Der letzte Schrei - das war das Modejahr 2017

Kai Pflaume ist plötzlich hip, Rihanna zeigt es den Bodyshamern, pinke Mützen werden chic und Siebenjährige zu Fashion-Idolen: 2017 war ein Jahr voller modischer Überraschungen.

Mode-Newcomer des Jahres: Coco Pink Princess

Erinnert sich noch jemand an Tavi Gevinson? 2008 war die damals 12-Jährige eine echte Sensation, weil sie einen eigenen Blog namens »Style Rookie« und, noch verrückte, einen sehr eigenen Stil hatte. Seit Instagram werden allerdings auch die Streetstyler immer jünger, quasi: New Kid on the Modeblog. Die neue Benchmark in der Kinderabteilung: Coco Pink Princess aus Tokio. Aktuelles Alter: 7. Aktuelle Follower: 440 000.

Ihre Eltern betreiben einen Vintage-Store, der ihr Spielplatz wurde. Vor zwei Jahren fing sie mit ihrem Account an, mittlerweile trägt sie die Dior-Berets, Supreme-Louis-Vuitton Taschen und Gucci-Söckchen so selbstverständlich, als wär's zu Hause vorm Spiegel; nur dass da halt noch die halbe Welt mit reinguckt. Von Coco wird es bei ihrer Hochzeit also voraussichtlich keine peinlichen Kinderfotos geben. Oder gerade doch.

Wird auch getragen von: North West, Blue Ivy Carter
Typischer Instagram-Kommentar: You look so cuuuuuuuuuute!

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Schönstes Tableau: Golden Girls

Das Haus Versace feiert eigentlich erst nächstes Jahr 40. Geburtstag, hat aber einfach schon dieses Jahr das maximale Feuerwerk abgefackelt. Bei den Mailänder Modeschauen zeigte Donatella Versace eine Kollektion als Hommage an ihren Bruder Gianni, der vor 20 Jahren starb, und ließ passend dazu seine Supermodels von damals auflaufen: Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Helena Christensen, Carla Bruni, Cindy Crawford, allesamt in goldenen Kettenkleidern. Da können Kim Kardashian und ihr Plateau-Hintern von 2014 einpacken, da war »Break the Internet!« rückblickend der »Fashion Moment« des Jahres. Mit der dazugehörigen Kampagne setzt die Designerin noch einen drauf. Unter aktuellen Topmodels ist dort auch Christy Turlington zu sehen – mitsamt ihrer hübschen, 48-Jährigen Wangenfalten. Von wegen straffes Jubiläumsprogramm.

Typischer Instagram-Kommentar: Alles goldrichtig gemacht!
Das sagt der Fashion-Enzyklopädist: Warum noch mal ist Linda Evangelista nicht dabei?
Das sagt die Diskriminierungsbeauftragte: Weil sie als 52-Jährige keine 36 mehr trägt? Skandal!

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Warteliste des Jahres: Barry in White

Es macht überhaupt nichts, wenn Sie noch nie von dem französischen Label Sézane gehört haben. So ewig gibt es das auch noch gar nicht, dafür ist die Warteliste auf manche der Teile: ewig lang. Der 95-Euro-Cardigan »The Barry« schaffte es dieses Jahr in die Schlagzeilen, weil rund 30 000 Leute für den nächsten »Drop« im Netz Schlange standen. Das Design ist erstaunlich simpel, ein einfarbiger Cardigan halt, aber der Look von Sézane insgesamt ist nun mal: very french, auch 2017 offensichtlich noch das Maß aller Dinge. Brigitte Macron, J'adior, PSG, Lily Rose Depp – nicht auszudenken was passiert, wenn die Franzosen auch noch die Fußball-WM 2018 gewinnen sollten.

Wird getragen von:
Influencern mit schönen Schultern
Nicht zu verwechseln mit: Cézanne
Typischer Instagram-Kommentar: Gehört das nicht andersrum...?

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Igitt-Bag des Jahres: die Ikea-/Balenciaga-Tasche

Eine 1-Dollar-Ästhetik innerhalb einer Saison auf 2145 Dollar hochzuschrauben – das schafft nur Demna Gvasalia. Der Designer von Vetements und Balenciaga ist bekannt dafür, Alltagsgegenstände zur Popart zu erheben. Vergangenes Frühjahr war also die Tasche aller Taschen dran: Frakta, die klassische blaue Ikea-Tüte, die auf dem Balenciaga-Laufsteg plötzlich als täuschend ähnliche Designerversion in Leder auftauchte. Im Gegensatz zu vielen Modeleuten reagierte Ikea gelassen. In einer Kampagne erklärten sie scherzhaft »woran man eine echte Frakta erkennt«: Sie knistert, kann gefaltet – und mit dem Gartenschlauch abgespritzt werden. In der Männerkollektion für Frühjahr 2018 ist nun der nächste Billig-Beutel »veredelt« worden. Die klassische gelbe Edeka-Tüte, mit doppeltem »B« statt großem »E« für 1050 Dollar. Wenn die mal nicht irgendwo aus Versehen im Müll landet.

