Seit diesem Jahr wissen also auch alle, die sich sonst nie mit dem Bundespresseball beschäftigen, wie unfassbar lustig es dort zugeht. Die Satire im Begleitheft »Almanach« über »Schwimmkurse für Flüchtlinge« ging bemerkenswert daneben. Bevor dieser handfeste Skandal publik wurde, war der größte Aufreger des Abends ein anderer: Die Vizepräsidentin des Bundestages Claudia Roth und das Berliner Model Franziska Knuppe erschienen in der gleichen Robe und sämtliche Medien waren sich in der Analyse sofort einig: Schlimmer geht's nicht, das ist das »Worst Case Szenario«, ein »Mode-Malheur, das sich keine Frau wünscht.« Schließlich hat man sich wochenlang auf diesen Auftritt vorbereitet, endlich ein Kleid gefunden, Ansätze frisch blondiert, und dann: das!
Worauf man jetzt vielleicht doch mal fragen muss: Ja, was eigentlich?
Unter 2300 geladenen Gästen sind also zwei Frauen im gleichen Look unterwegs. Das passiert auf deutschen Fußgängerzonen innerhalb eines H&M-Einzugsgebiets ungefähr alle paar Sekunden, aber schon klar, auch wenn der Bundespresseball nicht die Oscarverleihung ist, so exponiert auf dem roten Teppich ist das natürlich suboptimal im Zeitalter der unbedingten Individualität. Andererseits fielen die beiden mit ihrem Partnerlook nicht nur doppelt, sondern gleich zigmal mehr auf, frei nach der alten Presseregel: Only bad news are good news, was ja im heutigen Medienbetrieb auch nicht unwichtig ist.
Die Meldung überstrahlte selbst das mindestens genau so interessante Detail, dass die Gäste im Adlon den gleichen Nachtisch serviert bekamen wie Vorkoster Barack Obama bei seinem Berlin-Besuch: gefrorener Joghurt mit einer Creme aus Ananas und Estragon mit geschmorter Aprikose und knuspriger, getrockneter Milchhaut. Die nicht unberechtigte Frage, was ein Model eigentlich auf dem Bundespresseball zu suchen hat, ging ebenfalls unter. Stattdessen weiß jetzt die halbe Republik: Die Roth und diese Knuppe, die tragen beide gern das Münchener Label Talbot Runhof, Deutschlands »go to«-Designer, wenn es um Abendkleider geht.
Der schlimmste anzunehmende Fall ist aber natürlich nicht, dass man genauso wie eine andere Frau aussieht, sondern im direkten Vergleich schlechter dasteht. Die Gala fragte zur Sicherheit ihre User: »Wem steht's besser?« Woraufhin 80 Prozent für das jüngere/dünnere/hübschere Model und nur 20 Prozent für die Grünen-Politikerin entschieden, was wieder einmal zeigt, dass Abstimmungen derzeit kein glückliches Mittel sind.
Denn eigentlich schneidet im Verhältnis natürlich Claudia Roth viel besser ab. Immerhin hat sie das gleiche, topaktuelle Designerkleid »geschossen« wie Frau Knuppe, die hier von Berufswegen klar im Vorteil ist.
Extrapunkte bekommt Roth außerdem für besondere Verdienste um das Auftreten deutscher Politikerinnen im Allgemeinen. Roth schert sich erfreulicherweise selten um den Taft- und Satinkonsens der anderen.
Und wer ganz genau hinsieht, stellt vielleicht sogar noch die eigentliche Sensation fest: Das ist gar nicht das gleiche Kleid! Der Blütenstoff mit Cut-Out im Farbton »Scarlett« ist derselbe, aber der Rest sind nicht nur unterschiedliche Proportionen oder anderes Styling, wie die meisten Beobachter annahmen. Das Model trägt den Entwurf »Locomotion2«, klassisch auf Taille geschnitten, während Roth »Loophole1« gewählt hat, ein Vokuhila-Kleid, vorn kurz, hinten mit Schleppe, die deutlich gewagtere Variante.
Am Ende kann auch dieses Wahlergebnis am besten mit dem internationalen Wort des Jahres erklärt werden: postfaktisch. Die Modewelt ist subjektiv und ungerecht. Wir haben es ja immer geahnt.
Film zum Thema: Style Wars: Angriff der Klonkrieger
Typischer Instagram-Kommentar: Same same, but different!
Das sagt die Basis: Gab's nicht das Gleiche in Grün?
Fotos: dpa