Den Werbeslogan von Nike kennt jeder. »Just do it«. Mach’s einfach. Dummerweise stimmt das Motto ausgerechnet im eigenen Haus nicht immer. Zum Beispiel, wenn eine vom Konzern gesponserte Läuferin einfach mal ein Kind bekommt. Und sie danach quasi dafür bestraft wird, nicht sofort wieder trainieren und Medaillen holen zu können.
Der Fall Allyson Felix sorgte 2019 für Schlagzeilen, als die Leichtathletin in einem Meinungsstück in der New York Times davon berichtete, dass Nike ihr nach der Schwangerschaft 70 Prozent weniger zahlen wollte. Unterm Strich hieß das: Als junge Mutter war sie dem größten Sportartikelhersteller der Welt nur noch weniger als die Hälfte wert. Obwohl es sich bei Felix bekanntlich nicht um irgendeine Sportlerin handelt: Die Sprinterin ist die erfolgreichste Teilnehmerin bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften aller Zeiten. Neun olympische Medaillen hat sie in den letzten 17 Jahren geholt, ganze 13 Weltmeisterschaften gewonnen. Trotzdem wurde sie beinahe ausgemustert wie ein alter Gaul.
Felix schrieb damals, wenn ihr Sponsor der Meinung sei, das sei jetzt ihr Marktwert – ok, dann akzeptiere sie das. Was sie hingegen nicht hinnehmen konnte: Nike wollte ihr nicht vertraglich zusichern, sie nicht mit weiteren Gehaltskürzungen zu »bestrafen«, wenn sie in den Monaten nach der Geburt keine Topleistungen bringe. Die 35-Jährige hatte ihre Tochter Ende 2018 mit Komplikationen per Kaiserschnitt zur Welt gebracht, das Baby kam zwei Monate zu früh, musste zunächst auf der Intensivstation bleiben. Wer den Höchstleistungssport »Kinder kriegen« selbst schon mal mitgemacht hat – die Zeit danach ist emotional einigermaßen anspruchsvoll. Körperlich im Übrigen auch, erst recht mit einer Kaiserschnitt-Narbe. Jegliche Unterstützung ist ziemlich willkommen, mangelndes Verständnis dagegen hinterlässt in dieser Zeit ungefähr so deutliche Spuren wie ein Sprintschuh auf der Aschebahn. Felix und Nike trennten sich daraufhin bekanntlich, sie wechselte zur Marke Athleta, die zu GAP gehört und zwar Sportbekleidung, aber keine wirklichen Performance-Schuhe herstellt.
Den richtigen Ort für sich hat sie sich gewissermaßen selbst geschaffen
Vor Kurzem qualifizierte sich Felix, trotz der Babypause, für ihre fünften olympischen Spiele. Und mit welchen Schuhen wird sie in Tokio nun an den Start gehen? Mit denen ihrer eigenen Marke Saysh, die sie gerade – mach’s einfach! – zusammen mit ihrem Bruder selbst gegründet hat. Auch die letzten Wettkämpfe bestritt sie bereits mit ihrem hauseigenen Sprintschuh.
Vor allem der Slogan und das Imagebild von Saysh und seiner Gründerin sind denkwürdig: »Know your place« steht unter dem Markennamen. Eine Anspielung an ihre alten Wegbegleiter, die ihr deutlich zu verstehen gaben, dass eine Sportlerin auf die Wettkampfbahn und nicht an die Wiege gehöre. Sie wisse nun, wo ihr Platz sei, sagt Allyson Felix in einem Video auf der neuen Homepage. Den richtigen Ort für sich hat sie sich gewissermaßen selbst geschaffen.
Dazu posiert sie unter anderem mit all ihren Medaillen um den Hals – und der deutlich sichtbaren Kaiserschnittnarbe darunter. Offensiver kann man die Markenbotschaft nicht rüberbringen: Saysh soll von Frauen für Frauen sein, für Mütter und solche, die es noch werden wollen – und die keine Angst haben sollten, deshalb aussortiert zu werden. Das soll ja in anderen Branchen auch schon mal vorkommen. Neben einem Produktsortiment versucht Saysh deshalb eine Community aufzubauen, in der Frauen sich austauschen können.
Unschwer zu erraten, bei welcher großen Sportmarke zwei der Produktdesignerinnen vorher gearbeitet haben. Dementsprechend ausgereift sieht der erste Lifestyle-Sneaker »Saysh One« aus: Eine Wrap-Optik um die Schuhspitze soll sowohl an schmeichelnde, sich der Körperform anpassenden Wickelkleider erinnern, aber auch die Linien der Tartanbahn aufgreifen. Passend zum Markenkern wirken sie jedenfalls deutlich femininer als die meisten Turnschuhe.
Wenn Felix Ende Juli bei den Olympischen Spielen in Tokio auf 400 Metern und vielleicht auch auf den 200 Metern eine Medaille holt, kann sie die erfolgreichste weibliche Olympiasportlerin aller Zeiten werden. Auch dazu hat sie auf ihrer Homepage eine Botschaft parat: »When you see me run, know that I'm not running for medals.« Sie kämpfe nur noch für Wandel, für mehr Gleichberechtigung, für Frauen. Vor allem: Für eine Zukunft, in der keiner Frau und keinem Mädchen mehr gesagt werde, wo sie hingehöre. Klingt nach einem ganz guten Antrieb.
Typischer Instagram-Kommentar: »You go, girl!«
Passender Song: »Walking in my shoes« von Depeche Mode
Nicht mehr passendes Sprichwort: Schuster, bleib bei deinen Leisten