Wird getragen von: Leuten mit den Taschen voll Geld
Das sagen die Franzosen: Edeka? Qu'est-ce que c'est?
Typischer Instagram-Kommentar: Tickst du noch richtig oder shoppst du schon?

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Very first ladies: Macron vs. Melania

Wortleichen pflastern Donald Trumps Weg: »Fake« wurde dieses Jahr hoffnungslos überstrapaziert und das flotte englische Kompliment »you're in such good shape!« kann man auch nicht mehr machen. Obwohl der Verweis auf Brigitte Macrons Topform immerhin keine Falschmeldung war: Lange ist eine First Lady nicht mehr so selbstbewusst und stilsicher aufgetreten wie die 64-Jährige; was durchaus, aber nicht ausschließlich damit zu tun hat, dass sie sehr häufig Louis Vuitton trägt. Andererseits sorgt Trumps eigene First Lady ja selbst für Gesprächsstoff: Pussy-Bow-Bluse während der Grab-them-by-the-Pussy-Debatte, auf High Heels ins Hurricane Gebiet, ein rotes Calvin-Klein-Hemd von Designer Raf Simons, der den amerikanischen Traum eher als American Horror Story interpretiert. Wirklich alles ignorante Ausrutscher? Oder subversives Styling als häusliche Rebellion?

Wird getragen mit:
sehr viel Drei-Wetter-Taft
Passender Song: »Shape of you«, Ed Sheeran

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Modischer Aufsteiger des Jahres: Kai Pflaume

Wer hätte das gedacht: Kai Pflaume, Schwiegermutter-Liebling mit der vermeintlichen Underground-Affinität eines P&C-Verkäufers, interessiert sich für Sneakers und Streetwear. Wurden seine Instagram-Posts mit den einschlägigen Hashtags und Marken-Verlinkungen der Branche anfangs noch belächelt – ein Foto mit dem russischen Designer Gosha Rubchinskiy führte im Oktober sogar zum Facebook-Stunk mit dem deutschen Rapper RIN – ist Pflaume heute gefeierter Szene-Insider. RIN hat sich bei Pflaume entschuldigt und dieser ist mittlerweile »down« mit den Größen der deutschen Sneaker-Sphäre und gern gesehener Experte bei Szene-Formaten wie Turnschuh-TV oder dem Stammtisch des Sneaker-Magazins Praise Mag – natürlich in limitierten Turnschuhe und Shirts von angesagten Streetwear-Marken wie Comme des Garçons, Maharishi oder 424 on Fairfax. Sogar in seiner Dankesrede für den diesjährigen Bambi ließ Pflaume es sich nicht nehmen, dem deutschen Streetwear-Kollektiv »Verband Botanischer Gärten« zu danken. Sein Publikumspreis wurde schließlich durch Zuschauer-Abstimmung generiert.

Wird getragen von:
Skate-Kids, Streetwear-Enthusiasten, Hipstern, RIN
Wird getragen mit:Street Credibility, limitierten Turnschuhen
Der Song dazu: »Started from the bottom (now we're here)«, Drake

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Überdruss des Jahres: Levi's Logo-Shirt

In den deutschen Fußgängerzonen von Oldenburg bis Rosenheim war dieses Jahr ein Modeartikel so oft zu sehen wie seit Adidas' Superstar nichts mehr: das Logo-Shirt von Levi's. Ein schlichtes weißes Rundhalsshirt mit rotem »Batwing«-Print, dem 1967 entworfenen Markenlogo des Jeansherstellers. Irgendwann im Sommer häuften sich die reißerischen Artikel über die Belang- und Identitätslosigkeit eben dieser Shirts (»Hört endlich auf, diese Levi's-Shirt zu tragen«), abgeebbt ist der Trend trotzdem nur wenig. Doch was macht die 08/15-Shirts so beliebt? Während Luxus-Logo-Shirts wie das von Gucci, einem weiteren Kassenschlager dieses Jahres, mit Preisen ab 300 Euro nur für wenige erschwinglich sind, ist die Levi's-Variante bereits für unter 20 Euro erhältlich. Trotzdem bietet die Marke, immerhin die älteste Jeansfirma der Welt, weitaus mehr attraktive Markenwerte als Alternativanbieter im ähnlichen Preissegment wie etwa Zara oder Tom Tailor. Einen großen Teil zur Popularisierung beigetragen haben dürften aber auch die einflussreichsten Influencer des Landes, die sich dieses Jahr großzügig im Batwing-Shirt ablichteten. Clevere Produktplatzierung, Levi's.

Wird getragen von: Allen großen deutschen Mode-Influencern von Caro Daur bis Nova Lana Love, jedem zweiten Teenager in deutschen Fußgängerzonen
Wird getragen mit: Levi's-Jeans, Lederjacke, verspiegelter Sonnenbrille, Contouring, sehr vielen Instagram-Filtern
Nicht verwechseln mit: Zahlreichen Persiflage-Shirts (Peni's, I Bim's etc.)

