»Zwischen der Welt der Werbung und der Welt in Trümmern tut sich ein tiefer Abgrund auf«

Die Krise erfasst den Werbesektor, Yukos Projekt wurde gestrichen. Und sie erfährt: Beinahe hätte ihre Firma für die Atomindustrie geworben.

Abgeblasen
Es war nur ein einziger Anruf der Produktionsfirma Nishimura, aber der hatte es in sich. Die TV-Werbung, an der wir gearbeitet haben, wurde abgeblasen. Bei dem Produkt handelte es sich um etwas ganz Neues, ich darf jetzt nicht ins Detail gehen, wichtig ist nur, dass es vor dem Beben entwickelt wurde. Durch die Tsunami-Katastrophe hat sich der Kunde aber dazu entschlossen, sich auf seine Kernkompetenzen zu konzentrieren und Neuentwicklungen erst einmal auf Eis zu legen.

Unbeschwert und lässig?
Wir haben die ganze Zeit wie verrückt an dem Werbeclip gearbeitet, auch und erst recht nach dem Erdbeben. Wer will, kann es nachlesen, in der ersten Episode, unser Meeting am 13. März ist hier ja bestens dokumentiert. Für unser Unternehmen ist das beschissen, ich hingegen muss gestehen, das ich mich erleichtert fühle. Habe es einfach als einen Riesenaufwand empfunden, mir Ideen für eine TV-Werbung aus den Fingern zu saugen. Die Message der Werbung lautete, grob verallgemeinert, "Kaufen Sie dieses Produkt und fühlen Sie sich danach unbeschwert und lässig.“ Unbeschwert, lässig – das hat mit meiner Lebensrealität aber auch gar nichts zu tun.

Der Abgrund
Mit einem Arbeitskollegen sprach ich über das Leben als Werber in Zeiten der Krise. Über den tiefen Abgrund, der sich auftut zwischen der Welt der Werbung und der Welt in Trümmern. Mein Kollege sagte mir, er habe sich entschieden, alles konsequent abzuarbeiten, was sich vor ihm auftue, sich einfach auf die Aufgaben zu konzentrieren, ohne zu hinterfragen, ob das denn auch einen Sinn ergäbe. Eine Antwort auf die Frage sei nicht vorhanden, sagt er, und auch der Kunde habe kein Interesse an einer Klärung. Vor zwei Tagen dann, nach einem ersten Meeting für einen weiteren geplanten Werbespot, murmelte der verantwortliche Creative Director, nennen wir ihn an dieser Stelle G., halblaut und gedankenverloren vor sich hin: "Wer weiß schon, was aus diesem Projekt wird!“ Ich habe ihn dann gefragt, was er denn bitte damit meinen würde, woraufhin er mir eine leicht verrückte Geschichte erzählte.

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Nennen wir ihn G...
Auch G. ist neulich ein Werbe-Projekt gestrichen worden, aber nicht irgendeins. Kurz vor dem Beben haben er und sein Team sich um eine Kampagne bemüht, sie sollte den Menschen die Vorteile der Atomenergie ins Gedächtnis rufen. Wie er sich jetzt fühle, fragte ich ihn. "Als ich den Job angenommen habe, war ich nicht ganz bei mir. Ich habe das Thema anrecherchiert, so wie es meine Gewohnheit ist, du weißt ja“, sagte er, "es gibt kaum eine Industrie, für die man nicht Werbung machen kann.“ G. lächelte verkrampft, dann sah er mir direkt in die Augen. "Die Kampagne sollte die sichere und saubere Seite der Kernenergie herausstellen.“ G. räusperte sich, es war ihm unangenehm, gleichzeitig schien er es loswerden zu wollen. "Je mehr ich darüber las, desto größer wurden meine Zweifel.“ Wir reden nur selten über Projekte und Kunden, da gibt es ja bestimmte Verschwiegenheitsklauseln, aber G. sprach an diesem Tag ganz aufgekratzt und offenherzig. Wahrscheinlich musste er seinen Gefühlen, seinen Zweifeln (und seiner Schuld?) etwas Luft verschaffen. Schließlich wäre er beinahe verantwortlich dafür gewesen, kurz vor der atomaren Katastrophe den atomaren Aufschwung zu lobpreisen.

Märchen oder bessere Zeiten
G. erzählte mir, dass es einst kreative Leiter in unserem Unternehmen gab, die Jobs abgelehnt haben, in denen es darum ging, für die Atomindustrie zu werben. "Wow, dass wusste ich nicht“, war meine verdutzte Antwort. Ich fragte, ob das in den Achtzigern gewesen sei, als Reaktion auf das Reaktorunglück in Tschernobyl. "Nein, das war noch vor dem Tschernobyl-Unglück. Aber das alles ist ein bisschen in Vergessenheit geraten.“ Was wohl stimmt, auch ich hörte davon zum ersten mal, entweder ist es die Mär von der politisch korrekten Vergangenheit meiner Firma, oder es gab Zeiten, in denen es so etwas wie ein kritisches Bewusstsein gegeben haben mag.

Am nächsten Tag fragte ich Kojima san, der sicherlich zum Firmen-Establishment gehört. "Ja, als ich jünger war, habe ich einmal einen ähnlichen Job abgelehnt,“ bestätigte er mir. "Sie hätten wirklich gut bezahlt, aber das war mir die Sache nicht wert.“ Aber ich schwor mir, fortan würde ich mir immer genau überlegen, für wen ich arbeite und für wen nicht.