Unterwegs sein, um heimzukehren

Als Tennisprofi ist Andrea Petkovic öfter in der Ferne als zuhause. Sie hat sich mit dem Alleinsein arrangiert - und ihr Herz an viele Menschen und Orte auf der Welt verloren. Eine Liebeserklärung an das Reisen.

Andrea Petkovic bedankt sich bei all den anonymen Bars und Restaurants, in denen sie in der Ferne zuhause ist.

Foto: privat

Dies ist eine Liebeserklärung ans Reisen. An all die Momente, in denen die rollenden Bürgersteige am Flughafen meine Schritte in gleitendes Schweben verwandelten. An die unzähligen Sprints von Terminal zu Terminal, um Anschlussflüge in allerletzter Sekunde noch zu erreichen. An die Zeit, die mich so oft vor sich hertreibt, nur um in jenem Augenblick, wenn das Flugzeug abhebt, stehen zu bleiben. An weiße Wolken, graue Wolken, Dunkelheit, gesehen durch kleine, ovale Fenster. Wie oft habe ich um mein Leben gebangt, wenn wir Gewitter durchflogen. Am Anfang häufig, mit der Zeit immer weniger, ich wurde teilnahmsloser, abgestumpfter. Dem sehr gutaussehenden, vermutlich schwedischen Mann, dem ich auf den Bauch gefallen bin, als ich versuchte, seinen Sitz zu überspringen, ohne ihn zu wecken, möchte ich sagen: Ich bin nicht arrogant, nur schüchtern! Und schwedische Schönheit ist eine meiner vielen Schwachstellen. Bei allen anderen Passagieren möchte ich mich für mein lautes Lachen und leises Schluchzen entschuldigen, das passiert leider, wenn ich Filme gucke. (Bei wem kann ich mich eigentlich über die Formatierung und Kürzung von Filmen in Flugzeugen beschweren?)

Dies ist eine Liebeserklärung an alle Kettenhotels, in denen ich jemals meiner Einsamkeit frönte, mit geschmolzenem Vanilleeis vom Zimmerservice, warmem Bier aus der Minibar und amerikanischen Nachrichtensendern. An all die Fremden, die mir in Hotelbars ihre Lebensgeschichten erzählten, und all die, die sich meine anhörten: Es tut mir leid, dass ich eure Visitenkarten verloren habe, ich bin ein chaotischer Mensch. Danke auch an alle Hotelmitarbeiter, die mir an Weihnachtstagen, an denen ich alleine mit Cheeseburgern und Seinfeld war, Geschenke aufs Zimmer brachten, Plätzchen vor meine Tür stellten und handgeschriebene Karten auf meinem Bett hinterließen. Danke an ein dieses eine Hotel in Madrid, das mir einen Arzt schickte, als ich mit Lebensmittelvergiftung auf dem Boden lag, weil mir gleichzeitig zu heiß und zu kalt war, und dieser mir auf spanisch erklärte, dass ich überleben würde. Und ein Hoch auf alle Birchermüslis dieser Welt und dass fast jedes Land sie kennt und doch anders zubereitet.

Temporäres Augenverschließen ist ja Beruhigung im weitesten Sinne.

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Dies ist eine Liebeserklärung an all die anonymen Bars und Restaurants, in denen ich versucht habe, meine Niederlagen zu verarbeiten. An all diejenigen, die mir trotz geschlossener Küche noch Fischsuppe an den Tresen brachten, weil ich das letzte Match des Abends gespielt hatte und nirgends mehr etwas zu essen fand. An die Künstlerin, die in weißem Männeranzug und Hut neben mir saß, während ich die Fischsuppe aß, und mir erklärte, ich solle alle meine Rituale über den Haufen werfen, die ich in Matches habe und was komplett Neues ausprobieren, denn mein Sternzeichen sei Jungfrau und speziell Jungfrauen müssten mal aus ihrer Komfortzone ausbrechen: Ich bin Ihrem Rat gefolgt und mit wehenden Fahnen gescheitert. Ich habe nun schlimmere Rituale als jemals zuvor und es ist ganz und gar nicht Ihre Schuld. Dem Bartender in meiner Lieblingsbar in New York, der einzigen in New York, die ich kenne, in der man Bier für vier Dollar bekommt, möchte ich danken, dass er mein Glas ständig und ungefragt mit Wasser auffüllt und eine Zitronenschale hineingibt, während meine Freunde sich betrinken, weil er weiß, dass ich nächste Woche bei den US Open an den Start gehe und während der Saison keinen Alkohol trinke. In diesem Fall sind die 20 Prozent Trinkgeld mehr als gerechtfertigt, und für Wasser mit Zitronenschale ist die Rechnung eh überschaubar. 

Dies ist eine Liebeserklärung an die Popkultur. An The Smiths und The Cure, die mich in den Schlaf singen, und Morrissey, der mich um den Schlaf bringt, wenn ich wieder einmal ein aktuelles Interview von ihm gelesen habe. Ich kann mich dann nur beruhigen, wenn ich an Caravaggio denke und daran, dass er einen Mann getötet hat und seine Bilder trotzdem in der Sixtinischen Kapelle zu bewundern sind. Temporäres Augenverschließen ist ja Beruhigung im weitesten Sinne. Danke an Friends und New Girl und all die anderen Charaktere ähnlicher Sitcoms, die meine Ersatzfreunde in der Ferne sind, die mich zum Lachen bringen und um deren Beziehungsstatus ich bange - wie bei meinen echten Freunden auch. An alle Filme wie Call me by your name, die die Sehnsucht einfangen, diesen Mittendrin-Status: Wird es etwas mit uns oder nicht? Denn so fühle ich mich als Reisende sehr oft: irgendwo zwischen allem.

Dies ist ein Dank an all die Bücher, die mich zum Schreiben inspirieren, und an all diejenigen, die mich vom Schreiben abhalten: Ihr seid mein Trost, wenn es sonst keinen Trost gibt. Ich bin mit Roberto Bolaños 2666 im Gepäck durch die Wüste New Mexicos gefahren. Ich durchlebte 100 Jahre Einsamkeit und mehr. David Foster Wallaces Fußnoten haben mich in den Wahnsinn getrieben und Saul Bellows Prosa lässt mich einerseits daran glauben, dass ich jahrelang in Chicago gelebt habe (ich war noch nie da), und lässt mich andererseits nicht daran glauben, jemals etwas zu schreiben, was er nicht schon wundervoll fomuliert geschrieben hätte. 

Jede gute Liebeserklärung beinhaltet jedoch gleichzeitig die Vergänglichkeit der erklärten Liebe. So endet meine Liebeserklärung ans Reisen an meiner eigenen Haustür. Denn das Schönste am Reisen ist das Heimkehren.