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Fabelwesen des Jahres:
Einhorn

Kein Motiv war in diesem Jahr ein verlässlicherer Garant für gute Abverkäufe als das Einhorn. Neben zahllosen weiteren Produktkategorien von Handyhüllen über Kondome bis Süßigkeiten (Ritter Sports limitierte Einhorn-Schokolade wurde nach ihrem sofortigen Ausverkauf tatsächlich zum Ebay-Hit), belebte das Fabelwesen auch das Bekleidungsgeschäft: Mit Einhorn-Hausschuhen, -Overalls oder -Printshirts. Die ukrainische Designerin Olga Navrotska druckt und stickt unter ihrem Label Navro sogar Einhörner auf lange Mäntel und Abendkleider. Am kräftigsten vom Einhorn-Hype profitiert haben dürfte aber die Sparte der »Inflatables«, also der fantasievoll geformten Luftmatratzen. An Badeseen fanden sich diesen Sommer ganze Herden an aufblasbaren Einhörnern mit goldenem Horn und buntem Regenbogenschwanz, Stars und Sternchen posteten Fotos auf ihren #floaties aus dem Urlaub und Instagram selber widmete dem Gummitier für ein paar Wochen sogar ein eigenes Emoji. Auf Mallorca öffnete kürzlich übrigens das erste »Tierheim« für Inflatables, in dem man gebrauchte Pool-Tierchen abgeben und ausleihen kann. Ob das Geschäft dadurch 2018 rückläufig wird?

Ständige Begleiter:
Aufblasbarer Flamingo, Schwan und Donut
Möglicher Nachfolger: Die Biene
Der Film dazu: Das letzte Einhorn

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Körperbewusstsein des Jahres: Rihanna aka #Thikanna

Rihanna taufte ihr fülligeres Alter Ego bereits 2013, als sie auf eine Twitter-Anfrage, ob sie zugenommen habe, schlagfertig erklärte, sie würde Fortschritte in der Operation »Thickanna« machen. Diesen Sommer kehrte der Begriff nach ein paar Paparazzi-Aufnahmen einer etwas runderen Rihanna zurück in die (sozialen) Medien, und die Sängerin erntete vor allem jede Menge Zuspruch. Wie schön. Der Blogger Chris Spags, der auf Twitter Bedenken äußerte, Rihanna könnte »Fettsein« zum neuen Trend unter jungen Frauen machen, wurde von ihren Fans umgehend abgestraft, und die Sängerin selbst begegnete Kritikern in üblicher Manier: souverän, deutlich und mit jeder Menge Selbstironie. Gleichzeitig bewies Rihanna, dass sie auch mit ein paar Kilos mehr auf den Rippen die größte Stil-Ikone der Pop-Welt bleibt: Mit ihrem glitzernden Gucci-Body über figurbetonte Tom-Ford-Ensembles bis zum Mini-Dior-Lackkleid lieferte Rihanna 2017 den textilgewordenen Mittelfinger in Richtung aller Bodyshamer.

Wird getragen mit: Selbstbewusstsein und ohne modische Einschränkungen
Der Chartshit dazu: »Shape of you«, Ed Sheeran(erneut)
Typischer Instagram-Kommentar: #bodypositive

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Kopfbedeckung des Jahres: Pussy Hat

Am 21. Januar 2017, einem Tag nach der Amtseinführung Donald Trumps, gingen in Washington D.C. über eine halbe Million Menschen auf die Straße, um beim Women‘s March für Frauen- und Menschenrechte zu demonstrieren. Auf dem Kopf vieler der Demonstrantinnen dort und bei den weltweiten Schwesterveranstaltungen: pinke Strickmützen mit Katzenöhrchen, die sogenannten »Pussy Hats«, die auf sexistische Trump-Äußerungen anspielen. Von so viel feministischem Aktionismus zeigte sich auch die (Designer-)Mode nicht unbeeindruckt: Kurz nach den Märschen schickte Angela Missoni in Mailand die Models mit ihrer Interpretation der Pussy Hats über den Laufsteg, in New York zeigte Prabal Gurung Statement-Shirts mit Botschaften wie »The Future Is Female«, ähnliche Aufdrucke gab es bald auch zum Schleuderpreis beim Modefilialisten nebenan. Der modische Ausverkauf feministischer Slogans hat also definitiv begonnen. Doch auch jedes vor allem Trend-motivierte Statement für Frauenrechte und Gleichberechtigung ist immer noch besser, als gar keines. Oder?

Wird getragen von: Demonstrantinnen beim Women's March, Lena Dunham, Cate Blanchett, Gigi Hadid
Wird getragen mit: Feministinnen-Shirt, #tiedtogether-Symbolbandana
Nicht verwechseln mit: Panda-Mützchen, Furby, Pussycat Dolls

Fotos: Gettyimages / Catwalking, afp, Screenshot Instagram, AP, Gettyimages / Robert Kamau, rtr