Zunächst muss ich etwas gestehen: Ich verstehe nichts von Fußball. Bislang hat mich eher die Frage umgetrieben, was Menschen überhaupt dazu bringt, sich für das Betrachten von Ballspielen zu begeistern. Aber Moral hat ja viel mit Pflicht zu tun und deshalb will ich mich daran machen, die mir gestellte Frage in Erfüllung meiner Pflicht zu beantworten. Zudem ist es ja vielleicht sogar förderlich, das Phänomen vollkommen neutral völlig ohne eigene Beteiligung und Meinung von außen zu betrachten.
Dennoch muss ich mich an Fakten orientieren und für mein Verständnis hat niemand das Geschehen beim Fußball besser zusammengefasst als der bayerische Liedermacher Fredl Fesl. "Mit Geld da kann man alles kaufen / auch Menschen die dem Ball nachlaufen." So endet ungemein treffend sein Fußball-Lied, das mit folgenden Zeilen beginnt: "Vierundvierzig Fußballbeine / rasen hin und rasen her / denn das Spielfeld ist begrenzt / und das macht's besonders schwer".
Sieht man sich Laufleistungen in anderen sportlichen Disziplinen an, müssten 44 weibliche Fußballbeine nahezu genauso gut hin- und herrasen können wie männliche. Die Laufrekordzeiten vom 100 Meter-Lauf bis zum Marathon unterscheiden sich bei Männern und Frauen teils um weniger als 10 Prozent, das kann doch nicht den Spaß der Zuschauer beenden. Noch dazu höre ich immer wieder, wie Menschen sich vorm oder im Fernseher stundenlang über taktische Finessen in einem Spiel unterhalten und nicht müde werden zu betonen, dass gerade darin einer der Kernpunkte guten Fußballs liege. Bei taktischen Finessen glaube ich nicht, dass eines der beiden Geschlechter wirklich die Nase vorn hat, auf jeden Fall nicht die Männer.
Es keimt deshalb bei mir eine unschöne Vermutung auf, die aber, wie ich gestehen muss, von Vorurteilen genährt wird: Meine Beobachtungen von Fußballfans sind nicht wirklich geeignet, den Verdacht auszuräumen, das geringere Interesse an Frauenfußball könnte einzig und allein auf finsterem Männlichkeitschauvinismus gründen.
Andererseits drängt sich dem Randbeobachter des Fußballtrubels gerade bei Weltmeisterschaften noch ein zweiter Verdacht auf: der des Nationalismus, der sich nur schnell ein Sporttrikot übergezogen hat, um unverdächtig Fahnen und Ressentiments schwingen zu können. Wenn dem so wäre, müsste jedoch ein geradezu märchenhafter Begeisterungssturm für Frauenfußball über deutsche Lande hinwegfegen; denn der sportliche Erfolg der deutschen Fußballdamen scheint nach dem, was meine Recherchen ergeben haben, die Herrenmannschaft ins zweite Glied zu verbannen. Womöglich ringen nun in den Brüsten eingefleischter Fußballfans zwei Seelen miteinander: Patriotismus und Geschlechterchauvinismus. Und so wie es aussieht, scheint der Chauvinismus die Oberhand gewonnen zu haben.
Doch es geht in Fesls Fußball-Lied auch weiter: „Manchmal bleiben sie auch stehen / oder treten nach dem Ball / das kann jeder selbst entscheiden / das ändert sich von Fall zu Fall.“ Das kommt meinen Beobachtungen zufolge auch tatsächlich vor und damit war der Moment gekommen, in dem ich mich bei aufrichtigen, des männlichen Chauvinismus unverdächtigen Fußballfans erkundigen musste, was sie denn nun an einem Fußballspiel gut finden und warum sie das beim Frauenfußball weniger interessiert.
Ich erhielt eine nahezu einhellige Antwort, die ich hier lediglich chronistenhaft wiedergeben möchte: Das Spiel der Frauen sei schlicht weniger gut als das der Männer. Manche meinten – nachdem ich ihnen Anonymität zugesichert hatte – Frauenfußball würde sie mehr an Amateurfußball der Männer erinnern. Auf jeden Fall lägen zwischen entsprechenden Mannschaften von Männern und Frauen spieltechnisch Unterschiede von mehreren Ligen. Das ging bis zur Behauptung, es handle sich praktisch gesehen um zwei unterschiedliche Sportarten, die lediglich die gleichen Regeln verwenden.
