Schließlich, am Ende dieses Tages in Kentucky, ist George Clooney doch noch am Telefon. Damit hatte nun keiner mehr gerechnet. George habe nämlich wirklich keine Zeit im Moment, hatte seine Mutter am Nachmittag mit der nur Mütter eigenen Nachsicht erklärt. Es sind ja dies immerhin die Tage der letzten Dreharbeiten von Ocean’s 13, der Fortsetzung der Fortsetzung von Ocean’s 11 also, einem immens wichtigen Film für George. Mit dem müsse er jetzt mal wieder Geld verdienen, hatte die Mutter gesagt. George verdiene nämlich sonst kaum Geld, ganz wenig, hatte der Vater ergänzt, die Filme seien zwar toll – zuletzt die politischen Filme Good Night, And Good Luck über das Amerika der McCarthy-Ära und Syriana über Amerikas finsteren Kampf um seine Ölressourcen –, aber diese Filme brächten kein Geld.
Good Night, And Good Luck hat George mit Teilen seines Privatvermögens finanziert, bei Syriana hat er seine Gage dem Regisseur zuliebe, seinem Freund Steven Soderbergh, auf ein Zehntel des ihm angemessenen Tarifs von 25 Millionen runtergeschraubt. George Clooneys Feinde – und davon, das werden wir sehen, gibt es einige – fragen deswegen, was der Typ denn eigentlich wolle. Der hatte in den letzten zehn Jahren exakt zwei kommerzielle Erfolge: Die Komödie Ocean’s 11 und deren lahme Fortsetzung Ocean’s 12. Bisschen wenig, nicht? Jetzt muss also Ocean’s 13 ein Erfolg werden und am besten auch der schon abgedrehte The Good German, aber das ist wieder so ein Soderbergh-Film.
George Clooneys Mutter Nina glaubte also, George wäre nun mit Ocean’s 13 zu sehr beschäftigt, um sich jetzt noch mal bei seinen Eltern zu melden. Doch Clooney – auch das wird mit zunehmender Zeit, die man hier in Kentucky mit seinen Eltern verbringt, noch deutlicher werden – ist nicht nur der perfekte Schwiegersohn, er ist vor allem auch: der perfekte Sohn. Und deshalb ist George nun doch noch am Telefon; aus Las Vegas ruft er auf dem Handy seines Vaters an.
»Hey, Pop! How’s my old man doin’?« George Clooneys Stimme ist so laut und so gut gelaunt, dass man sie versteht, selbst wenn man nur daneben steht; sie donnert. »Wie geht es denn meinem alten Mann?« So redet der?
Über George Clooney weiß die Weltöffentlichkeit ungeheuer viel – über seine Exfreundinnen (Talia Balsam, Céline Balitran, Lisa Snowdon), sein Haus am Comer See (15 Zimmer, 18. Jahrhundert), sein Hausschwein (gerade gestorben), seine Opposition zum konservativen Amerika (gegen den Irakkrieg, für einen UN-Einsatz in Darfur). Clooney ist eigentlich fast jeden Tag in der Zeitung, er dementiert nie etwas, lässt sich als die neue Identifikationsfigur der amerikanischen Liberalen, als neuer Kennedy, genauso feiern, wie er sich von allen und jedem zum Sexiest Man Alive wählen lässt; zwischendurch fährt er nach Darfur oder redet vor dem UN-Sicherheitsrat: All das stimmt wirklich, all das ist bekannt, doch gleichzeitig hebt sich alles irgendwie gegenseitig auf. Das ist der Clooney-Trick. Am Ende bleibt ein Wust an Clooney-Infos, aus dem der wahre George Clooney, falls es ihn gibt, gut gelaunt hervorwinkt. Jetzt kommt zu diesem Wust auch noch hinzu, dass George Clooney offenbar spricht wie ein Trottel in einer amerikanische Vorabendserie. »Hey Pop, how’s my old man doin’?«
Vielleicht spricht George Clooney so auch bloß, wenn er seinen Vater anruft. Vielleicht spricht er dann, wie man hier spricht, in Augusta im Bundesstaat Kentucky, wo George Clooney aufgewachsen ist, wo seine Eltern – Vater Nick, Fernsehjournalist in Rente; Mutter Nina, Exmodel – noch leben, wo Amerika so altertümlich erscheint, wie es in Wirklichkeit ist. Hier ging George auf die Augusta Highschool, hier erntete er in den Ferien auf den Tabakfeldern die Stauden, hier küsste er in den Siebzigern in der Nähe der Highschool, gleich am Fluss, die ersten Mädchen.
