Das Thema Radfahren ist in den letzten Jahren ein modischer Aufsteiger gewesen: Radlerhosen waren an Models, Influencern und Festival-Besucherinnen zu sehen, und auch die Produkt- und Lifestyle-Welt um das eigentliche Radfahren hat enorm an Hipness zugelegt. Stilbewusste Cyclisten legen auf das Aussehen ihres Nobel-Gefährts ebenso viel Wert wie auf atmungsaktive Allwetter-Anzughosen, einen formschönen Helm und edle Fahrradtaschen.
Einer, der es sich einst als früherer Londoner Bürgermeister (2008-2016) zur Aufgabe gemacht hat, das Fahrradfahren einerseits zu fördern und sicherer zu machen und andererseits vom Elasthan zu befreien (»to de-lycrafye«), ist der passionierte Radfahrer Boris Johnson. Und während sein Land fast zwei Jahre nach dem EU-Referendum im Brexit-Chaos versinkt und eine Abstimmung im Unterhaus nach der anderen scheitert, sah man den früheren britischen Außenminister und passionierten Radfahrer vergangene Woche gut gelaunt bei seinem Ritt durch London. Er zeigte sich dabei tatsächlich extrem Elasthan-befreit und wirkte wie ein Junge in zu großer Schuluniform und regenfestem Anorak, dem Papa in morgendlicher Aufbruchseile noch schnell zwei verschiedene Handschuhe zugeworfen hat. Ein Accessoire an diesem Outfit schien jedoch bewusst gewählt: Johnsons dunkelblaue Mütze mit dem unverkennbaren Logo der Londoner U-Bahn.
Merchandise, also Werbemittel zum Anziehen, sind in der Mode seit einigen Jahren ein großes Thema. Nachdem zunächst Tour-Shirts von Musikern wie Kanye West, Justin Bieber oder Rihanna zum Must-Have wurden, erfasste die Luxus-Merch-Welle auch den (Städte-)Tourismus. Balenciaga, immer eine gute Referenz, wenn es um spitze Modetrends geht, verkauft derzeit große schwarze Baumwollshirts mit kitschigem Paris-bei-Nacht-Print für 325 Euro. Letzten Sommer wurde das Label von einer New Yorker Souvenir-Firma verklagt, weil das pinke »New York City«-Skyline-Motiv auf dem Nobel-Shopper von Balenciaga nur schwer von jenem zu unterscheiden war, das auf der 20-Dollar-Stofftasche des Souvenir-Herstellers prangte.
Adidas lancierte währenddessen im vergangenen Jahr einen Sammler-Turnschuh in Kooperation mit den Berliner Verkehrsbetrieben, um den ein regelrechter Hype entstand.
Mittlerweile ist in dem blau-rot-schwarzen Muster der BVG-Sitzbezüge eine ganze Merch-Kollektion von Badeshorts bis Seidenkrawatte erhältlich.
Dass Boris Johnson sich mit seiner U-Bahn-Mütze als Modekenner positionieren wollte, ist nicht anzunehmen. Vielmehr dürfte seine Mützenwahl Ausdruck einer ganz unironischen Heimat- und Selbstliebe sein. Immerhin handelt es bei der Tube um die älteste U-Bahn der Welt und ein Wahrzeichen der britischen Hauptstadt. Als Bürgermeister setzte sich Johnson unter anderem für die Ausweitung des U-Bahn-Nachtbetriebs am Wochenende ein. Und er eröffnete am Ende seiner Amtszeit auch den »Crossrail for Bikes« – eine 24 km lange Strecke mit eigenen Fahrradwegen, die quer durch London verläuft. Außerdem wurde unter seiner Führung das Netz an Verleihfahrrädern ausgeweitet, die im Sprachgebrauch bis heute »Boris Bikes« genannt werden. Will sich da einer seine verkehrspolitischen Erfolge auf die Mütze schreiben?
Man hat das ja fast vergessen: Es gab eine Zeit, als in London noch konstruktiv gearbeitet wurde und nicht politische Lähmung herrschte. Johnson selbst, auch das sagt dieses Bild, ist nach seinem Rücktritt als Außenminister vergangenen Sommer fein raus, dabei hat er den EU-Austritts-Schlamassel maßgeblich mit vorangetrieben. Beim Abhauen, egal ob vor Fotografen oder vor Zweiflern am eigenen Vermächtnis als Politiker, helfen sowohl Fahrrad als auch U-Bahn ungemein.
Wird getragen mit: BVG-Sneakers von Adidas, I <3 NY-T-Shirt
Wird getragen von: Touristen, London-Patrioten, ironischen Hipstern
Nicht zu verwechseln mit: Fahrradhelm