»Das geliebte Tokio aus ›Lost in Translation‹ scheint für immer verloren«

Das Beben hat Tokio verändert. Der Optimismus und die Leichtigkeit der Gedanken sind verschwunden. Doch für einen politischen Wandel scheinen die Menschen noch nicht bereit zu sein.


Das Wahrzeichen steht schief

Mein Büro liegt ganz in der Nähe des Tokyo Towers. Der stählerne Fernsehturm ist rot und weiß gestrichen und sieht ansonsten ein bisschen aus wie der Eifelturm, und ebenso wie das Pariser Vorbild ist er ein Wahrzeichen der Stadt. Ich betrachte es sehr gerne, dieses auffällige, über 300 Meter hohe Gebäude. Wenn ich ganz genau hinblicke, erkenne ich, dass sich die Spitze des Turms durch das Erdbeben leicht verbogen hat. Das Wahrzeichen steht schief. Ach was, die ganze Stadt steht schief.

Lost in Translation
Ich laufe durch die Straßen von Tokio und höre den Soundtrack meines Lieblingsfilms. Es ist, bitte jetzt nicht lachen, “Lost in Translation” von Sofia Coppola. Sobald man hier einmal längere Zeit gelebt hat, ist Tokio wie jede andere Stadt auch. Aber ich war auch elf Jahre lang in London, ich weiß, wie man sich als Fremde in einer großen Stadt fühlt, weiß, wie Bob Harris (Bill Murray) sich in Tokio gefühlt haben muss, mehr noch: Ich empfinde für Tokio ähnlich wie Bob/Bill es im Film tut.

Durchhalteparolen dank Solarenergie
Aber das geliebte Tokio aus "Lost in Translation“ scheint nun für immer verloren. Ob sie jemals wieder zurückkehren wird, diese optimistische und gleichzeitig so wahnsinnig gedankenlose Stadt? Dieser (wenn auch sehr extreme) Wandel war wahrscheinlich eh unabwendbar. Eine Radiosendung auf Tokyo FM berichtete neulich, die unentwegt Durchhalteparolen sendende Leuchttafel auf dem Tokyo Tower – “Kopf hoch, Japan” und “Halte durch, Japan”, ja, ja – beziehe ihren Strom aus Solarenergie.

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Zu spät, liebe Regierung
Das Erdbeben ist nun etwas mehr als einen Monat her. Nur ein Monat, doch vieles hat sich verändert. So hat die Regierung am 12. April bekannt gegeben, Fukushima werde nun als Nuklearkatastrophe der Stufe 7 gehandelt. Einigen Berichten zufolge wussten die das schon lange vorher, angeblich schon seit dem 23. März. Das ist wirklich zu spät, liebe Regierung. Dabei behaupten einige internationale Berichte wiederum, Stufe 7 sei zu hoch. Ich muss gestehen, mir sagt diese Einteilung in verschiedene Gefahrenstufen nicht sehr viel, das ist doch alles ziemlich abstrakt. Ich könnte mich mehr mit den Auswirkungen von Radioaktivität beschäftigen sowie den ganzen physikalischen und mechanischen Prozessen bei der Erzeugung von Kernenergie, das wäre wohl hilfreich. Aber würde ich dann wissen, was ich jetzt als nächstes tun soll?

Falsche Prognosen
Letzten Sonntag gab es hier die Gouverneurs- und Regionalwahlen. Außerdem diverse Anti-Atom-Demonstrationen, von denen manche eher an die Berliner Love Parade erinnerten als an politische Veranstaltungen. Nun halten Sie sich fest: Der neu gewählte Gouverneur von Tokio ist der alte Gouverneur. Sie glauben gar nicht, wie sich das anfühlt. Dabei schienen doch auf Twitter und in aktuellen Wahlumfragen so viele Menschen mit einem Wechsel zu liebäugeln. Die Leute bekräftigten sich gegenseitig darin, auf jeden Fall zur Wahl zu gehen, ihr Wahlverhalten zu ändern und Ishihara (so heißt der alte, neue Gouverneur) zu stürzen. Dann aber stellte sich heraus, dass nur knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten zwischen 20 und 30 Jahren überhaupt den Urnengang angetreten sind. Ich verstehe die Leute nicht. Scheinbar klafft doch eine große Lücke – der "Digital Divide"? – zwischen jenen, die nur den Mainstream-Medien vertrauen, dem Fernsehen und den Zeitungen folgen, und solchen, die sich durch das Internet kämpfen und dort auf Berichte von freischaffenden und internationalen Journalisten stoßen.

Nun werde ich immer skeptischer, ob unser administratives System wirklich richtig funktioniert. Aber kann ich von mir behaupten, meine Meinung sei die "richtige"? Es ist nicht einfach, oder?

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