Das alte Klischee

Lange galt Frauenfußball als Lesbensport. Bei der WM ist davon aber nichts zu sehen. Hat sich der Sport geändert, oder wird seine wahre Natur für die Zeit der WM mal eben ausgeblendet? In der Lesbenszene schimpft man schon über den WM-Hype und die "Selbstverleugnung" der Spielerinnen.

Ich habe nicht auf die Stoppuhr gedrückt, aber es war schon beeindruckend, in welchem Tempo der ARD-Moderator Claus Lufen vor der Partie Deutschland-Nigeria das Thema "Lesbische Frauen im Fußball" abgehandelt hat. Länger als eine Minute kann er kaum gebraucht haben, um darzulegen, dass "das alte Klischee" heute keine Rolle mehr spiele. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch gar nicht weiter darüber nachgedacht und die WM ganz neutral als Sportveranstaltung wahrgenommen, nicht als Schlachtfeld der Gender-Politik. Doch wenn man so schnell über etwas hinweggeht, wie Lufen es tat, ist das oft ein Indiz dafür, dass noch mehr dahinter steckt.

Und es ist nicht nur Lufen, der das Thema am liebsten in die hinterste Ecke verbannen würde. Die gesamte Medien- und Imagekampagne zur WM zielt darauf ab, die deutschen Fußballfrauen als junge, attraktive und – implizit – heterosexuelle Spielerinnen darzustellen; selbst eine Fußball-Barbie gibt es. Zwar geht der DFB-Präsident Theo Zwanziger mit der ganzen Thematik sehr aufgeschlossen um; einen Tag vor Beginn der WM trat er sogar beim Berliner Christopher Street Day auf und überreichte der offen lesbischen Ex-Bundesligaspielerin Tanja Walther-Arens einen Preis für Zivilcourage. Doch wenn es um die aktuelle Nationalmannschaft geht, spielt das plötzlich keine Rolle mehr.

Ist das vielleicht gerade gut? Schließlich kann es auch ein Zeichen für die Akzeptanz von Homosexualität sein, wenn nicht mehr darüber geredet wird. Dass die geschlechtliche Orientierung von Guido Westerwelle nie ein Thema auf der politischen Bühne war, war für mich zum Beispiel immer ein Zeichen für die Aufgeklärtheit des politischen Diskurses in Deutschland. Nun gibt es durchaus einige aktuelle Nationalspielerinnen, die sich geoutet haben. Torfrau Nadine Angerer wurde im Zeit-Magazin gefragt, ob es im Fußball mehr lesbische Frauen gäbe als anderswo, und antwortete: "Ich persönlich bin da offen, weil ich der Meinung bin, dass es nette Männer und nette Frauen gibt, und weil ich eine Festlegung generell total albern finde." Ihre Stellvertreterin Uschi Holl ist mit einer Frau verheiratet; die beiden gaben der Zeitschrift 11 Freundinnen kürzlich ein Doppel-Interview. Dass solche privaten Angelegenheiten nicht die WM-Berichterstattung dominieren, finde ich erst einmal begrüßenswert.

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In lesbischen Blogs und Magazinen bin ich dann allerdings auf eine andere, interessante Perspektive auf die Frauenfußball-WM gestoßen. Dort sind viele der Meinung, dass die WM die wahre Natur des Frauenfußballs verschleiern würde. "Zwanzig bis vierzig Prozent der Spielerinnen, so ist zu hören, seien lesbisch", schreibt Uta Kehr im Blog des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland. Das werde allerdings ausgeblendet, denn der Sport bekäme "erst dann mediale Aufmerksamkeit, seit er nicht mehr als Lesbensport gilt."

Auch Gudrun Fertig vom Lesbenmagazin L-Mag findet, dass die Realität des Frauenfußball inmitten der pompös inszenierten WM auf der Strecke bleibt. "Es ist eindeutig, welches eindimensionale Image man dem Frauenfußball verpassen möchte“, schreibt sie. "Die Phase der 'Mannweiber' soll mit dieser WM endgültig vorbei sein. Und damit der Aufstieg vom Nischensport zum allgemein anerkannten Sportevent gelingen." Gleichzeitig wirft sie Spielerinnen, Trainerinnen und Funktionärinnen vor, "surreale Selbstverleugnung" zu betreiben, wobei die "lesbische Wahrheit" des Sports auf der Strecke bliebe.

Zuerst hat mich dieser Einwand an beleidigte Musikfans erinnert, die sich darüber beklagen, dass die Lieblingsband nicht mehr vor fünfzig Leuten im Kellerclub spielt, sondern vor 50.000 im Stadion. Doch wenn man länger darüber nachdenkt, ist natürlich etwas dran. Ich habe keine Ahnung, wie viele Fußballspielerinnen lesbisch und wie viele heterosexuell sind, aber wenn tatsächlich Spielerinnen davor zurückschrecken, sich zu outen, weil sie die Konsequenzen fürchten, wäre das genauso bedauerlich wie die Homophobie im Männerfußball.

Am Donnerstag schienen sich die schlimmsten Befürchtungen der lesbischen Aktivistinnen zu bestätigen. Beim Spiel Brasilien-Australien in Mönchengladbach kassierten Ordner ein Transparent mit der Aufschrift "Fußball ist alles, auch lesbisch" ein. „Dafür haben wir nicht gekämpft“, hieß es wütend auf der Webseite des L-Mag. Einen Tag später entschuldigte sich der Pressesprecher des DFB-Organisationskomitees jedoch für den Fehler. "Der DFB als Ausrichter der WM hat eine klare Haltung: wir sind gegen Homophobie und gegen jegliche Form von Diskriminierung oder Unterdrückung." Das dann wenigstens doch.

"Die Vorstopperin" ist eine Kolumne zu Frauenfußball-WM, die sz-magazin.de gemeinsam mit sueddeutsche.de und jetzt.de schreibt.