Über die Gründe dafür war man sich uneinig. Die einen sagten, es läge an unterschiedlicher Spurtstärke, Gewalt beim erlaubten Körpereinsatz oder schlicht Kraft beim Treten nach dem Ball. Komponenten, die für ein interessantes Spiel notwendig seien: "Für so einen ordentlichen Wumms auf den Ball braucht man eben doch Stampfer, wie sie die männlichen Fußballer haben. Das bekommt das besttrainierte Frauenbein einfach nicht hin." Andere argumentierten weniger körperbezogen: Es läge an den ungleich besseren Trainingsbedingungen für Männer, die von frühester Jugend an massiv gefördert würden und deren Einsatz für den Fußball gesellschaftlich wesentlich akzeptierter sei. Die Zeit, die jeder durchschnittliche Drittligaspieler seit seinem fünften Lebensjahr auf dem Platz verbracht habe, könne selbst eine Bundesligaspielerin bei noch so intensivem Training nie mehr aufholen.
Was bedeutet das alles für die moralische Bewertung? Dass jemand keine Freude am Zuschauen beim Frauenfußball empfindet, stellt zunächst einmal eine Tatsache dar, die auch nur schwer zu bewerten ist. Entscheidend scheinen mir vor allem die Gründe dafür zu sein. Wenn jemand seine Ablehnung in der Art begründet: "Frauen haben auf dem Fußballplatz nun einmal nichts verloren!", sprechen daraus Vorurteile und überkommenen Rollenbilder, die man hinter sich lassen sollte. Noch mehr gilt das, falls jemand sagt: "Ich mag es nicht, weil es Frauen sind".
Wenn aber tatsächlich (!) keine Ressentiments zu Grunde liegen, sondern das Interesse am Fußball objektiv auf den Aspekten beruht, die im Frauenfußball weniger geboten werden, kann man geringeres Interesse kaum vorwerfen. Diejenigen könnten höchstens einmal in sich gehen und sich fragen, warum sie so großen Spaß an der Beobachtung von archaischem Männlichkeitsverhalten wie Treten und Körpereinsatz gegen Andere haben. Und ob man nicht eine Sportart, wenn sie wirklich vor allem wegen dieser Aspekte so geliebt wird, in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen neu und kritischer bewerten sollte. Zumal sich diese Sichtweise mit so manchem Fanverhalten in Einklang bringen ließe. Ansonsten scheint mir die Freude am Betrachten von Ballspielen so wenig rational, dass man sich für einen Mangel daran ebenso wenig rechtfertigen muss wie für ihr Vorhandensein. Es muss auch niemand begründen, warum er Fußball lieber schaut als Basketball und umgekehrt.
Dennoch fehlen mir noch ein paar Aspekte. Als erstes sollte man sich auch im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter bemühen, eingefahrene Betrachtungsweisen zu verlassen und dem Frauenfußball als vergleichsweise junger Sportart eine Chance einräumen: Vielleicht zeigen sich neue Gesichtspunkte, die ihn – jenseits von möglichst kraftvollem Zutreten – umgekehrt interessant erscheinen lassen. Ob es die gibt, etwa eine andere Art der Taktik oder ein besonderer Reiz kürzerer Pässe und damit häufigerer Ballwechsel, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen. Und speziell im Hinblick auf die Tatsache, dass die Akzeptanz des Frauenfußballs im Vergleich zu dem der Männer immer noch deutlich geringer ist, scheint mir – wiederum auch im Sinne der Gleichberechtigung – eine gewisse Solidarität sinnvoll. Wenn diejenigen recht haben, die auf Unterschiede in der Jugendförderung verweisen, sollte, wer Fußball allgemein mag und für förderungswürdig hält, sich aus diesem Gesichtspunkt heraus auch dem Frauenfußball zuwenden. Falls man eben Fußball allgemein mag.
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