Dann sind wir eben Schweden!

Ende, aus, vorbei! Nach dem 0:1 gegen Japan weint die deutsche Frauen-Elf. Und die deutschen Fans? Haben weiter beste Laune. Ein Stadionbesuch.

Augsburg, Sonntagmittag, ein Sommermärchen – die Sonne scheint, die Luft riecht nach Bratwürsten vom Grill, und ich mache mich auf den Weg zum Stadion. Schweden gegen Australien, Viertelfinale. Am Tag zuvor ist Deutschland ausgeschieden. Dabei war der Finalsieg doch fest abgemacht zwischen Spielern, Werbeindustrie und Fernsehzuschauern. Was wird mich hier erwarten? Weinende, verzweifelte Fans, die symbolisch ihre Deutschland-Trikots zu Grabe tragen? Oder gleich leere Tribünen, weil die Deutschen ihren Niederlage-Kater lieber daheim pflegen?

Nö. Die Augsburger WM-Arena war lange ausverkauft – und es sind alle gekommen. Besonders traurig sehen die 25.000 Fans auch nicht aus. Gleich nach dem Anpfiff jubeln sie, klatschen, machen La-Ola-Welle. Wie kann das sein? Ich frage nach.

Verdrängung durch Tarnung

Meistgelesen diese Woche:

Halbzeit, Würstelbude. Eine Gruppe Enddreißiger hat sich in die Schwedenfarben Gelb und Blau gehüllt, sie reden schwäbischen Dialekt. Nach dem Spiel Deutschland gegen Japan seien sie "schon traurig" gewesen, sagen Daniela, Alexandra und Wolfgang aus Welten bei Augsburg. Aber jetzt jubeln sie für die Schwedinnen. Warum? Kommentar Daniela: "Die sind blond und ich bin auch blond." Kommentar Wolfgang: "Die sehen alle so gut aus." Kommentar Alexandra: "Die haben einen lustigen Tanz."

Klarer Fall von Verdrängung: Die deutschen Fans tarnen sich, nachdem ihre Elf ausgeschieden ist, einfach mit den Nationalfarben eines anderen Teams - und es reichen ihnen eigenartige Gründe, um eine neue Mannschaft zu unterstützen. Wie Sandra aus Legau im Allgäu. Auf den ersten Blick könnte man meinen, unter ihren blonden Zöpfen und in ihrem Schweden-Shirt stecke eine Inga aus Malmö. "Nö, nö“, sagt Sandra, "das Trikot habe ich von meinem Freund.“ Der hatte gerade kein anderes. Na gut, in diesem Fall: Tarnung mangels Alternativen.

Sympathie für den Schwächeren

Der männliche Durchschnittsfan in Augsburg trägt gern: Freizeithemd und Cargo-Hose. So gekleidet kann er von den USA bis Äquatorialguinea jede Mannschaft unterstützen. An diesem Tag klatscht man auf der Tribüne besonders heftig für die seltenen Chancen der Australierinnen. "Ich finde es toll, dass die überhaupt so weit gekommen sind", sagt etwa Christian aus Augsburg, der mit seiner Tochter ins Stadion gekommen ist. Australien ist zwar kein klassischer WM-Außenseiter – Frauenfußball ist in Down Under ziemlich big, trotzdem: Über das Viertelfinale sind die Australierinnen bei einer Weltmeisterschaft nie hinausgekommen. Und da man als Deutscher im Frauenfußball neuerdings zu den Verlierern gehört, sind wir Schwestern im Geiste. Australien wird an diesem Nachmittag dann auch 1:3 verlieren.

Weitermachen

Auf der Tribüne sieht man tatsächlich Zuschauer im Deutschland-Trikot. Bei 25.000 Menschen könnte es tatsächlich zwei geben, die einfach nicht mitbekommen haben, dass Deutschland gestern verloren hat - die gar nicht erst nachgesehen haben, Japan war doch kein ernsthafter Gegner. Gleich hin.

"Wir wissen schon, dass Deutschland ausgeschieden ist", versichern Michael und Petra aus dem fränkischen Roßtal. Trotzdem sind sie in die WM-Arena im deutschen Trikot gekommen. Ihr Auftrag: für Australien jubeln. "Wenn die Schwedinnen weiterkommen, dann darf Deutschland ja nicht zu den Olympischen Spielen nächstes Jahr in London." Aha! Hier kommt der Patriotismus durch die Hintertür. So raffiniert dachten nicht alle. "Was, echt?“, fragt Sabine aus Reutlingen verblüfft und rückt ihre schwarz-rot-goldene Irokesen-Perücke zurecht. Olympische Hintertürchen haben mit der Wahl ihres Outfits nichts zu tun. "Ich zieh die Deutschland-Farben immer noch an, weil die Spiele gehen ja weiter.“

Ob Deutschland jetzt drin ist oder draußen, ist nach dieser Logik einfach egal. Die WM findet ja immer noch in Deutschland statt. So ähnlich sieht das auch Amelie aus München. Vor dem Spiel hat sie gebastelt: eine schwedische Flagge und eine australische. Damit geht man auf jeden Fall als Sieger nach Hause.

Kann es denn wahr sein? Alles Friede, Freude, Eierkuchen hier? Ist 24 Stunden später niemand mehr sauer? Oder wenigstens traurig? Offenbar nicht.

Gut, könnte man jetzt sympathisch finden, wie Daniela aus Welten es sieht: "Wir sind doch der Gastgeber!“ Man könnte es aber auch anders sehen: dass man es als echter Fan der deutschen Mannschaft eben nicht egal findet, ob die eigene Elf rausfliegt oder nicht. Dass man mit Nadine Angerer leidet und mit Alexandra Popp weint und mit Birgit Prinz leise flucht. So schnell vergeht das nicht. Es gab unter den 25.000 Zuschauern in Augsburg übrigens doch einen deutschen Fan mit schlechter Laune: mich.