Das Ende des digitalen Botox

Ein großer Online-Mode-Versand verkündet, seine Models fortan nicht mehr zu retuschieren: Dellen, Cellulite, Dehnungsstreifen – all das wird der Kunde sehen. Der Eingriff per Photoshop ist zum Symbol für ein überholtes Frauenbild geworden. Zu optimistisch sollte man trotzdem nicht sein.

Fotos: Screenshot


  
Als es in Manchester im Mai dieses Jahres zu einem brutalen Terrorangriff kam, schrieb Veronika Ferres auf Twitter: »An einem Tag wie diesem müssen wir noch mehr Liebe geben und mehr zusammenhalten. Meine Gedanken sind bei den Angehörigen #standtogether.« Sie lud dazu ein Foto von sich hoch. Der Tweet kam, vorsichtig gesagt, nicht so gut an. Warum sie eine Beileidsbekundung zur Eigenwerbung nutze, hieß es in den Kommentaren. Interessant war, dass sich einige auch an der Ästhetik des Fotos störten. Der Tenor: Es wirke stark weichgezeichnet, digital nachbearbeitet.

Tatsächlich handelte es sich nicht um ein spontanes Selfie, sondern ein professionelles Porträt, eine Art digitaler Autogrammkarte, wie sie viele Schauspieler besitzen.

Ähnliche Kritik gab es, als im April das offizielle First-Lady-Porträt von Melania Trump veröffentlicht wurde. Die Augen, die Haut verschwimmen darin zu einem matten Pixel-Brei, der jede Falte, Kontur und spezifische Eigenschaft von Trumps Gesichts zukleisterte, »als wäre die Linse mit Vaseline verschmiert gewesen«, schrieb die Washington Post. Auch hier war es die Künstlichkeit, die den Menschen auffiel, das Erstaunliche war: Obwohl Photoshop etwas verdecken sollte, schien die Aufnahme doch etwas über Melania Trump zu entlarven.

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Photoshop war für viele Stars und Hochglanz-Zeitschriften, seit es 1990 auf den Markt kam, eine Verheißung: ein Da-lässt-sich-noch-was-machen-Jungbrunnen. »Wunsch-Maschinen« nannte Susan Sonntag einst in ihrem berühmten Aufsatz 1977 moderne Kameras, und glaubte, dass deren Benutzung süchtig mache. Sie kannte Photoshop noch nicht. Heute gilt für die Software dasselbe wie für Botox: Wenn man es sieht, ist es meistens schlecht gemacht.

Der Online-Mode-Versand Asos gab nun bekannt, seine Models auf den Fotos fortan nicht mehr zu retuschieren: Haut-Unreinheiten, Dellen, Cellulite, Dehnungsstreifen – all das wird der Kunde jetzt also sehen, wenn er nach Sommerbikinis oder Unterwäsche schaut.

Als wäre die Linse mit Vaseline verschmiert: Melania Trumps offizielles Foto als First Lady.

Foto: AP

Ein Bekenntnis zur Natürlichkeit macht bei einem Modekonzern natürlich erstmal misstrauisch. Und tatsächlich: Bei näherer Betrachtung ist der No-Retouch-Move, der erwartungsgemäß in den sozialen Netzwerken, begrüßt wurde, vor allem clevere Imagepflege: Die Käuferschaft von Asos ist ein jung, hip und instagram-versiert – die will man mit übertriebener Künstlichkeit und unrealistischen Schönheitsidealen nicht vergraulen. Moment, ausgerechnet Instagramer? Ja.

Denn das Netzwerk mag voll sein von chicen Yoga- und Fitness-Apologeten, von glamourösen Influencern und Celebrities, die ihre Hyper-Inszenierungen täglich als real verkaufen. Doch längst hat sich genau hier auch die Gegenbewegung formiert. Und sie wird immer stärker.

Instagram, Snapchat und viele andere Anwendungen haben ihre Benutzer eben nicht nur darin geschult, jene Werkzeuge zur Bildbearbeitung zu benutzen, die in Vor-Social-Media-Zeiten ausschließlich Bildredakteuren von Fashion-Magazinen vorbehalten waren. Sie haben auch deren Kompetenz geschult, Fakes zu entlarven. Das wissen heute 12-Jährige: Wo es Filter gibt, gibt es auch #nofilter.

