Acht Millionen Menschen sahen ihn an einem Sonntag im April 2016, und viele von ihnen kannten ihn nicht, denn Nicholas Ofczarek war bis dahin kein Fernsehgesicht gewesen. Aber vergessen haben sie ihn sicher nicht mehr nach diesem Auftritt als Psychokiller in der Geschichte vom bösen Friederich, einem Frankfurter Tatort. Da wirkte er so bedrohlich, dass man ihm auch im Hellen nicht gern über den Weg gelaufen wäre.
Bei den Fotos fürs SZ-Magazin macht derselbe Nicholas Ofczarek es dem Team ganz leicht, ihn zu mögen. Er ist charmant, zuvorkommend, super-entspannt und kein bisschen unheimlich. Man denkt, klar, Verwechslung, ist ja sein Beruf: Schauspieler. Und er ist einer der besten, sonst wäre er nicht seit mehr als zwanzig Jahren fest im Ensemble des Wiener Burgtheaters, der berühmten Burg.
Und dann sagt dieser Ofczarek im Gespräch über Idole, Gary Oldman sei eines. Jetzt, als Churchill, mit dieser unglaublichen Maske, aber noch mehr in Filmen wie Im Vorhof der Hölle, dieser Minimalismus, diese Zurückhaltung, schwärmt er. »Ich dachte immer, das ist ein Verrückter. Ich dachte, der ist brandgefährlich, aber das waren nur seine Figuren.« Wie angenehm, dass selbst Schauspielern dieser Denkfehler unterläuft.
Nicholas Ofczarek wurde 1971 in Wien geboren und wuchs in der Schweiz auf. Seine Eltern, eine Irin und ein Wiener, zogen sehr häufig um, darum bezeichnet sich Ofczarek – das ch in Nicholas ist übrigens englisch – als Entwurzelten. Der schlimmste Abschied sei der mit 15 Jahren aus dem Appenzeller Land gewesen. »Das war traumatisch«, sagt er, »vom Dorf, neben dem Haus eine Kuhweide und ein Skilift, alles war eng und klein, die Decken waren niedrig, in die Großstadt Wien zu kommen, in der eine ganz andere Sprache gesprochen wurde. Ich hatte keine Geschwister, es gab kein Handy, kein Internet, man hat den Kontakt wirklich verloren.« In seiner ersten großen Lebenskrise mit 27 nahm er den Nachtzug und fuhr ins Appenzeller Land, voller Sehnsucht. Aber es war niemand mehr da von seinen Freunden. Das sei schlimm gewesen, sagt er, aber langfristig habe es ihm geholfen. Die Sehnsucht sei weg gewesen. Heute ist er überzeugter Österreicher, Wiener sogar. Er hat Wurzeln geschlagen, seit er mit Frau und Tochter, 19, dort lebt und meistens auch dort arbeitet.
Auf der Bühne spielt Ofczarek mit Lust und Vollstoff den Säufer, den Mörder, den Trottel und den Macho. Er war jahrelang der Jedermann in Salzburg, er ist der Diskothekenbesitzer in der unterhaltsamen Fernsehserie Braunschlag, und als Model taugt er auch. Die schwarze Hose, das sagt er gleich, werde ihm allerdings nicht passen. Aber gut, wenn das Modeteam das nicht glaubt, zieht er die Hose eben an. Auf Hüfthöhe geht nichts mehr, der Bauch quillt aus dem offenen Reißverschluss. Ofczarek schaut mit einem Blick an sich herunter, über den man einfach lachen muss. »Da haben wir's«, sagt er. »Ein wahrer Akt der Selbsterniedrigung.« Er strahlt.
Als man ihm ein Hemd auf den Kopf setzt, schaut er kurz irritiert. Und sagt: »Leute, wir haben hier keinen Spiegel. Ich habe ein Hemd auf dem Kopf. Ich möchte betonen, dass ich mich vollkommen in eure Hände begebe.« Dann isst er zum Mittag heißhungrig zwei Portionen vom Thai, fragt nach einer Zigarette, zieht seine rostbraune Daunenjacke über, geht raus, rauchen, und erzählt, er sei früher oft an seinem Perfektionismus verzweifelt. Jetzt sei er freier, weil er sich sage, ich mach es so gut, wie ich grad kann.
Und wie wichtig ist ihm Applaus? Wenn er weniger bekommt als ein anderer an einem Abend, ist das schlimm? »Es wäre gelogen zu sagen, dass mir Applaus egal ist. Aber ich habe, bei vier oder fünf Stücken, die ich gleichzeitig spiele, jeden Tag unterschiedliche Applausgrade. Obwohl ich derselbe Mensch bin.« Er drückt die Zigarette aus. »Die Arbeit des Theaterschauspielers vollzieht sich sowieso viel mehr in den Proben als in den Vorstellungen«, sagt er. Zwei Monate in abgedunkelten Räumen, das sei der Beruf.
Der Privatmensch Ofczarek geht lieber ins Fußballstadion als ins Theater. Rapid Wien. Aber er beobachtet die Spiele mit den Augen des Schauspielers. Immer dieselbe Mannschaft, bekannte Spielzüge, trotzdem ist jedes Spiel anders. »So wie jede Vorstellung anders ist. Das ist noch unmittelbare Kunst«, sagt er. Danach ist es vorbei, für immer.
Fotos: Robert Fischer; Styling: Caroline Buchholtz