Die Eisenbahnstrecke nach Chicago zerschneidet Augusta genau in der Mitte, am nördlichen Rand begrenzt es der Ohio River; die nächste Brücke über den Fluss ist einige Meilen flussaufwärts, an der Bundesstraße 8 Richtung Maysville. In Augusta werden die Grundstücke teurer, je weiter sie von den Schienen entfernt sind, denn einmal in der Stunde pfeift mit Getöse eine Lok durch den Ort, auch nachts: Wer hier nicht sein Leben lang gewohnt hat, schläft nur im Stundentakt. Es gibt einen Saloon, einen Gemischtwarenhandel, ein Souvenirgeschäft, ein plüschiges Hotel, eine Schule. Außerdem kommen aus dem Ort dreieinhalb Stars; sie heißen, geordnet nach ihrer Bedeutung:
1. Rosemary Clooney, Georges 2002 verstorbene Tante, Sängerin und Schauspielerin, eine Art weiblicher Johnny Cash (Alkohol, Tabletten, Gesang und Film), ihr ist das einzige Museum des Ortes gewidmet, das Rosemary Clooney Museum; 2. Heather French Henry, Miss America 2000, ihr ist die Suite im Hotel gewidmet; 3. George Clooney, Schauspieler, aber, so die lokale Meinung, in teilweise etwas komischen Filmen (der Vampirfilm From Dusk Till Dawn kam in Augusta nicht gut an, auch nicht bei den Eltern). Der halbe Star schließlich ist Nick Clooney, Rosemarys Bruder und Georges Vater, Nachrichten-Anchorman, Talkmaster und Zeitungskolumnist.
Nick Clooney sieht aus, redet und handelt, als müsse er tagein, tagaus in einem Siebzigerjahre-Politthriller einen Journalisten alten Schlages spielen. Trotz seiner 72 Jahre macht Nick jeden Morgen um sechs eine Stunde lang Liegestütze und Bauchaufzüge, seine Haare sind weiß und auch seine Stimme donnert, Gespräche mit fremden Leuten beginnt er mit einem Witz, und wenn ihn jemand bei einem seiner zahlreichen Vorträge vorstellt, übernimmt er danach das Wort mit dem Satz: »Das war die beste Todesanzeige über mich, die ich je gehört habe.« Donnerndes Lachen.
Zwischendurch, auf den Autofahrten in seinem alten schwarzen Lincoln-Straßenkreuzer, sagt er Sätze wie: »Alles, was wir Journalisten gelernt haben, ist, die Fakten zu finden.« Manchmal sagt er diese Sätze auch abends, dann gießt er sich dazu einen Whiskey ein. Nick Clooney ist mit sich im Reinen, und wenn man zunächst gehemmt ist, ihn stets nach seinem Superstar-Sohn zu fragen, merkt man bald: Nick Clooney tut in Wirklichkeit nichts lieber, als über seinen Superstar-Sohn zu reden, er ist stolz auf ihn; nur vielleicht über Darfur redet er noch lieber.
Denn Nick und George Clooney haben in diesen Tagen ein gemeinsames Anliegen. Für den Vater ist es das momentan lebensbestimmende, für George eines von vielen. Sie wollen die Welt wachrütteln und die Aufmerksamkeit auf den Völkermord im Sudan lenken, wo in der Region Darfur seit 2004 mehrere Hunderttausend Menschen zumeist von regierungsnahen Milizen abgeschlachtet wurden und wo seitdem zwei Millionen Menschen in Flüchtlingslagern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben: ein, wie Nick Clooney immer sagt, Ruanda in Zeitlupe.
Es war in der Nacht nach der letztjährigen Oscarverleihung im März, George hatte den Oscar für Syriana gewonnen. Noch in der Nacht, so erzählt es jedenfalls der Vater, habe George ihn angerufen. Der Vater erinnert sich an das Gespräch folgendermaßen: George sagte: »Pop, ich hatte noch nie mehr Saft als heute. Ich möchte das ausnutzen. Ich möchte etwas Sinnvolles tun. Ich möchte nach Darfur fahren. Und ich möchte, dass du mitkommst.« Daraufhin der Vater: »In Ordnung, kann ich alles verstehen. Aber wofür brauchst du mich alten Mann?« Und dann hat George gesagt, so erzählt es der Vater: »Pop, wenn ich allein fahre, ist es ein Stunt. Wenn du mitfährst, ist es eine Story.« So reden die Clooneys.
