Sonntagmorgen: Die Sonne blendet, der Blick ist verschwommen, der Kopf dröhnt, die Wohnung riecht nach Sex. Und plötzlich bemerkt man, dass man gar nicht in der eigenen Wohnung ist, man nicht im eigenen Bett liegt und neben einem noch ein anderer Mensch ist. Nackt. Noch einmal blinzeln, alles nur geträumt? Nein, der andere ist immer noch da. Also doch: ein Absturz. Stunde null.
Beim zweiten Heben des Kopfes wird der Auslöser für diese horizontale Wohnungsbesichtigung sichtbar: In einer Ecke liegt das schöne Paar „Nike Air Max", über das man auf der Party ins Gespräch gekommen war. Zumindest ein Strahl Licht ins Dunkle bei der Aufklärung in Sachen Außer-Haus-Schlafen.
Wie ein überfahrener Kater fühlt sich der eigene Körper nach dieser strapaziösen Nacht an. Unangenehm? Ziemlich. Peinlich? Ziemlich sicher. Zehn Stunden vorher zählten andere A’s: Aussuchen, Anbaggern, Alkohol, Angrabschen und Aufriss. Am Ende ist dann nur eine Frage wichtig: zu dir oder zu mir? Reden ist in Absturzzeiten eher hinderlich. Getreu dem Motto aus Fassbinders Katzelmacher, „Da wird nicht geredet, da wird gevögelt“, sind Worte knapp gesät – die Nacht ist kurz, nur noch acht Stunden bis zum Absturz.
Von Bedeutung ist nur die Attraktivität des Augenblicks und wessen Zuhause in Fußentfernung liegt. Ähnlich einer Flugzeugkollision prallen zwei Objekte unvorhergesehen aufeinander. Der Kombination Alkohol + Sex werden Wunder nachgesagt: enthemmende Wirkung, Steigerung der Libido … alles Katalysatoren für einen gelungenen Absturz.
Leider birgt diese Mischung jede Menge Nebenwirkungen: plötzliche Übelkeit, die sich in die weißen Laken ergießt, akute Langeweile, die gern auch mal in einen spontanen Tiefschlaf führt, oder jähe Unterbrechungen durch Überraschungsbesuche, von denen nur noch der Ausruf „Scheiße, meine Freundin!“ in Erinnerung bleibt. Noch vier Stunden.
Da wir gerade bei unerwarteten Vorfällen sind, eine kleine Notiz am Rande: In der Sadomaso-Szene bedeutet „Absturz“ den Abbruch eines Rituals, bei dem die persönliche Grenze eines Beteiligten überschritten wird. Die Session wird somit sofort beendet. Dies gibt es leider beim regulären Absturz nicht: Es gibt kein Codewort, um das nächtliche Gehabe vorzeitig zu beenden. Es hört erst dann auf, wenn man am nächsten Morgen mit Kopfweh neben einem Fremden aufwacht.
Ein Absturz ist gesellschaftlich akzeptierte Grauzone, die es ermöglicht, den eigenen Egoismus im Bett mit wechselnden Geschlechtspartnern frei von moralischen Zwängen auszuleben. Die nächtliche, in Alkohol getränkte Liebesmüh ist unser letzter erhaltener animalischer Trieb. Sozial auferlegte Rituale der sexuellen Vereinigung ade – hoch die Gläser, ein Prosit auf den Absturz. Bis es wieder heißt: „Nette Schuhe hast du da."