Ich bin 1987 geboren und gehöre damit dieser speziellen Generation an, die im analogen Zeitalter aufwuchs, aber sehr bald und in einem prägenden Alter in den digitalen Abgrund geworfen wurde. Manche nennen uns die Generation Y. Keine Ahnung, was genau das bedeuten soll, ich weiß nur: Als ich ein Teenager war, gab es soziale Medien in der heutigen Form und mit dieser Bedeutung noch nicht.
Ich machte mir deshalb selten Gedanken über meinen Körper, darüber, ob ich dünn war, dick war, muskulös, attraktiv – ich fand an mir andere Sachen wichtig. Klar, mir fiel schon auf, dass ich größer war als die meisten Jungs in meiner Klasse, und ich kann nicht gerade sagen, dass es ein angenehmes Gefühl war. Aber da hörten die Komplexe auch schon auf.
Erst als ich anfing, erfolgreich Tennis zu spielen, als die sozialen Medien immer wichtiger wurden und ich das erste Mal Bilder von mir in der Zeitung sah, die mitten im Schlag aufgenommen worden waren, wenn alle Muskeln bis zum Zerreißen gespannt sind, das Gesicht hässlich verzerrt vor Anstrengung, unvorteilhaft von Kopf bis Fuß – da erst fing ich an, mich in Frage zu stellen. War ich eigentlich hübsch genug? Dünn genug? Groß genug? Immer öfter las oder hörte ich Sätze wie: »Die sieht doch aus wie ein Mann«, »die hat mehr Muskeln als ich«, »Wahnsinn, was für ein breites Kreuz«.
Oberflächliche Sätze, sicher, dahingesagt ohne ein Bewusstsein dafür, dass diese Worte in mir ein Frauenbild zementierten, das keine Abweichung von dieser allgemein gültigen Norm mehr zuließ. Auf einmal griff ich lieber zu T-Shirts und Longsleeves statt zu ärmellosen Tops. Ich verbannte hohe Schuhe aus meinem Kleiderschrank, damit ich nicht mehr größer war als die Männer und meine muskulösen Beine nicht noch zusätzlich betonte.
Und wenn Sie sich meinen Instagram-Account anschauen, bemerken Sie vielleicht, dass ich ganz selten Fotos von mir in voller Action poste. Wenn doch, dann sind sie meist von ganz weit weg aufgenommen, oder es sind Videoaufnahmen. Schaue ich selbst meine Posts aus den vergangenen Jahren mit ein bisschen Abstand an, fällt mir auf, dass meine Identität als Tennisspielerin auf diesem sozialen Netzwerk, das ja ein rein visuelles ist, kaum stattfindet. Dabei ist diese Identität ein riesiger Teil meines Selbstbildes. Aber ganz offenbar will ich, dass man mich nur als ästhetische ansprechende, den Instagram-Vorlieben genügende Tennisspielerin wahrnimmt.
Wenn ich es mir recht überlege, sind meine Fotos in Wahrheit nicht mehr als ein kläglicher Selbstdarstellungsversuch - geboren aus Minderwertigkeitskomplexen und gepostet in der Hoffnung, damit die Deutungshoheit über mein öffentliches (Körper-)Bild zurückzugewinnen. Auch wenn die im digitalen Zeitalter ja längst schon für alle verloren ist (aber hey, dafür hab ich vielleicht soeben Instagram in einem einzigen Satz zusammengefasst).
»Meine Identität als Tennisspielerin findet auf Instagram nicht statt«
Wie mein kleiner Social-Media-Exkurs gezeigt hat, ist es zu meiner täglichen Routine geworden, meine körperliche Identität an die Erwartungen anderer anzugleichen. »Wonder Woman« hätte vielleicht etwas mehr Gegenwehr geleistet. Nicht, weil sie die erste weibliche Superheldin ist, die Gewehr- und Pistolenkugeln mit der Hand fängt, kämpft wie eine Löwin, stark ist wie Matthias Steiner und dabei wunderschön aussieht (wenn schon weibliches Ideal, dann bitte so unerreichbar wie möglich). Aber ich mochte den Film und ich mochte, was der Film mit der weiblichen Hauptfigur zu machen versuchte.
Die Regisseurin Patty Jenkins, die erste Frau, die mit einem Film des Superheldengenres betraut wurde, spielt darin geschickt mit männlichen und weiblichen Attributen. Sie lässt Diana, die zivile Version »Wonder Womans«, in einem hochgeschlossenen, anzugähnlichen Mantel und mit Herrenhut durch die historischen Straßen Londons streifen. Gleichzeitig reagiert sie emotional auf ihre Umwelt, mit tiefer Empathie für ihr Gegenüber. Sie verfügt offenbar über diese soft skills, die im Berufsleben heute überall verlangt werden, bei denen aber keiner so genau weiß, was damit eigentlich gemeint ist, außer dass sie traditionell eher Frauen zugeordnet werden.
Jenkins paart männliche Erscheinung mit weiblichen Inhalten - und umgekehrt. Wenn »Wonder Woman« in ihrem Superheldinnen-Kostüm auftaucht, dann kompromisslos sexy: nackte lange Beine, ein schmaler, femininer Hals, neckisches Augenzwinkern. Dabei handelt sie so entschlossen wie dominant und setzt sich und ihre Ideen durch, wenn nötig, auch mit kriegerischer Gewalt. Und wenn sie rennt, sieht man ihre gespannten, starken Muskeln arbeiten.
Könnte ich es mir aussuchen, wäre ich am liebsten genau so: ein bisschen männlich, ein bisschen weiblich, am besten immer irgendwas Passendes dazwischen. Oder so wie Madonna. Die ist im Abendkleid und mit trainierteren Armen, als ich sie jemals haben werde, über den roten Teppich spaziert. Und sah wunderschön aus.