Die konservative Belegschaft steht wahrscheinlich immer noch unter Schock, die Azubis liebäugeln schon mit der Jogginghose: Daimler-Chef Dieter Zetsche hat es wieder getan. Er kam ohne Krawatte, der Hemdkragen stand einfach so offen. Und das ausgerechnet bei der Jahreskonferenz in Stuttgart, einem der wichtigsten Termine des Jahres.
Noch vor kurzem wäre das konzerntechnisch ein schlechtes Zeichen gewesen. Da machte vor allem der griechische Premier Alexis Tsipras mit seinem kindlich-rebellischen »No-Tie-Trend« Schlagzeilen. Er wollte erst wieder beim kollektiven Krawatte binden mitmachen, wenn seinem Land die Schulden erlassen würden. Frei nach dem Motto: Wenn mir das Wasser eh schon bis zum Hals steht, warum soll ich mir dann mit dem albernen Schlips auch noch die Kehle zuschnüren? Gebracht hat das Ganze bekanntlich leider wenig.
Zetsche hingegen hat überhaupt keinen Grund, sich demonstrativ Luft zu verschaffen. 2015 war ein Rekord-Jahr für Daimler, die Aussichten für dieses Jahr sind wieder vielversprechend. Sein »Fashion Statement«, wie man das so nennt, ist also eher New-Economy-Oberwasser-Symbolik: »Wir sind hier alle schrecklich dynamisch und locker bis zum geht nicht mehr – und weil wir uns mit dem alten Statussymbol nicht mehr ständig in der Drehtür verheddern, auch wieder viel produktiver als der Rest.« Nebenbei kommt so ein bisschen Volksnähe bei der Fließband-Basis immer gut an. Nicht umsonst haben auch Bosch und Siemens den Krawattenzwang weitgehend abgeschafft.
Modisch betrachtet kann man sagen: Die Manager liegen damit voll im Trend. Ein Revival der formalen Kleiderordnung ist nicht ansatzweise in Sicht, auf den Laufstegen geht es so casual zu wie nie. Selbst Marken wie Bottega Veneta und Prada zeigen Jogginghosen, die Bomberjacke, traditionell eher Neukölln-Chic, ist momentan überall. Die weitere Verlockerung der Sitten scheint also unaufhaltsam, was sich jemand wie Zetsche nicht zweimal sagen lässt. Der Manager liebt es privat ohnehin eher lässig. Außerdem war er vor kurzem im Silicon Valley auf Inspirationsreise unterwegs, wer da mit Krawatte erwischt wird, bekommt zur Strafe wahrscheinlich sofort seine Apple-ID gesperrt.
Zu empfehlen ist dieser Look allerdings nicht. Die Krawatte verleiht jeder Statur noch eine Spur Haltung, steht der Kragen so leer und halb offen da, wirkt es unweigerlich so, als habe man die Kontrolle über seinen Aufzug verloren. Vielleicht nicht die geeignete Assoziation, wenn es um den Vorstand eines Milliardenkonzerns geht. Dann lieber gleich konsequent Rollkragen oder Zuckerberg-T-Shirt tragen.
Gern würde man jetzt noch sehen, was passiert, wenn weibliche Manager anfangen, stilistisch mal ein bisschen runterzufahren. Flache Schuhe zum Kostüm. Oder vielleicht mal gar kein Kostüm, sondern einen Jeansanzug von Gucci. Wahrscheinlich würde die Dame sofort vom Podium entfernt.
Als Sharyl Sandberg beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos in ihrer klassischen Uniform – figurbetontes Kleid in gedeckter Farbe, keine Strumpfhose, klassische Pumps – erschien, wurde in den sozialen Netzwerken sofort gelästert, dass das – helloooo??? – jawohl kaum die angemessene Garderobe für die verschneite Schweiz auf 1560 Metern Höhe sei. Wir freuen uns also schon auf Sandbergs adäquaten Auftritt im nächsten Jahr: in dickem Wollpulli und Kaschmir-Jogginghose.
Wird getragen von: Topmodernen Top-Managern
Wurde vorgemacht von: New-Economy-Typen, denen nie jemand beigebracht hatte, wie man einen ordentlichen Krawattenknoten bindet
Klassischer Instagram-Kommentar: Schon wieder Weiberfastnacht?
Das sagt der Daimler-Azubi: Krasser Move vom Alten!
Foto: AFP