Eine zusätzliche Gegenbewegung zur Bauch-rein-Brust-raus-Weichzeichner-Drüber-Fraktion ist die Body-Positivity-Bewegung. Deren Kern-Botschaft: Schluss mit den Zuschreibungen an den weiblichen Körper, was ein Makel und was ein Vorzug zu sein hat. Mehr Vielfalt, mehr Hautfarben, mehr Silhouetten.

Das führte bei Instagram zuletzt zu banalen, aber starken Erkenntnissen: Wenn man die Achseln nicht rasiert, wachsen da Haare! Irre oder? Wenn man sich hinsetzt, sind da Röllchen am Bauch. Crazy! Wenn man ein Baby bekommen hat, schlabbert je nach Stärke des Bindegewebes danach die Haut am Bauch!

Man kann Hashtag-Aktionen wie #hairypitsclub und #lovemylines albern finden. Oder man kann darüber nachdenken, wie prägend bestimmte Schönheitsideale für Frauen waren, wie sehr sie ihnen suggeriert haben, macht wasstrengt euch andas sieht nicht gut aus. Und das liegt auch an sozialen Praktiken wie Photoshop.

Doch diese Zeiten scheinen passé: Heute ist Photoshop nämlich auch ein Synonym für Stümperhaftigkeit. Die Google-Autovervollständigung liefert verlässlich »fail«, wenn man das Wort eingibt. Und auf Portalen wie Buzzfeed sind missglückte Foto-Nachbearbeitungen zur Lachnummer-Rubrik geworden: Es wimmelt im Netz nur von Zeitschriften-Cover von Stars, die von Bildredakteuren alienhaft-dünn, bis zur Unkenntlichkeit jung oder mit zusätzlichen Gliedmaßen versehen wurden. In vielen Fällen haben die Stars die Bilder selbst geleakt.

Zeitenwandel oder Marketingtrick? Asos verzichtet auf Bildbearbeitung.

Foto: rtr

So wie #nofilter zur Echtheitstrophäe wurde, sind es auch die unbearbeiteten Fotos von Stars geworden. Das Online-Magazin »Jezebel« ging 2014 soweit, eine 10 000-Dollar-Belohnung für das anonyme Zuspielen unbearbeiteter Fotos auszuloben. Jezebel wollten beweisen, dass Lena Dunham, die seit ihrer Serie »Girls« als eine Art Schutzheilige der Body-Positivity-Bewegung galt, in der amerikanischen Vogue stark retuschiert worden war. Es gelang ihr, doch Dunham schien vom Leak überrumpelt, verteidigte die retuschierten Bilder noch.

Vor kurzem war Dunham wieder prominent auf einer Zeitschrift zu sehen: auf der US-Glamour zusammen mit ihren »Girls«-Co-Stars - und ihrer Cellulite. »My legs in full imperfect display«, kommentierte die Schauspielerin auf Instagram und gratulierte der Glamour, die weibliche Form zu zeigen, wie sie nun mal sei.

Kein Zweifel: Der Eingriff per Photoshop ist zum Synonym für ein überholtes Frauenbild und übergriffige Redakteure geworden. Auf einem anderen Gebiet ist Photoshop aber so lebendig wie nie: dem der Internet-Memes und des politischen Humors. Trumps grotesk lange Krawatten oder Kim Jong Uns Matratzen-Prüfung verdanken wir Photoshop-Basterln, die entschlossen sind, mit ein paar Bildwitzen dem politischen Wahnsinn die Stirn zu bieten.

Was ist nun vom Photoshop-Verzicht von Asos zu halten? Natürlich ist es wohlfeil, wenn ein Modeservsand, der sich vor allem an junge Frauen richtet, verkündet, ihre Models (von Berufswegen also schöne Menschen) durch Bildbearbeitungssoftware künftig nicht noch »schöner« machen zu wollen. Dafür muss man sie nicht feiern. Wie immer wenn sich ein Konzern eine Selbstverpflichtung auferlegt und moralisch garniert, sollte man genau hinschauen. Zum Beispiel, ob künftig nicht nur verschiedene Hautbilder zu sehen sein werden, sondern auch unterschiedliche Körperformen. Momentan werden die stoff-armen Schnürchenbikinis ausschließlich von knabenhaften, durchtrainierten Frauen präsentiert.