Eigentlich hätte ich es ja in meiner Jugend richtig krachen lassen können. Zwar wurde bei mir zu Hause mächtig um die Tugend der Tochter herumgeeiert (Mit wem gehst du aus? Wann kommst du wieder? Wohin geht ihr?), aber eigentlich hatte ich jede Freiheit, weil meine Mutter verwitwet und berufstätig war und somit fast nie da. Meine ersten sexuellen Erfahrungen hätte ich also in der himmlischen Zeit sammeln können, in der die Pille schon, aber Aids noch nicht erfunden war. Wie gesagt: "hätte".
Meine kluge Mutter hatte relativ schnell gemerkt, dass mit Johannes aus der 13. Klasse was lief. Natürlich konnte sie einer aufgeklärten Siebzehnjährigen nicht mit einer ungewollten Schwangerschaft kommen. Also wurde die gute alte Gonorrhö als Schreckgespenst bemüht, die eine ordentliche Harnröhrenentzündung beschert und noch ein paar Ekligkeiten mehr.
Selbstverständlich wurden alle Jungs ab 15 Jahren als potenzielle Überträger verunglimpft. Kondome galten als völlig bäh, und das mit Abstand Peinlichste, was einem Mädchen passieren konnte, war der gemeine Tripper. Dazu sollte man wissen, dass Geschlechtskrankheiten Ende der Sechzigerjahre von Hautärzten behandelt wurden. Der einzige Dermatologe, den es in unserer Kleinstadt gab, hatte seine Praxis auf der Hauptstraße, sodass man nur unter der garantierten Aufmerksamkeit der Bevölkerung die Sprechstunde besuchen konnte. Außerdem war der Doktor ein Freund der Familie.
Versteht sich, dass aus der Affäre mit Johannes nichts wurde. Einen Vorteil hatte die Sache jedoch: Ich galt für die nächsten paar Jahre als kühl und so geheimnisvoll unnahbar. Dabei hatte ich doch nur Angst.
Anmerkung der Redaktion: Wer denkt, dass man vor Gonorrhö keine Angst zu haben braucht, der klicke folgenden furchterregenden Link im Internet an (Vorsicht: mit Bildern).