Also hat George ein Flugzeug gechartert und dann flogen im Sommer die beiden Clooneys – plus ein Kameramann, den George angeheuert hatte, und ein Menschenrechtsanwalt, der sich auskannte – in den Tschad, um von dort nach Darfur zu kommen.
»Stellen Sie sich vor«, sagt Nick Clooney nun ein paar Monate nach der Reise an einem Nachmittag in der Universität von Lexington: »Ein 28-jähriger Anwalt aus New York, ein alternder, übergewichtiger Kameramann, der noch nie in seinem Leben einen Hamburger augelassen hat, ein 72-jähriger Reporter und ein Schauspieler, dessen einzig ordentlicher Job es mal war, Schuhe in einem Damenbekleidungsgeschäft zu verkaufen.«
Und dann erzählt Nick Clooney in seiner Fernsehmoderatorenstimme zweihundert Studenten – die eine Hälfte Clooney-, die andere Menschenrechts-Fans – Anekdoten aus dem Krisengebiet; meistens geht es um George. George hatte die Rolle des Draufgängers in der Gruppe, aß als einziger Hammelfleisch und musste sich zwei Nächte lang übergeben; der Jeep holperte über Sandpisten, und George, der gerade eine Bandscheibenoperation hinter sich hatte, schleuderte es vom Sitz mit dem Kopf gegen die Fahrzeugdecke; schließlich wurde George, der die Reise filmte, auf einer Landebahn im Tschad mit vorgehaltener Kalaschnikow gezwungen, seine Filme herauszugeben.
»Ich habe mich zuerst gar nicht gewundert«, sagt der Vater zu dieser Episode. »Es sah aus wie in einem von Georges Filmen. Dass mein Sohn von einer Kalaschnikow bedroht wird, habe ich schon oft im Kino gesehen.« Einmal saß die Reisegruppe Clooneys auf einem Landestreifen im Tschad fest und wusste nicht, wie sie weiterkommen sollte. Nick traf dann einen Engländer und einen Franzosen, die anboten, die Clooneys gegen eine beträchtliche Summe zu fliegen, doch George war skeptisch. Er war überzeugt, die Männer seien Schmuggler.
Nick Clooney gibt nun folgendes Gespräch zwischen Vater und Sohn wieder. George: »Pop, die beiden sind mir nicht geheuer. Wir können da unmöglich mitfliegen!« – »Sohn, wir haben keine Wahl. Oder willst du hierbleiben?« – »Okay, Pop. Du bist der Boss.« Also sind die Clooneys in die kleine Maschine eingestiegen. George hat sich dann seine Fliegerbrille aufgesetzt und sich gleich hinter den Piloten gesetzt, ihn ganz genau beobachtet, sich eingeprägt, welche Knöpfe er drückt, was er mit seinen Füßen macht. Er hat jede Bewegung mitgemacht, ist im Geiste mitgeflogen. Als der Vater ihn fragte, was das Theater soll, habe George gesagt, er wolle zur Not in der Lage sein, das Flugzeug zu fliegen, denn seiner Ansicht nach sei der Pilot total betrunken.
Immer wenn die Schilderung droht, zu lustig zu werden, erzählt Nick ernsthafte Passagen von Menschen »with no tomorrow« und von diesem Mädchen, das George fragte, wann sie zurückkämen, um sie zu retten. George antwortete: »Keine Sorge, wir kommen.« Daraufhin das Mädchen: »Das sagt ihr ja immer.«
Nun kann man diese Nick-and-George-Clooney-Darfur-Show natürlich übertrieben finden und vielleicht auch ein wenig selbstdarstellerisch, und genau das tut das konservative Amerika, angeführt von dem Fernsehkommentator Bill O’Reilly, der auf dem Sender Fox News George Clooney den Krieg erklärt hat. Tatsächlich aber ist es George Clooney überhaupt nicht hoch genug anzurechnen, dass er unter Einsatz seiner persönlichen Sicherheit und Finanzen (er hat alle Mitarbeiter bezahlt und ein Flugzeug gechartert) in eine Krisenregion fliegt, wo längst fast alle Journalisten abgezogen sind, wenn er doch gleichzeitig mit Leonardo DiCaprio und Jack Nicholson gemütlich bei einem Lakers-Spiel sitzen könnte.
