die ich kein Geld mehr ausgebe, Dinge, die ich bis vor kurzem noch gemocht habe. Schöne Dinge, um das Schlafzimmer zu dekorieren, hübsche Vasen mit Blumenmuster, stylisches Besteck und Geschirr...den ganzen Tand. Alles, was das Haus angeblich wohnbarer macht, ist in meinen Augen überflüssig, denn wie leicht kann es bei einem Erdbeben zu Bruch gehen? Im Falle einer großen Naturkatastrophe wie einem Tsunami stehe ich letztendlich mit nichts anderem als den Dingen, die ich am Körper trage. Bestenfalls.

Erfüllung ist nicht käuflich
Selbst Yudai hat aufgehört, sich CDs zu kaufen. "Ich habe mich vorher als Sammler bezeichnet. Aber die einstigen Objekte meiner Begierde sind nicht länger wirklich begehrenswert", sagt er nun. Als Organisator für Kultur- und Musikevents war er sich seiner Rolle als Zuschauer oder Kritiker stets bewusst. Doch schuf er selbst niemals etwas Eigenes. Diese Woche überraschte er mich, als er begann, seinen ersten eigenen Film zu animieren. Ich glaube, wir beide haben mit etwas gebrochen, mit dem wir uns einst sehr verbunden fühlten. Dabei war Japan, und ganz speziell Tokio, stets der Ort, an dem man alles kaufen und alles tun konnte, soweit man das nötige Kleingeld besaß. Auch wenn das jetzt vielleicht platitüdenhaft klingt, aber die Erfüllung sollten wir eher in Dingen suchen, die nicht käuflich sind.

Zu viel, zu unnötig
Es ist schon komisch, aber meine Ersparnisse sind nicht geringer geworden, obwohl ich genau das eigentlich erwartet habe. Andere wie etwa Miki stimmen mir da zu. Auch sie war ganz erstaunt, dass sie weniger Geld ausgegeben hat, obwohl sie das Gefühl hatte, es sei genau umgekehrt. Kann es sein, dass wir unbewusst viel zu viel für viel zu unnötige Dinge ausgeben?