Meine Freundin ist Schriftstellerin, ihr Mann Schriftsteller, beide wurden eingeladen am selben Abend bei einer literarischen Veranstaltungsreihe aus ihrem jeweils neuen Buch zu lesen. Beide hatten gleich lang Zeit dafür, insgesamt 1400 Euro bot der Veranstalter beiden zusammen. Sie schlugen ein. Sie las, er las, am Ende bekam jeder der beiden, warum auch immer, einen eigenen Umschlag mit dem Geld.
Leicht könnte man nun denken, dass für ihn und für sie je 700 Euro drin steckten, stimmt aber nicht: In seinem Umschlag waren tausend, in ihrem 400 Euro. Als sie sich beschwerte, meinte der Veranstalter, das Buch ihres Mannes sei »frischer«, also neuer. Als ihre Empörung daraufhin nicht kleiner wurde, gab er ihr noch hundert Euro extra.
Man darf lang darüber rätseln, warum der Veranstalter nicht einen Umschlag mit 1400 Euro für beide überreicht hat, so dass die Aufteilung ihnen überlassen würde. Wahrscheinlich ist: Er hatte keinerlei Schuldgefühle dabei. Und er handelte nur wie die meisten bis heute handeln: Verrichten ein Mann und eine Frau die gleiche Arbeit, ist seine mehr wert. Und wird besser bezahlt.
So viel war in den vergangenen Monaten von der »pay gap« zu lesen, von der Ungerechtigkeit, dass Männer und Frauen für die gleiche Tätigkeit unterschiedlich viel verdienen. In einer repräsentativen bundesweiten Umfrage der SPD im Juli 2017 wurde gefragt, bei welchen Themen die Menschen die stärkste Ungerechtigkeit empfinden: Ganz vorn das Steuersystem mit 76 Prozent, es folgen mit je 73 Prozent das Rentensystem, die Preise am Wohnungsmarkt – und: die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen. Platz zwei also.
Da könnte man leicht zu dem Schluss kommen: Dann wähle ich am Sonntag bei der Bundestagswahl eben die Partei, die sich am stärksten dafür einsetzt, diesen Missstand zu beheben. Man kann nicht direkt sagen, dass den Spitzenpolitikern das Thema völlig egal war am A.... vorbei gegangen ist: Es gab mal Lippenbekenntnisse hier, ein Plakat dort (auf dem Martin Schulz fordert, dass hundert Prozent Arbeit nicht 21 Prozent weniger Lohn für Frauen bedeuten dürften). Auf seinen vielen anderen Plakaten war vor allem von Europa und Demokratie und Gerechtigkeit die Rede. Darüber möchte ich mich gar nicht lächerlich machen, das sind wichtige Themen, aber halt auch irgendwie schwammig: Wer ist schon gegen Gerechtigkeit, gleiche Chancen für alle, Frieden und lebenswürdige Renten für Menschen, die ein Leben gearbeitet haben?
Das Thema ungleiche Bezahlung aber ist dermaßen konkret, dass man sich damit leicht sämtliche Finger verbrennen kann in diesem Wohlfühlwahlkampf, der nur einen Feind zu kennen scheint, die AfD. Naiv also, wer glaubt, dass das Thema gleiche Bezahlung in den nächsten vier Jahren auf der politischen Tagesordnung nach oben rücken wird. Peanuts im Vergleich zu Weltthemen wie Frieden. Da können Journalistinnen noch so oft gegen unfaire Gehaltsunterschiede anschreiben, sich prominente Frauen wie Dunja Hayali dagegen auflehnen. Danke, denn das war's dann.
Nehmen wir Abschied von dem Gedanken, dass die nächste Regierung an unfairer Bezahlung und »pay gaps« irgendetwas ändern will oder wird. Obwohl sich die meisten bei diesem Thema einig sind. Offiziell wenigstens. Sind wir nicht auch ohne Frauenquote und gerechter Bezahlung für Frauen ein so erfolgreiches Land geworden? Und, Totschlagargument: Haben wir nicht auch eine Kanzlerin? Also, warum daran was ändern? Spätestens am Montag, wenn es darum geht, wer mit wem koaliert und wer mit wem sicher nicht, ist alles vergessen.
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