Die amerikanische Rechte hat in Clooney endlich ein neues Ziel, ein perfektes Ziel, wie es schien: ein Schauspieler aus dem windigen Hollywood, politisch wahrscheinlich nicht sehr beschlagen, vielleicht zu höflich, um sich zu wehren. Doch sie täuschten sich. Wie einfach war es, auf den Hamburger fressenden, unsympathischen, zudem immer wieder widerlegbaren Michael Moore einzudreschen? Noam Chom-sky, Jimmy Carter, Sean Penn, Susan Sarandon, alle amerikanischen Liberalen – sie alle waren eher Witzziele für die geballte, überlegene rechte Medienmacht der USA in den Jahren nach dem 11. September 2001: So einfach zu treffen, dass es fast langweilig war. Toll, dass Clooney plötzlich da war; schlecht, dass der plötzlich lächelnd, gut gelaunt, mit seinen Augenbrauen zwinkernd zurückschlug und die konservative Rechte zum Kochen brachte wie seit Bill Clinton niemand mehr. Nur dass Clooney weniger Angriffsflächen bietet als Clinton.
Clooneys Stärken: absolute Unberechenbarkeit, Spaß am Gekloppe. So erinnert Clooney zum Beispiel – natürlich im Smoking, dazu sein Clark-Gable-Lächeln – vor laufenden Kameras gern an die Sexskandale seiner Gegner, am liebsten an den von O’Reilly, seinem Hauptfeind von Fox News. Als es einmal um die Darstellung des Senators Joe McCarthy in Clooneys Film Good Night, And Good Luck ging, an der die Rechten monierten, sie sei zu negativ, sagte Clooney: »Anders als McCarthy ist O’Reilly ja nie gewählt worden. Im Übrigen hieß es über Joseph McCarthy auch nie, er habe einer Mitarbeiterin zugeraunt, er wolle es ihr mit dem Vibrator machen.« Bumm! Will noch jemand eine gedonnert kriegen?
Oh Gott, George, er dürfe so etwas nicht sagen, klagt seine Mutter Nina, als der Vater von den Attacken des Sohnes erzählt. Die Eltern nun sitzen an diesem Abend in ihrem Haus in Augusta, es ist kein Angeberhaus, kein Haus, das der größte Filmstar der Welt vielleicht seinen Eltern gekauft haben könnte. Nick Clooney sortiert im Wohn-zimmer Fotos von sich und George aus Darfur, ein kleiner Terrier springt über die Garnituren, es ist schon spät.
»George macht die Rechten wahnsinnig«, sagt der Vater. Und zum ersten Mal klingt er nicht stolz, er klingt besorgt. »Sie verstehen ihn nicht. Sie können ihn nicht einschätzen. Egal, was sie ihm an den Kopf werfen, George kontert mit Humor.« Immer wieder sagt der Vater dem Sohn George, er solle O’Reilly und die anderen Rechten in Ruhe lassen; die Typen seien gefährlich, die hätten bislang noch jeden fertig gemacht, wenn sie es wollten, sogar Bill Clinton.
»Aber es ist zwecklos. George liebt es, sich mit anderen zu messen. Und er kennt noch nicht mal die Namen seiner Gegner, so egal sind die ihm. Zu O’Reilly sagt er immer ›O’Neill‹.«
Vater Nick führt jetzt nach nebenan in den sogenannten Bar Room, eine Art Hobbykeller-Bar, bloß, dass sie nicht im Keller liegt. Der Bar Room hängt voller Fotos; die Eltern als junges, unverschämt hübsches Paar, viel George, aber auch die Schwester Ada, ein Jahr älter. Neulich sei George mal gekommen und habe die peinlichsten Fotos von der Wand genommen, sagt der Vater, aber man sieht immer noch viel: George mit langen Haaren, George mit Oberlippenbart, als Siebzigerjahre-Proll, mit dicker Brille, aber vor allen Dingen immer: beim Basketball, beim Angeln, beim Baseball und sogar beim Tanzen auf einem Kreuzfahrtschiff.
Dann klingelt tatsächlich das Handy von Vater Nick. George. Er ruft doch an, obwohl er keine Zeit hat. Aus Las Vegas? Ja, Las Vegas. Vater und Sohn Clooney besprechen nun am Telefon noch einmal ihren Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat, der ein paar Tage zurückliegt. George hatte dort quasi in einer Drehpause von Ocean’s 13 versucht, den Sicherheitsrat zu überzeugen, eine robuste UN-Truppe in den Sudan zu schicken.
»Oh, du hast doch vor Wut gekocht!«, sagt der Vater. »Das habe ich dir doch angesehen. Ja, der Repräsentant von Katar! Der hat dich ganz schön gegrillt.«
Am anderen Ende hört man George Clooney lachen. Typ aus Katar? O’Reilly? O’Neill? Matt Damon? Neue Freundin? Deutscher Reporter? Als der Vater auflegt, sagt er: »Hell of a guy.« Teufelskerl.