Ist Howard Carpendale letzte Woche mit dem Longboard ins Studio von Markus Lanz gerollt? Es gibt berechtigte Gründe, davon auszugehen. Zu seinem sonst einwandfreien Weichspüler-Look aus rotblonder Löwenmähne, Sakko und Männerschälchen trug Carpendale beim Auftritt in der Talk-Sendung – kurzes Aufzucken, als er die Beine übereinanderschlägt – Sneakers. Und zwar nicht irgendwelche, sondern einen der bekanntesten Schuhe der Skate- und Jugendkultur.
Anfang des Jahres ist Howard Carpendale 70 Jahre alt geworden. Er fühle sich allerdings ganz wie 35 und habe deshalb eine ausgefuchste Technik zur Altersverdrängung entwickelt, wie er bei Lanz erklärte: »Wenn ich Dinge nicht mag, dann tu‘ ich die zur Seite.«
Dieses Schicksal hat offenbar auch seine sonst eher klassisch gehaltenen Lederschuhe ereilt. Ein weiterer Grund für deren Verbannung ist Carpendales Umtriebigkeit. Gerade hat er eine Tournee beendet (»Das ist unsere Zeit«), schon läuft wieder die Promo für sein schätzungsweise 85. Best-of-Album und seine gerade erschienene Autobiografie »Das ist meine Zeit« (auch nicht die erste). Klar, so ein Programm hält auf Trab, am Tag der Lanz-Ausstrahlung trat er allein im ZDF noch bei Carmen Nebel und im Frühstücksfernsehen auf. Da ist bequemes Schuhwerk unerlässlich.
Dass seine Wahl dabei ausgerechnet auf das Modell ›Slip-On‹ der amerikanischen Marke Vans fiel, kommt nicht von ungefähr. 1977 erstmalig produziert, fand der Canvas-Schuh mit Gummisohle zunächst in der kalifornischen, später der weltweiten Skateszene viele Fans; 1982 gelangte er an den Füßen Sean Penns auf dem Poster des High-School-Kultfilms »Ich glaub, ich steh' im Wald« zu weltweiter Berühmtheit. Seitdem wurde der Slip-On, insbesondere die Variante mit dem charakteristischen Schachbrettmuster-Print, zum Uniformbestand zahlreicher weiterer Jugend- und Subkulturen von Punk Rock bis Emo.
Mit seinem Statement-Schuh möchte Carpendale – um im sprachlichen Bild zu bleiben – ganz offensichtlich neue Wege beschreiten. Nach 50 Jahren in der Schmuseecke hat er die Schlagernummer einfach satt. Schon für sein letztes Studioalbum wechselte er das Management, verabschiedet sich von seinem langjährigen Komponisten und lud stattdessen 15 junge Musiker zu einem Songwritercamp nach Berlin ein. Song. Writer. Camp.
Für den musikalischen Wandel sprechen auch die in seinem Buch genannten Künstler, mit denen Carpendale gern mal arbeiten würde: Udo Lindenberg, Die Toten Hosen, Cro – ob er die mit seinem jugendlichen Schuh zum Duett überzeugen will? Und warum nicht gleich ein ganzes Rock- oder Hip-Hop-Album aufnehmen – Ähnliches hat doch zuletzt auch beim Kollegen Heino so gut geklappt.
Bis zur Bestätigung warten wir gespannt auf weitere Indizien. Zerschlissene Jeans und kariertes Flanellhemd oder doch die dicke Goldkette? In jedem Fall sollte Vans darüber nachdenken, seinen Klassiker auch mit orthopädischer Abrollfunktion anzubieten.
Wird getragen von: Skate-Profis, Emos, Punk-Rockern, Schmusesängern
Wird getragen zu: a) abgeschnittenen Dickies-Hosen, Ripp-Unterhemd und Joint oder b) Lederjacke, bunten Haarsträhnen und Jägermeister
Das summt der Zuschauer: »70 Jahr', blondes Haar«
Foto: ZDF Mediathek