Flucht nach vorn

Die Augenklappe des Bundeskanzlers ist immer noch das Gesprächsthema schlechthin im Netz. Über eine Inszenierung, die aus PR-Sicht voll aufgegangen ist.

Abgesehen vom körperlichen Schaden hat Olaf Scholz Grund zur Freude.

Foto: dpa

Soll noch mal jemand sagen, es gäbe keine Anteilnahme in diesem Land. Über 132.000 Likes und mehr als 8000 Kommentare hatte das Bild vom »Piratenkanzler« mit Augenklappe auf Instagram nach einem Tag angesammelt. Olaf Scholz, das weiß mittlerweile die halbe Welt, ist am Wochenende beim Joggen gestürzt und frontal aufs Gesicht gefallen. Dabei war er auf seiner Stammstrecke in Potsdam unterwegs und hatte wie immer Leibwächter dabei, die aber offensichtlich nicht so schnell reagieren wie der Kanzler stolpert.

Scholz und sein Team beschlossen, das Foto zu posten, damit sich die Öffentlichkeit schon einmal daran gewöhnen könne, wie der Kanzler in den nächsten Wochen aussehe. In der Bildunterschrift schrieb er »Wer den Schaden hat…«, (muss für den Spott nicht sorgen, Anm. d. Red.). »Ich bin gespannt auf die Memes!« Bei den Kommentaren haben sich bereits sämtliche Scherzkekse der Nation zu Wort gemeldet: »Ihr solltet mal den anderen sehen!«, »Mach mal so Facetime mit Putin« »Hätte man die letzten Jahre auch nicht gedacht, dass die Piratenpartei mal den Bundeskanzler stellt« – Perlen des deutschen Humors. Im heute journal wurden am Abend direkt die entstandenen Memes gezeigt. Abgesehen vom körperlichen Schaden hätte es für Olaf Scholz PR-mäßig also nicht besser laufen beziehungsweise fallen können.

Dass sich Olaf Scholz seiner Inszenierung sehr bewusst ist und sich darin einigermaßen gefällt, sieht man an seinem verschmitzten Lächeln auf dem Bild. Als Angela Merkel einmal Krücken trug, hätte sie dieses Detail am liebsten totgeschwiegen, obwohl das Volk hier ebenfalls großen Anteil nahm. Bloß keine Ablenkung! Schwer vorstellbar, dass sie sich – würde sie denn joggen – mit einer Augenklappe im Kanzleramt hätte ausleuchten lassen und auf Daryl Hannah in Kill Bill macht. Eher hätte sie die Verletzung maximal unglamourös mit dicker Mullbinde und braunem Leukotape abgedeckt. Politikerinnen sind es eben gewöhnt, dass sowieso ständig alles an ihnen seziert wird: der Blazer, die Schuhe, die neue Frisur. Bei Scholz sucht man da meistens vergeblich. Umso größer jetzt die allgemeine Verzückung.

Aber musste es wirklich gleich diese unübersehbare schwarze Klappe sein? Hätte man das nicht auch ein bisschen weniger dramatisch überdecken oder wegschminken können? Oder eben einfach seine Wunden zeigen, wie Bruce Willis oder Sylvester Stallone das nach 45 Filmminuten auch immer taten? Hätte er damit nicht sogar noch verwegener und dramatischer ausgesehen?

Eben nicht. Ein Bundeskanzler kommt in der Öffentlichkeit nicht mit einem blauen Auge davon. Da wäre der Spott gleich noch viel größer und der Schaden erst recht. Weil er dann nicht wie ein Haudegen, sondern verletzlich und angeschlagen aussieht. Als hätte er nach einer durchzechten Nacht mit den Jungs den Asphalt geküsst. Oder als hätte ihm ein unzufriedener Bürger, davon soll es ja einige geben, schneller eine verpasst als die Bodyguards einschreiten konnten. Ein Veilchen macht Scholz garantiert nicht zum Helden, sondern nur zum Prügelknaben der Nation, erst recht wo in der Koalition gerade sowieso ständig gestritten wird. Kein Wunder also, dass der Krisenstab sofort die Augenklappe rausholte und mit dem gut gestellten Bild die Flucht nach vorn antrat.

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